"Die lange Nacht" (The long night) (USA 1947)
mit: Henry Fonda, Barbara Bel Geddes, Vincent Price, Ann Dvorak, Howard Freeman, Moroni Olsen, David Clarke, Elisha Cook jr., Queenie Smith, Charles McGraw, Patty King, Robert A. Davis u.a. | Drehbuch: Jacques Viot und John Wexley nach "Le Jour Se Lève" von Jacques Prévert | Regie: Anatole Litvak
In einer kleinen Industriestadt kommt es zu einem tödlichen Streit zwischen zwei Männern: Joe Adams, Arbeiter in einem Maschinenbau-Unternehmen erschießt den Zauberkünstler Maximilian und verbarrikadiert sich in seinem Ein-Zimmer-Apartment. Die Polizei rückt mit einem Sonderkommando an und versucht, ihn zum Aufgeben zu bewegen. In seinem Refugium reflektiert Joe Adams die letzten Monate seit seiner Rückkehr aus dem Krieg und seine Gedanken kreisen unermüdlich um die junge Jo Ann und den Magier Maximilian. Während die Polizei Tränengas besorgt, um den Mann auszuräuchern, versucht Jo Ann verzweifelt, zu Joe Adams vorzudringen....
Das Drama, das die Geschichte des Kriegsheimkehrers Joe Adams erzählt, mutet in seiner Charakterisierung der Figuren fast wie ein Western an. Der einsame, zynische Pistolenheld, die naive Blondine und die lebenserfahrene dunkelhaarige Frau mit Halbwelthintergrund, deren Ratschläge der Held verbittert in den Wind schlägt. Der ukrainische Regisseur Anatole Litvak gibt seinem Hauptdarsteller viel Raum, seine Rolle einzuführen und sich ihrer Wirkung auf das Publikum zu versichern. Der innere Monolog des desillusionierten Mannes weicht in Rückblenden immer wieder einem aktiven, positiven Charakter, dessen Glaube an die Zukunft nach und nach einem Misstrauen Platz macht, das ihn aufzufressen droht und das letztendlich zu jener ausweglosen Situation führt, die ihn das Leben kosten kann. In einer geschickten, atmosphärisch ausgeleuchteten Montagetechnik rollen vor Joe Adams' innerem Blick und dem Auge des Betrachters die letzten Monate ab. Dies zwingt den Zuschauer, sich mit der anfangs schwer zugänglichen Figur zu identifizieren. Henry Fonda gewinnt an Sympathie, je übler ihm mitgespielt wird, wobei er sich gedanklich an den schönen und berührenden Augenblicken der Vergangenheit festzuhalten sucht. Erinnerungen steigen kontinuierlich durch vertraute und doch in ihrer Umgebung abstrakt wirkende Gegenstände hoch: der alte Teddybär aus Jo Anns Kindheit, der durch einen Streifschuss beschädigt wird oder die Schnellfotos aus dem Automaten, die die Verlegenheit von Jo Anns Lächeln dokumentieren. Verblasste Momente, die kurzfristig Trost spenden, bevor die Realität Joe Adams mit Revolversalven und Drohungen über Lautsprecher einzuholen versucht. Die brachiale Gewalt der Polizei, die in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Situation steht, betont die Hilflosigkeit der Behörden, die nur nach Vorschrift handeln und weder gesprächs-, noch kompromissbereit sind. Die Verschärfung der Lage durch das verbissene Festhalten der Amerikaner an ihrem Recht auf Verteidigungsinstrumente, welches dazu führte, dass fast jeder Kleinbürger bis auf die Zähne bewaffnet ist, entlarvt die Vertreter des Staates im zweiten Friedensjahr nach dem Weltenbrand, der in Nazideutschland angefacht wurde, als in ihrem Vernichtungsdrang unaufhaltsame und verbissene Männer.
Barbara Bel Geddes schafft es in ihrem Debüt als Schauspielerin, eine mädchenhaft unverdorbene Aura zu transportieren, die nach frischem Heu und Kornblumen duftet, aber trotzdem nicht vollkommen berechenbar ist. Tritt sie dem Zuschauer zunächst unbedarft und bescheiden entgegen, so entfaltet sich nach und nach ein Geheimnis, das wie eine unsichtbare Barriere zwischen ihr und Henry Fonda steht, den sie zwar bedingungslos mag, sich ihm aber dennoch nicht völlig öffnen will. Der geschmeidige, in seinem Metier als Magier sowohl kurios, als auch berechnend wirkende Vincent Price fungiert als Katalysator von Jo Anns Wünschen und Träumen, die bisher im täglichen Arbeitsrhythmus unerhört und unausgesprochen blieben. Das Faszinosum einer Welt voller Überraschungen, umgibt den Entertainer mit den grauen Schläfen, dessen maliziöser Charme laufend neue Opfer sucht. Unter dem Vorsatz der Täuschung umgarnt er die schutzlose Frau, deren Urteilsvermögen mangels vergleichbarer Erfahrungswerte nicht ausgeprägt ist und deren Sehnsucht nach Romantik sie für Schmeicheleien empfänglich macht. Wieder einmal steht Price für einen sorglosen Umgang mit den traditionellen Vorstellungen einer bürgerlichen Existenz. Seine schillernde Persönlichkeit kontrastiert mit dem bodenständigen Henry Fonda, welcher der Koketterie von Price mit Unverständnis gegenübersteht. Die Klimax ist unausweichlich, weil Vorwürfe, Verdächtigungen und Heimlichkeiten in explosiver Weise eskalieren und immer neues Öl ins Feuer gießen. Anatole Litvak befeuert das Szenario mit emotionalen Großaufnahmen der leidenden Personen, mit stimmigen Schauplatzwechseln und düsteren Überblendungen, die der wartenden Menge und der immer aggressiver werdenden Polizei großen Raum geben, indem ihre Reaktionen den Hauptdarsteller an den Rand drängen. Im Finale schlägt die Stunde der weiblichen Heldin, die sich die Seele aus der Brust redet und in ihrer Ausweglosigkeit eine innere Kraft entwickelt, die sich über Hindernisse und Einschränkungen hinwegsetzt. Barbara Bel Geddes überzeugt durch ihr empathisches, mitreißendes Spiel, das auch die RKO beeindruckte und ihr einen Sieben-Jahres-Vertrag bescherte. "Die lange Nacht" aka "Den letzten fressen die Geier" erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich mit einer unbedachten Geste zum Outlaw gemacht hat und nun in Rückblenden jene Ereignisse Revue passieren lässt, die zu dem Mord führten. Henry Fonda und Barbara Bel Geddes überzeugen durch ihr authentisches Spiel, Vincent Price malt einmal mehr das Bild eines Exzentrikers an die Wand. Beeindruckend!
mit: Henry Fonda, Barbara Bel Geddes, Vincent Price, Ann Dvorak, Howard Freeman, Moroni Olsen, David Clarke, Elisha Cook jr., Queenie Smith, Charles McGraw, Patty King, Robert A. Davis u.a. | Drehbuch: Jacques Viot und John Wexley nach "Le Jour Se Lève" von Jacques Prévert | Regie: Anatole Litvak
In einer kleinen Industriestadt kommt es zu einem tödlichen Streit zwischen zwei Männern: Joe Adams, Arbeiter in einem Maschinenbau-Unternehmen erschießt den Zauberkünstler Maximilian und verbarrikadiert sich in seinem Ein-Zimmer-Apartment. Die Polizei rückt mit einem Sonderkommando an und versucht, ihn zum Aufgeben zu bewegen. In seinem Refugium reflektiert Joe Adams die letzten Monate seit seiner Rückkehr aus dem Krieg und seine Gedanken kreisen unermüdlich um die junge Jo Ann und den Magier Maximilian. Während die Polizei Tränengas besorgt, um den Mann auszuräuchern, versucht Jo Ann verzweifelt, zu Joe Adams vorzudringen....



Das Drama, das die Geschichte des Kriegsheimkehrers Joe Adams erzählt, mutet in seiner Charakterisierung der Figuren fast wie ein Western an. Der einsame, zynische Pistolenheld, die naive Blondine und die lebenserfahrene dunkelhaarige Frau mit Halbwelthintergrund, deren Ratschläge der Held verbittert in den Wind schlägt. Der ukrainische Regisseur Anatole Litvak gibt seinem Hauptdarsteller viel Raum, seine Rolle einzuführen und sich ihrer Wirkung auf das Publikum zu versichern. Der innere Monolog des desillusionierten Mannes weicht in Rückblenden immer wieder einem aktiven, positiven Charakter, dessen Glaube an die Zukunft nach und nach einem Misstrauen Platz macht, das ihn aufzufressen droht und das letztendlich zu jener ausweglosen Situation führt, die ihn das Leben kosten kann. In einer geschickten, atmosphärisch ausgeleuchteten Montagetechnik rollen vor Joe Adams' innerem Blick und dem Auge des Betrachters die letzten Monate ab. Dies zwingt den Zuschauer, sich mit der anfangs schwer zugänglichen Figur zu identifizieren. Henry Fonda gewinnt an Sympathie, je übler ihm mitgespielt wird, wobei er sich gedanklich an den schönen und berührenden Augenblicken der Vergangenheit festzuhalten sucht. Erinnerungen steigen kontinuierlich durch vertraute und doch in ihrer Umgebung abstrakt wirkende Gegenstände hoch: der alte Teddybär aus Jo Anns Kindheit, der durch einen Streifschuss beschädigt wird oder die Schnellfotos aus dem Automaten, die die Verlegenheit von Jo Anns Lächeln dokumentieren. Verblasste Momente, die kurzfristig Trost spenden, bevor die Realität Joe Adams mit Revolversalven und Drohungen über Lautsprecher einzuholen versucht. Die brachiale Gewalt der Polizei, die in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Situation steht, betont die Hilflosigkeit der Behörden, die nur nach Vorschrift handeln und weder gesprächs-, noch kompromissbereit sind. Die Verschärfung der Lage durch das verbissene Festhalten der Amerikaner an ihrem Recht auf Verteidigungsinstrumente, welches dazu führte, dass fast jeder Kleinbürger bis auf die Zähne bewaffnet ist, entlarvt die Vertreter des Staates im zweiten Friedensjahr nach dem Weltenbrand, der in Nazideutschland angefacht wurde, als in ihrem Vernichtungsdrang unaufhaltsame und verbissene Männer.
Barbara Bel Geddes schafft es in ihrem Debüt als Schauspielerin, eine mädchenhaft unverdorbene Aura zu transportieren, die nach frischem Heu und Kornblumen duftet, aber trotzdem nicht vollkommen berechenbar ist. Tritt sie dem Zuschauer zunächst unbedarft und bescheiden entgegen, so entfaltet sich nach und nach ein Geheimnis, das wie eine unsichtbare Barriere zwischen ihr und Henry Fonda steht, den sie zwar bedingungslos mag, sich ihm aber dennoch nicht völlig öffnen will. Der geschmeidige, in seinem Metier als Magier sowohl kurios, als auch berechnend wirkende Vincent Price fungiert als Katalysator von Jo Anns Wünschen und Träumen, die bisher im täglichen Arbeitsrhythmus unerhört und unausgesprochen blieben. Das Faszinosum einer Welt voller Überraschungen, umgibt den Entertainer mit den grauen Schläfen, dessen maliziöser Charme laufend neue Opfer sucht. Unter dem Vorsatz der Täuschung umgarnt er die schutzlose Frau, deren Urteilsvermögen mangels vergleichbarer Erfahrungswerte nicht ausgeprägt ist und deren Sehnsucht nach Romantik sie für Schmeicheleien empfänglich macht. Wieder einmal steht Price für einen sorglosen Umgang mit den traditionellen Vorstellungen einer bürgerlichen Existenz. Seine schillernde Persönlichkeit kontrastiert mit dem bodenständigen Henry Fonda, welcher der Koketterie von Price mit Unverständnis gegenübersteht. Die Klimax ist unausweichlich, weil Vorwürfe, Verdächtigungen und Heimlichkeiten in explosiver Weise eskalieren und immer neues Öl ins Feuer gießen. Anatole Litvak befeuert das Szenario mit emotionalen Großaufnahmen der leidenden Personen, mit stimmigen Schauplatzwechseln und düsteren Überblendungen, die der wartenden Menge und der immer aggressiver werdenden Polizei großen Raum geben, indem ihre Reaktionen den Hauptdarsteller an den Rand drängen. Im Finale schlägt die Stunde der weiblichen Heldin, die sich die Seele aus der Brust redet und in ihrer Ausweglosigkeit eine innere Kraft entwickelt, die sich über Hindernisse und Einschränkungen hinwegsetzt. Barbara Bel Geddes überzeugt durch ihr empathisches, mitreißendes Spiel, das auch die RKO beeindruckte und ihr einen Sieben-Jahres-Vertrag bescherte. "Die lange Nacht" aka "Den letzten fressen die Geier" erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich mit einer unbedachten Geste zum Outlaw gemacht hat und nun in Rückblenden jene Ereignisse Revue passieren lässt, die zu dem Mord führten. Henry Fonda und Barbara Bel Geddes überzeugen durch ihr authentisches Spiel, Vincent Price malt einmal mehr das Bild eines Exzentrikers an die Wand. Beeindruckend!