DER SCHWANZ DES SKORPIONS - Sergio Martino

Schwarze Handschuhe, undurchsichtige Typen, verführerische Damen und stylische Kills.
Antworten
Benutzeravatar
DJANGOdzilla
Beiträge: 286
Registriert: Sa., 31.10.2020 22:55

DER SCHWANZ DES SKORPIONS - Sergio Martino

Beitrag von DJANGOdzilla »

DER SCHWANZ DES SKORPIONS
[LA CODA DELLO SCORPIONE][ITA/SPA][1971]

Bild

Regie: Sergio Martino
Darsteller: George Hilton, Anita Strindberg, Alberto de Mendoza, Ida Galli, Janine Reynaud, Luigi Pistilli, Luis Barboo


„Wahrscheinlich ein Sexualtäter. Allerdings fehlen auch eine Million Dollar.“

Inhalt:

Der Gatte Lisa Baumers [Ida Galli] macht den Abflug – im wahrsten Sinne des Wortes, geht sein Flugzeug doch gleich zwei Mal in die Luft: erst regulär, dann per Bombe. Die ohnehin nicht besonders große Trauer der untreuen Ehefrau wird im Anschluss durch ein stattliches Erbschaftssümmchen abermals gemildert. Als sie sich nach Athen begibt, um die Summe in Empfang zu nehmen, hat sie jedoch plötzlich den Versicherungsagenten Peter Lynch [George Hilton] am Hacken. Dieser glaubt nämlich nicht so ganz daran, dass Lisa am Ableben ihres Mannes völlig unschuldig ist. Doch nicht nur Lynch setzt der frischgebackenen Witwe zu: Auch die geheimnisvolle Lara [Janine Reynaud] nebst vernarbtem, sonnenbebrilltem „Anwalt“ Sharif [Luis Barboo] taucht auf einmal auf. Als Geliebte des Verblichenen verlangt sie die Hälfte des Geldes, ansonsten würde sie der Polizei vermeintliche Mordbeweise zukommen lassen. Zwar kann Lynch sie aus ihrer bedränglichen Situation befreien (ist halt immer gut, nen Versicherungsagenten auf seinen Fersen zu haben), doch nun fängt auch noch ein maskierter Messer-Jocke an, mit dem Fall in Verbindung stehende Leute aufzuschlitzen. Die Polizei ist ratlos und verdächtigt irgendwie alle zugleich. Währenddessen tut sich Lynch (in vielerlei Hinsicht) mit der attraktiven Reporterin Cléo Dupond [Anita Strindberg] zusammen, um Licht in die mysteriöse Angelegenheit zu bringen. Doch dann geraten auch sie in das Visier des Killers...

Kritik:

Der Giallo, die in Italien entstandene, gewalthaltige Subkategorie des Kriminalfilms, hatte sich Anfang der 70er endgültig als eigene Kunstform etabliert und erlebte in den folgenden Jahren eine wahre Blütezeit. DER SCHWANZ DES SKORPIONS, 1971 von Sergio Martini mit deutlichen Anleihen an die Thriller Alfred Hitchcocks gedreht, erweist sich dabei als äußerst linientreuer Genrebeitrag, der die Grenzen der Glaubwürdigkeit bewusst missachtet, um dafür gediegene Spannungsmomente, ungewöhnliche Kameraeinstellungen und blutgetränkte Tötungsakte in den Fokus zu rücken. Im direkten Vergleich zu dem vom Regisseur im selben Jahr entstandenen, wesentlich versierterem DER KILLER VON WIEN ist DER SCHWANZ DES SKORPIONS zwar ein Rückschritt, gepflegt bei Laune hält die stellenweise recht rüde Mörderhatz dennoch.

Dem etwas konfusen, doch nicht uncleveren Skript gelingt es, so manche falsche Fährte zu legen, um Zuschauer wie Protagonisten mehr als einmal in die Irre zu führen. Angereichert mit etwas Action (wie die schwindelerregend gefilmte Verfolgung über eine Wendeltreppe), einer Prise nackter Haut und einer gesunden Portion schrägen Humors ergibt das einen zwar nicht sensationell originellen, aber doch sehr wohlschmeckenden Unterhaltungscocktail, der zwar oftmals droht, sich in seiner Vielzahl an Winkelzügen und Wendemanövern zu verfangen, doch schließlich zu einer wenn auch nicht unbedingt plausiblen, so doch zumindest passablen Lösung gelangt. Dabei gibt sich die zu Grunde liegende Handlung hier erstaunlich geerdet: Ist der typische Giallo in seiner Thematik häufig stark sexuell aufgeladen, das Tat-Motiv oft mit einem traumatischen Kindheitserlebnis verwurzelt, so bewegt man sich hier auf geradezu mustergültig altmodischem Krimi-Terrain, mit dem selbst die Urgroßmutter noch etwas anfangen kann: Es geht um Versicherungsbetrug und Verleumdung, um Erpressung und Erbschleicherei, um Gier und Geld.

So konventionell das inhaltlich auch scheinen mag, so experimentell geriet das in der Ausführung: DER SCHWANZ DES SKORPIONS bietet eine erquickliche Vielzahl an schrägen Blickwinkeln, optischen Verzerrungen und fotographischen Sperenzchen, was seinen bizarren Höhepunkt erreicht, als sich die Kamera während eines Polizeiverhörs plötzlich quer legt und das Geschehen um 90° Grad verdreht hochkant präsentiert. Solche Spielereien mögen auf den ersten Blick sinnlos erscheinen, sorgen jedoch für einen erfrischenden Aufbruch konventioneller Sehgewohnheiten. Doch auch abseits der rein visuellen Komponente mangelt es nicht an höchst effektvollen Augenblicken: So findet Lisas anfänglicher Ehebruch in Parallelmontage zum Flugzeugunglück statt – auf dem Höhepunkt des Aktes explodiert makabererweise die Maschine ihres Mannes (schade, dass der böse Sarkasmus dieser Szene durch den lausigen Kinderzimmer-Spezialeffekt zerstört wird). Und in einer späteren Szene bangt eine Dame um ihr Leben, als sie feststellen muss, dass der Mörder gerade im Begriff ist, die schützende Tür zu durchbrechen. Zwecks Abwehrung des Angreifers hechtet die Frau zur Tür - genüsslich in Zeitlupe zelebriert, die Augen voll panischer Angst. Ein kleiner Moment zwar nur, aber dennoch großes Kino!

Einen zusätzlichen Reiz bezieht DER SCHWANZ DES SKORPIONS aus der häufigen Verschiebung seiner Haupt- und Sympathiefiguren: Vermeintlich zentrale Protagonisten verlassen die Handlung wieder, scheinbar böswillige Charaktere enden als hilflose Opfer und von jedem Verdacht befreite Personen haben plötzlich Dreck am Stecken. Bis zum Schluss bleibt unklar, wem hier eigentlich zu trauen ist - ein willkommener Anlass zum fröhlichen Mörderraten.

In der Hauptrolle erlebt man George Hilton [→ EIN HALLELUJA FÜR DJANGO] - von bösen Zungen gern als talentfreie Zone verschrien, schlägt er sich als Versicherungsagent Peter Lynch doch sehr wacker und legt seine Rolle ähnlich der von Cary Grant in VERDACHT an. So steht er nicht nur für die ermittelnden Beamten, sondern auch für den Zuschauer häufiger mal in Verdacht, selbst der Täter zu sein. Die Figur Anita Strindbergs [→ DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS] als Reporterin Cléo wird reichlich spät (und auch dramaturgisch etwas holprig) eingeführt, aber ihr sympathisches Auftreten und attraktives Äußeres lullen den Zuschauer (und freilich nicht nur den) dennoch erstaunlich schnell ein. Luigi Pistilli [→ LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG] steht als ermittelnder Inspektor Stavros währenddessen so dermaßen auf dem Schlauch, dass man fast Mitleid bekommen möchte (vor allem dadurch verdeutlicht, wie er immer wieder vor einem Puzzlebild sitzt und sich vergebens mit dessen korrekter Zusammensetzung abmüht). Zwar wird zugegebenermaßen nicht wirklich geklärt, ob Stavros sich nicht einfach der Columbo-Methode bedient und sich argloser gibt, als er tatsächlich ist, doch wie er hinter jedem Mord ein Sexualverbrechen vermutet (obwohl keines der Opfer in irgendeiner Weise sexuell missbraucht wurde), ist schon sehr drollig.

Ist DER SCHWANZ DES SKORPIONS auch weit davon entfernt, neue Maßstäbe zu setzen, ist er für Giallo-Freunde schon aufgrund der geliebten Ingredienzien absolutes Pflichtprogramm: Wenn der Killer, stilecht schick unterwegs mit Maske, Schlapphut und Klappmesser, sein blutiges Tag- und Nachtwerk verrichtet, spielen inhaltliche Defizite (wie im Sande verlaufende Handlungsstränge) ohnehin höchstens die zweite Geige. Zeitweise von launiger Urlaubsatmosphäre durchzogen bietet das angenehm abstruse Mörderspiel deutlich überdurchschnittlichen Krimi-Kurzweil mit charmanten Ecken und Kanten und – trotz bescheidener Tricks - erstaunlich heftigen Gewaltspitzen. Schwänzen lohnt sich!

s. auch: DER SCHWANZ DES SKORPIONS

Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 5482
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

Re: DER SCHWANZ DES SKORPIONS - Sergio Martino

Beitrag von Prisma »

"Der Schwanz des Skorpions" hat mich damals schon bei der ersten Begegnung richtig beeindrucken können, liegt vielleicht auch daran, dass ich seinerzeit noch nicht so viele Beiträge aus dem Genre gesehen hatte. Zu einem späteren Zeitpunkt wäre vergleichsweise vielleicht ein schwächerer Eindruck entstanden, wer weiß? Ich mag die weitgehend konventionelle Geschichte mit ihren netten Twists und eigenwilligen Charakteren, auch die plötzlichen Schocks, die wenig zimperlich über einige der Personen gesetzt werden, kommen gut an, was besonders in einem speziellen Fall nahezu irritierend gewirkt hat. Überhaupt ist Martinos Beitrag ein toller Schauspieler-Film. Ida Galli ist hier so unnahbar und faszinierend wie selten, Anita Strindberg so schön wie immer und von George Hilton wird die Geschichte sehr eingängig getragen, die restlichen Darsteller tun das Übrige dazu. Tolle Sets, spannende Momente, hoch-atmosphärische Schauplätze, die charakteristische, aufwühlende Musik von Bruno Nicolai und ein gelungenes Finale lassen diesen Film immer mal wieder in den Player wandern.

Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 5482
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

Re: DER SCHWANZ DES SKORPIONS - Sergio Martino

Beitrag von Prisma »



IdaGalliSkorpion (2).jpg
IdaGalliSkorpion (3).jpg
IdaGalliSkorpion (5).jpg


● IDA GALLI als LISA BAUMER in
DER SCHWANZ DES SKORPIONS (I|E|1971)



Unheilvolle Klänge bestimmen den Einstieg zu Sergio Martinos "Der Schwanz des Skorpions" und berichten davon, dass die Beteiligten so schnell wie möglich in das Visier des Killers rücken werden - vielleicht wahlweise schöne Frauen. Man sieht Ida Galli innerhalb einer Menschenmenge und dennoch sticht die schöne Italienerin deutlich hervor, da sie am meisten rastlos und angespannt unter den vielen Menschen wirkt. Man glaubt ihr Besorgnis anzusehen, sie schaut sich immer wieder nervös um, doch es gibt noch keine Anzeichen dafür, dass sie auch verfolgt wird. Diese anfänglichen Eindrücke werden schnell revidiert, denn unmittelbar im Anschluss ist sie mit ihrem Liebhaber zu sehen. Hier fällt alle Anspannung von ihr ab, die Szenen wirken leidenschaftlich und im Rahmen von herrlicher Fotografie überaus ästhetisch präsentiert. Man fragt sich, ob die junge Dame von den avisierten 400 000 Pfund Lebensversicherung in Wallung gerät, oder ob sie sich einfach nur in ihrem Element befindet. Für Ida Galli handelt es sich hier ganz offensichtlich um eine Hauptrolle nach Maß - oder ist es etwa gar keine? Kurz erinnert man sich daran, dass ihre schwedische Kollegin Anita Strindberg in den Titelcredits vor ihr und darüber hinaus vor dem Filmtitel genannt wurde, Ida Gallis Performance hingegen nur als besonderer Auftritt angekündigt wurde, was im italienischen Film allerdings nichts Ungewöhnliches darstellt. Dennoch lässt sich die potenzielle Gefahr, der die Blondine ausgesetzt ist, nicht einfach so abschütteln. Es folgen wahre Exklusiv-Strecken ihres faszinierenden Gesichts, ihrer strahlenden Augen, aber auch der bedrückten Mimik, bis sich bestehende Vorahnungen zu Gewissheiten verdichten. Lisa wird von einem Junkie und gleichzeitig Erpresser verfolgt, der - um vermutlich fünfmal täglich drücken zu können - abkassieren will. Es wird klar, dass man es mit keiner Heiligen zu tun hat. »Mein Mann lebte sein Leben, ich lebte meins!«, vernimmt man beinahe kaltschnäuzig beim Einstreichen der hohen Versicherungssumme, die ihr das unbeschwerte Leben ermöglichen soll, dass sie sich vorstellt. Gleichzeitig steht der Vorwurf im Raum, dass sie ihren Mann ermorden ließ, um an die hohe Summe zu gelangen.

Das hungrige Auge der Kamera kann nicht ablassen von dieser kühl und abgebrüht wirkenden Frau, deren Attraktivität Vorteil und Verhängnis zugleich darstellt. Strecken von Großaufnahmen hofieren die Italienerin, die vielleicht in einer ihrer interessantesten Rollen zu sehen ist, zumindest, was die reine Optik angeht. Das Publikum bekommt zudem die Möglichkeit, sie regelrecht abzuscannen, ihre Augen erzählen dabei keine einfachen Geschichten. Trotz des Eindrucks vermeintlicher Autonomie scheint es doch so zu sein, als habe sie immer einen Mann im Nacken sitzen, allerdings könnte sie auch jeden einzelnen kennen. Hier denkt man sich seinen Teil und es ist trotz eindeutiger Eindrücke bemerkenswert, dass sich ein gewisses Maß an Geheimnissen um die Dame anstauen kann. So wartet man nur auf die bevorstehende Explosion, ganz gleich, wie diese letztlich aussehen mag. Es scheint eine gute halbe Stunde tatsächlich so zu sein, als habe der Film niemand anders als Ida Galli nötig, die den frühen Verlauf dominiert, auch wenn noch andere Damen wie eine wie üblich provokant platzierte Janine Reynaud platziert werden, die Gallis verschleierte Anmut nur hervorzuheben weiß, immerhin lastet ein schwerwiegender Verdacht auf ihr. Die Nervosität steigt, wird hier kontinuierlich und überaus konsequent über Ida Galli - die wie fast üblich als Evelyn Stewart auftritt - aufgebaut. Das Publikum ahnt, dass derartig angelegte Rollen in Filmen wie diesem nicht nur unter Generalverdacht stehen, sondern besonders gefährdet sind, das Szenario durch Mörderhand zu verlassen. Für die Geschichte und die Produktion stellt die Verpflichtung von Ida Galli einen besonderen Besetzungs-Coup dar, da über sie ein Großteil der frühen Spannung und ein besonderes Überraschungsmoment aufgebaut werden kann. Ihre Präsenz wirkt somit intensiver als die ihrer Kolleginnen und man kann von Glück sagen, wenn es sich hierbei um eine der ersten oder sogar die erste Rolle der nicht selten kontrovers diskutierten Italienerin handelt, die man miterleben durfte. Bei allen vorhandenen Stärken, die sich unabhängig von ihr finden lassen, erfährt "Der Schwanz des Skorpions" durch diese Darbietung dennoch eine besondere Aufwertung.



Antworten