DER KOMMISSAR

Der Tummelplatz für alle Serienjunkies und Binge-Watcher!
Von DALLAS bis DENVER, vom TATORT in die LINDENSTRASSE über BREAKING BAD bis hin zu GAME OF THRONES.
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Prisma
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Re: DER KOMMISSAR

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● FOLGE 46 | DER KOMMISSAR | ÜBERLEGUNGEN EINES MÖRDERS (D|1972)
mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper
Gäste: Harry Meyen, Grit Boettcher, Christiane Rücker, Claudia Butenuth, Ernst Stankovski, Panos Papadopulos und Nadja Tiller
hergestellt durch die Neue Münchner Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF
Regie: Dietrich Haugk



Kurz bevor der reiche Fabrikant Georg Taveller seine Villa betritt, wird ein Mordanschlag auf seine junge Frau Erika verübt. Die Schüsse gingen jedoch ins Leere und vom Täter fehlt jede Spur. Da die Kriminalpolizei einen weiteren Anschlag erwartet, quartiert sie sich kurzerhand im Haus ein und ist mit einer nervösen Spannung konfrontiert, die kaum durchbrochen werden kann. Doch wo liegt das Motiv? Alle Beteiligten wirken bei den Erhebungen alles andere als kooperativ und überhaupt scheint es sich um sehr komplizierte Verhältnisse untereinander zu handeln. Trotz der Polizeipräsenz kann ein weiterer Anschlag nicht verhindert werden, doch dieses Mal verfehlen die Schüsse ihr Ziel nicht …

Mord in der besseren Gesellschaft ist nicht gleichbedeutend damit, dass sich das Opfer zu Lebzeiten auch in bester Gesellschaft befunden hat. Ein früher Mordanschlag und eine überaus nervöse Aura definieren die 46. "Kommissar"-Folge gleich zu Beginn, sodass man dem Geschehen sehr interessiert folgen wird. Die Hauptpersonen werden in einem regelrechten Vakuum vorgestellt; ein goldener Käfig mit offener Tür, aus welcher sich aber niemand hinaus traut. Da Dietrich Haugk wieder einmal Platz auf dem Regiestuhl genommen hat, kann das Publikum erwartungsvoll auf einen Kriminalfall blicken, der besonders dicht ausgearbeitet ist. Das Hauptaugenmerk liegt erneut auf Personen, die man postwendend als eigenartig, exaltiert und unberechenbar identifizieren möchte. Panische Angst steht im Raum, die sich nach dem Attentat bei dem noch lebenden Opfer immer weiter zuspitzt, doch keiner geht auf ihre Bedürfnisse ein. Vor allem ihr eigener Ehemann versucht die Gefühlslage als Hysterie abzutun, um jede Regung im Keim zu ersticken. In der Serie gab es bereits zahlreiche Ehen am Scheideweg oder Abgrund, doch hier werden gleich zwei Ehefrauen mit dem Namen Taveller präsentiert. Die abgelegte und die aktuelle Ehegattin, sodass ein regelrechtes Umherschleichen von Hyänen vorprogrammiert sein könnte. Kommissar Keller versucht die Sachverhalte und Kapriolen der Herrschaften wie immer sachlich und sinnvoll zu ordnen, doch es wäre schließlich auch ein Wunder, wenn sich hier plötzlich Kooperationsbereitschaft ausfindig machen ließe. Im Karussell der Emotionen lässt sich nur Negatives finden: abgrundtiefer Hass, stumpfsinnige Mechanik, verletzender Hochmut, verdeckter Neid und panische Angst. Auch wird dieser Fall zeigen, wie viel Kalkül sich unter die Leute gemischt haben könnte, doch bis dorthin hat die Kriminalpolizei noch einen langen und nicht minder interessanten Weg vor sich. Als Zuschauer wartet man gespannt auf das nächste Attentat und geht natürlich davon aus, dass die Todesfolge nicht ausbleiben dürfte. Die Regie inszeniert ein spannendes Versteckspiel und behält ihre Karten lange Zeit auf der Hand.

Als die Tatsachen plötzlich regungslos in Form einer Leiche auf dem Boden liegen, spürt man die sorgsam aufgebaute Verblüffung dieser Episode, aus der sich neue Erkenntnisse ergeben und man gefordert wird, in andere Richtungen zu denken. Wo die Motive liegen, dürfte sich aus zwischenmenschlichen oder vielleicht sogar nur weltlichen Verstrickungen ergeben. So denkt man zumindest, doch es bleibt auch spannend, wenn die Episode beinahe vollkommen auf die Schauspieler-Ebene wechselt. Bei "Überlegungen eines Mörders" handelt es sich ohne jeden Zweifel um eine top besetzte Folge, die ebenso hervorragende Darbietungen zutage bringt. Insbesondere Harry Meyen, Nadja Tiller, Christiane Rücker und Grit Boettcher manipulieren diesen Fall in ihre individuellen Richtungen und es ist zeitweise tatsächlich so, dass man einfach nur erstaunt zusehen kann, wie sich die Clique auf unterschiedlichste Art und Weise gegenseitig unterminieren will. Einer von ihnen, so viel ist klar, ist bei dem, was zuvor wie ein Roulette gehandhabt wurde, zu weit gegangen. Die Ermittler reagieren zeitweise erfrischend behelligt von so viel spezieller gegenseitiger Zuwendung, was auflockernd und erfrischend wirkt. Getragen von derart vielfältigen positiven Voraussetzungen, kann der Verlauf selbstbewusst auf die Zielgrade zusteuern, die noch einige Überraschungen bereithalten wird. Wie die hier angekündigten Überlegungen eines Mörders schlussendlich ausgesehen haben, wird vom Script beinahe spektakulär aufgerollt, jedoch nicht ohne auf die Gedankenfolgen der anderen Personen einzugehen. Wenn das Eis schließlich gebrochen ist, bleibt eine Eiseskälte im Szenario zurück, die sich in Form von mangelnder Anteilnahme auf das Publikum überträgt. Hin und wieder und vor allem hier denkt man sich anschließend, dass Kommissar Keller und seine Leute in wesentlich besserer Runde sind, wenn sie einfach nur mit gewöhnlichen Kriminellen konfrontiert sind, die keine Fehden mit dem vermeintlichen Stil der Upperclass austragen. Dietrich Haugks Episode ist in jeder erdenklichen Beziehung gelungen und kann daher besonders clever und umfangreich unterhalten.

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Re: DER KOMMISSAR

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● FOLGE 47 | DER KOMMISSAR | TOD EINES SCHULMÄDCHENS (D|1972)
mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz
Gäste: Heint Bennent, Ella Büchi, Wolfgang Preiss, Simone Rethel, Hartmut Reck, Andreas Seyferth, Peter Schütte und Helga Anders
hergestellt durch die Neue Münchner Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF
Regie: Theodor Grädler



Die Schülerin Kirsten Benda wird auf offener Straße erschossen, vom Täter fehlt jede Spur. Kommissar Kellers Ermittlungen führen in das Umfeld und den Schulalltag der Toten und dort ergibt sich ein erstaunliches Bild. Im Lehrer-Kollegium zeichnet man beinahe einstimmig das Bild einer renitenten, boshaften und nicht zu führenden Persönlichkeit, die ihren Lehrer, Dr. Gebhardt, an den Rand der Beherrschung und soweit gebracht haben soll, seinen Beruf endgültig aufgeben zu wollen. Zum Erstaunen des Kollegiums und der Mordkommission spielt jedoch gerade dieser die massiven und allseits bekannten Probleme bei jeder sich bietenden Gelegenheit herunter …

»Schwierigkeiten? Die war nie in Schwierigkeiten. Die hat nur jedem anderen Schwierigkeiten bereitet. Jedem, jedem, der mit ihr zusammen war, die hatte den Teufel im Leib!« Diese verbitterten Worte sind zunächst die einzigen, die einer gezeichneten Mutter über ihrer gerade ermordeten Tochter einfallen, welche sich noch andernorts in ähnlicher Intensität und Wortwahl potenzieren werden. Theodor Grädler inszeniert gleich von Beginn an eine Episode, die von Befragungen, Antworten und anschaulichen Rückblenden dominiert sein wird. Eine Schülerin wurde ermordet, die Anteilnahme hält sich traurigerweise in Grenzen, da der Schock tief sitz oder man sogar Erleichterung wahrnehmen kann. Bei Erwachsenen war Kirsten Benda nicht nur berüchtigt, sondern auch verhasst und gefürchtet, wo hingegen sie bei Gleichaltrigen beliebt und für ihre Unerschrockenheit bewundert wurde. Diese Angriffslustigkeit wurde ihr insbesondere von Lehrern jedoch regelmäßig als Renitenz ausgelegt, bis sogar zu vernehmen ist, dass sie mit dem personifizierten Bösen gleichgesetzt wurde. Diese interessante Zeichnung aus herben Kontrasten erfordert eine deutliche Einordnung der Regie, die den Zuschauer gemeinsam mit der Titelfigur Helga Anders durch mehrere Etappen des Widerstandes führt. Von Kirsten entsteht hierbei das Profil einer intelligenten, mutigen und eloquenten, wenn auch kompromisslosen Rednerin, die sich für andere einsetzt. Sie agiert mit erstaunlicher Contenance und fällt ohnehin durch eine nachdenkliche und beinahe traurige Aura auf. Sie eckt an, ist unbequem und kämpft immer an erster Stelle; doch reicht all das aus für einen hinterhältigen Mord? Es scheint zumindest so, denn immerhin liegen die Tatsachen tot auf offener Straße. Die Befragungen und Rückblenden im Schulalltag ergeben überaus dumpfe Impressionen und eine sich aus gegenseitigem Protest ergebende Mechanik, die das Aushöhlen gewisser Charaktere nach sich ziehen soll. Auch wird unverblümt zu Protokoll gegeben, dass das Leben ohne eine Kirsten Benda ab sofort leichter für alle sein dürfte, was schon eine gewisse Bestürzung hervorzurufen weiß, zumal ein Verbrechen geschehen ist.

Der selbstgefällige Schuldirektor leitet lediglich eine logische Konsequenz aus dem Ende der jungen Schülerin ab, nicht ohne dabei auf ihren boshaften Charakter zu verweisen. Subtil wird das hier antiquiert dargestellte Handwerk der Pädagogik auf den Prüfstand gestellt, welches von den Veränderungen der Zeit längst überholt zu sein scheint. Theodor Grädler führt das immer irritierter werdende Publikum in den seltsamen Radius der Gedankengänge der älteren Generation, die sich in Rechtfertigungen und Erklärungen für einen hinterhältigen Mord verliert. Der noch nicht greifbare Täter wird dabei nicht betrachtet und indirekt verschont. Kommissar Keller und seine Leute können ihr Unverständnis manchmal kaum verbergen und solidarisieren sich insgeheim mit dem Zeitgeist beziehungsweise der Gerechtigkeit. Für den Zuschauer ergeben sich zahlreiche mögliche Motive, da sie bei Mord einfach nicht rationaler Natur sein können. Die Architektur dieser 47. Episode fordert die Aufmerksamkeit eines jeden Zuschauers, da man genau hinhören und zwischen den Zeilen lesen sollte, um den Ursprung für ein mögliches Hassverbrechen ausfindig zu machen. Bestückt mit exzellenten Interpreten kommt selbst unter den gegenseitig Solidarischen des Szenarios ein unbändiges Tauziehen auf, dessen Intensität unaufhörlich erscheint. Jeder ist daran interessiert, dass die Polizei oder das jeweilige Gegenüber die gerade dargelegte Sicht auf die Dinge bedingungslos abnimmt, am besten ohne zu hinterfragen oder Widerworte zu geben, für die Kirsten Benda als Inbegriff steht. Ella Büchi, Hartmut Reck, Wolfgang Preiss, Peter Schütte und insbesondere Heinz Bennent liefern hier sehr anschauliche Leistungen des oberen darstellerischen Niveaus, ebenso wie Helga Anders, deren Ausstrahlung vollkommen und in lukrativer Weise funktionalisiert wird. Thematisch gesehen darf "Tod eines Schulmädchens" in der "Kommissar"-Reihe durchaus als eines der produktivsten Populärthemen angesehen werden, da erneut Generationenkonflikte und drastisch folgende Maßnahmen aufflammen, allerdings gelingt es Regisseur Theodor Grädler auch geschickt, eine sehr passende Tragik in seinen Stoff einfließen zu lassen, die für späte Überraschungsmomente sorgt.

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● HELGA ANDERS als KIRSTEN BENDA in
DER KOMMISSAR - TOD EINES SCHULMÄDCHENS (D|1972)



In ihren zwei Auftritten in der "Kommissar"-Serie spielte Helga Anders ähnlich angelegte Rollen, was sich vor allem auf das an ihr haftende Image beziehen soll. Obwohl ihr tatsächliches Alter wie hier meistens schon wesentlich fortgeschrittener war, als das eines Schulmädchens, wurde sie immer wieder mit diesem Typ assoziiert, zumal es der Interpretin mit Durchschlagskraft möglich war, diesen glaubhaft darzustellen. Dieses Profil gilt im Übrigen auch für andere Serien, in der sie immer wieder die "Kindfrau" oder eine Abwandlung der "Lolita" darzustellen hatte. In dieser 47. Episode der bereits in der Hälfte der Laufzeit angekommenen Serie spielt Anders die Titelrolle, deren Schicksal im Episodentitel unmissverständlich angekündigt wird. Ihre wenigen Szenen der noch lebenden Kirsten Benda werden gleich zu Beginn aufschlussreich abgehandelt, der Rest wird in weiterer sehenswerter für das Publikum dargestellt. Zunächst ist das Schulmädchen in einer Spielhalle zu beobachten, als Alleingängerin, denn sie sucht keinen Anschluss, der ihr normalerweise in den Schoß fällt. Etwas desinteressiert verlässt sie den Saal und es fallen drei Schüsse. Der Zuschauer rätselt ab sofort mit, was es für ein Motiv geben könnte, und zu diesem Zweck wird das Profil der Benda durch Berichterstattungen und Rückblenden geschärft. Gezeichnet wird eine unbändige Furie, der es sadistischen Spaß bereite, andere zu quälen und die Contenance verlieren zu lassen. In den entsprechenden Flashbacks erlebt man jedoch eine immer ruhige, wenn sich auch laut zu Wort meldende junge Frau, die keine Konfrontation scheut, oder sie vielleicht sogar sucht. »Ich widerspreche nicht, ich argumentiere!«, hört man sie zu ihrem Lehrer Dr. Gebhardt sagen, der seine Selbstbeherrschung bereits längst an der Garderobe abgegeben hat. Kirsten ist das buchstäbliche rote Tuch, das ihn regelmäßig zur Weißglut und Verzweiflung bringt. Helga Anders stattet ihre Titelrolle mit für sie bekannten und überaus cleveren Kniffen aus. Sie bleibt stets bedacht in ihrem Tonfall, der etwas Desinteressiertes und daher Herabwürdigendes transportiert, aber sie wird nie laut und. Ihre Eloquenz scheint berüchtigt zu sein, denn sie trägt ihre Anliegen gerne auch im Namen anderer beziehungsweise des Klassenkollektivs in geschliffenen Monologen vor. Das Ausrasten des Gegenübers ist mittlerweile immer vorprogrammiert.

Das Elternhaus von Kirsten Benda spiegelt nur müßige Arbeit, Einfachheit und unaufhörliche Pflichten, also das Funktionieren in einer unerbittlichen Gesellschaft. Umso schlimmer ist es für Vater und Mutter, dass ihre Tochter so weit davon entfernt ist. Das Sorgenkind ist bereits lange vor der Todesnachricht abgeschrieben gewesen, buchstäblich für die Eltern in den Brunnen gefallen, dabei verfügte ihre Tochter doch über weitaus bessere Voraussetzungen und Kapazitäten als sie selbst. Damit ist etwa ein Horizont gemeint, die Lust zu hinterfragen, zu entdecken und Probleme auf mehreren Ebenen lösen zu wollen. Als Problem haben sie immer nur andere identifiziert; es ist anzunehmen, dass sie ihren Weg heraus aus dem Muff gemacht hätte. Dies ist der erste tragische Baustein der Geschichte um das Mädchen, der zweite, fundamentale wird gegen Ende der Episode gelüftet. Helga Anders personifiziert diese Tragik mit Leichtigkeit, ihr nachdenkliches Wesen und ihr schreckliches Ende provozieren Mitgefühl. Das bestehende Image der Schauspielerin wirkt über die volle Distanz dieser Folge greifbar, verständlich und sogar eine Nuance geheimnisvoll. Diese und andere Serien auch, leben von derartigen Charakteren im Fokus des jeweiligen Geschehens und sie finden oft ihr drastisches Ende wegen leicht zu erklärenden Motiven, die jedoch nicht zu entschuldigen sind. Ob Neid, Hass, Missgunst oder bloße Angst; es gibt viel beziehungsweise mehr zwischen Serienhimmel und Erde, als man sich vorstellen kann. Diese Episode wird hauptsächlich von Helga Anders und ihrem Schweizer Kollegen Heinz Bennent getragen, da sie als erbitterte Kontrahenten in die Arena gelassen werden. Die eigene Hilflosigkeit wird mit der provozierten des anderen kaschiert, situatives Unverständnis für das Gegenüber mit ungefilterten Emotionen überladen. Es bleibt die Frage, wer Kirsten Benda besser hätte darstellen können als Helga Anders, der man alles, aber wirklich alles ohne Rückfragen abnimmt. Die günstige Grundvoraussetzung dafür ist ihre fundamentale Vorstellungskraft für Rollenprofile, ihre chamäleonartige Fähigkeit, Charaktere zu formen und ihre Bereitschaft, nicht immer gefallen zu müssen. Der Tod ist immer die logische Konsequenz der Serie, doch dieses Ableben besitzt das Potenzial, besonders unter die Haut zu gehen, vor allem, falls man kollektiven Falschaussagen auf den Leim gegangen ist.



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● FOLGE 48 | DER KOMMISSAR | TOTER GESUCHT (D|1972)
mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz
Gäste: Bernhard Wicki, Eleonore Weisgerber, Rose Renée Roth, Niko Macoulis, Bruno W. Pantel und Christoph Bantzer
hergestellt durch die Neue Münchner Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF
Regie: Theodor Grädler



Kommissar Keller wird von einem Mann aus seiner Nachbarschaft, dem Ladenbesitzer Johannes Berneis, zum Gespräch gebeten. Zu seinem Erstaunen bezichtigt dieser seinen eigenen Sohn Franz des Mordes, doch Berneis hat bis auf Verdachtsmomente kaum etwas zu bieten. Auch geht keine Meldung über einen unbekannten Toten beider Mordkommission ein. Dennoch heftet sich Kommissar Keller an Franz und dessen Freundin. Da das Paar plötzlich über ungewöhnliche finanzielle Mittel verfügt und mit Geld um sich wirft, wird der Ermittler noch misstrauischer. Da er weiß, dass sich jeder Mörder früher oder später für seine Tat zu rechtfertigen versucht, wartet er nur auf den richtigen Moment und geht den eigentlich noch nicht vorhandenen Fall psychologisch an …

Fälle, die eigentlich noch gar nicht existieren, können trotz deutlicher Hinweise auf den Täter eine besondere Form der Spannung aufbauen, zumal die Verdächtigen gnadenlos in die Zange genommen werden müssen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, entscheidende Fehler zu begehen. Dass ein Vater seinen Sohn des noch unbestimmten Mordes beschuldigt, fabriziert eine besondere Brisanz, denn in Kriminalserien war es bislang eher die Regel, dass Väter oder Eltern ihre Sprösslinge mit allen Künsten der Vertuschung vor der Verurteilung bewahren wollten. Dieser interessante Kniff des Scripts liefert sofort einen Schuldigen, der sich durch sein eigenes Verhalten zusätzlich verdächtig machen wird. Sein Vater ist ein einfacher aber offensichtlich rechtschaffender Mann, der vielleicht alles ertragen könnte, nur nicht die Last der indirekten Mitschuld, und sei es durch profanes Schweigen. Kommissar Keller bekommt in dieser 48. Episode der abwechslungsreichen Serie einen Alleingang auf den Leib geschneidert, sodass es ihm möglich sein wird, all seine Routine, Erfahrung und Menschenkenntnis auszuspielen. Seine Kollegen rücken dabei in die dritte Reihe. Erik Odes Art des Interpretierens macht einen großen Teil der Qualität dieses Mordfalles ohne Corpus Delicti aus, denn er geht die Angelegenheit naturgemäß skeptisch, aber sehr besonnen und pragmatisch an, bis er in entscheidenden Momenten zuschnappen kann. Wie ein Schatten heftet er sich an seinen Verdächtigen, doch auch an dessen Freundin oder ihre Tante, was für Franz Berneis noch viel schlimmer ist, da es einem Kontrollverlust gleichkommt. Im Vorfeld glaubte der junge Mann wohl zu jeder Zeit, die Regie über die Situation behalten zu können, doch sein Konstrukt gerät gehörig durch die Emotionalität des Vaters, die Nervosität seiner Freundin, die Redseligkeit ihrer Tante und schließlich die Zielstrebigkeit des Kommissars ins Wanken. Theodor Grädler konzentriert sich in diesem Fall auf die wenigen vorhandenen Interpreten, die jedoch gebündelte Leistungen höchster Präzision anbieten. Zwar muss allen voran Erik Ode als Motor genannt werden, allerdings können sich insbesondere der wie immer großartig aufspielende Bernhard Wicki und Christoph Bantzer in einem sich immer mehr zuspitzenden Schlagabtausch profilieren.

Es stellt sich fortan die brisante Frage, wo die Leiche ist, denn ob man überhaupt eine finden wird, ist nicht die interessante Frage, da Kommissar Keller bereits seinen Instinkt spielen lässt. Er weiß nur zu gut, dass es ohne Beweise in Form eines Toten keinen Mordfall gibt und ohne diesen auch keine Anklage. Dass ein Krimineller unbehelligt bleiben könnte, wird zum zentralen Thema, welches vor allem den Vater des Verdächtigen umtreibt. Er wollte seine beiden Söhne zu anständigen und produktiven Teilen der Gesellschaft erziehen. Dass der ältere von beiden ein Krimineller sein könnte, ist für ihn indiskutabel, sodass er gleichzeitig Schuld und vor allem Sühne auf dem Tableau haben möchte. Die Ermittlungen Kellers scheinen zunächst auf einem Weg aus Granit und Widerstand ins Leere zu laufen, bis er in Form einer Kehrtwendung die Daumenschrauben anlegt: Er heftet sich an die richtigen Leute, die den Verdächtigen in einen Tunnel der Nervosität zwingen. Jeder Krimi-Fan weiß genau, dass ruhelose und angestrengte Täter irgendwann die Fassung verlieren und eine Reihe von bedeutenden Fehlern begehen, die ihn schlussendlich überführen. Eben auf diesen Moment warten alle Beteiligten, den Verdächtigen und seine mögliche Komplizin ausgenommen. Regisseur Grädler inszeniert eine sehr geradlinige Geschichte, welcher ein interessantes Script von Herbert Reinecker zugrunde liegt. Die Abwechslung ergibt sich alleine aus der Tatsache, dass die Karten auf dem Tisch liegen, wenn auch ungeordnet. Der fehlende Whodunit-Effekt wird vollkommen durch das stringente Aufrollen des Falles und der zielstrebigen und mit Instinkt versehenen Arbeit des Kommissars ersetzt, sodass man sich nicht gerade in einem Verlauf wiederfindet, der an Spannung und Überraschungen spart. Die Leistungen der wenigen Interpreten sind dabei großartig, wobei zunächst vor allem Erik Ode genannt werden muss. Auch Bernhard Wicki und Christoph Bantzer etablieren sich als wichtige Bestandteile dieses Kriminalfalles, den sie mit Präzision und authentischem Stil ausstatten. "Toter gesucht" suggeriert dem Publikum, dass dieser auch auf jeden Fall gefunden werden dürfte und es bleibt ein interessanter, pragmatischer Fall, bei dem bestimmten Personen gegen Ende noch die Koketterie und Unberechenbarkeit ausgehen wird.

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● FOLGE 49 | DER KOMMISSAR | EIN AMOKLAUF (D|1972)
mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz
Gäste: Gerd Baltus, Krista Keller, Elisabeth Wiedemann, Charles Regnier, Hans Quest, Ingrid Capelle, Ellen Umlauf und Götz George
hergestellt durch die Neue Münchner Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF
Regie: Wolfgang Becker



Erich Weißmann, ein verurteilter Mörder, konnte aus dem Gefängnis ausbrechen und sich eine Schusswaffe besorgen. Bei seiner Flucht scheint er nur ein Ziel zu kennen und auf Rache zu sinnen. Offenbar möchte er das nachholen, was ihm seinerzeit nicht gelungen war: seine Frau umbringen. Kommissar Keller und dessen Kollegen begeben sich schnellstens in das frühere Umfeld des Entflohenen, um die Beteiligten zu schützen. Während der Befragungen lernen sie bei dieser Gelegenheit die kaltschnäuzige Frau Weißmanns und deren Liebhaber kennen, die sich in immer weiter zuspitzender Nervosität und Angst einen verstörenden Schlagabtausch liefern. Derweil kommt der Ausbrecher seinem Ziel immer näher …

Die "Kommissar"-Reihe pflegte über ihre gesamte Laufzeit auf sehr pragmatische und daher aussagekräftige Titel-Aufhänger zurückzugreifen unter denen sich auch einige Reißer befinden, wie in dieser 49. Folge. Der Titel klingt wie eine Ankündigung schrecklicher Seheindrücke, die auf das Publikum zukommen sollen, doch der Verlauf klärt in spektakulärer Weise auf, wo Schuld und Sühne zu verorten sind. Ein Blick auf die Besetzung verspricht ein Happening, immerhin ist eine unbändige Kapazität wie Krista Keller am Werk, deren leidenschaftliche Kapriolen schon andernorts aufgefallen sind. Thematisch gesehen ist das Gesamtbild sicherlich nicht selten unangenehm und erschreckend, aus darstellerischer Sicht kann einem jedoch nichts Hochwertigeres geboten werden, als die feinen Nuancen und mitunter extrem nach oben ausschlagenden emotionalen Amplituden einer berüchtigten Könnerin. Allerdings ist diese Episode auch unter der Leitung eines Krimi-Spezialisten entstanden, der es versteht, dem Publikum Glatteis und überraschende Tatsachen anzubieten. "Ein Amoklauf" auf die exzellente Crew zu reduzieren, wäre nicht angemessen, da ein Script zugrunde liegt, das eine Hetz- und Treibjagd in einem veranstaltet. Einem schnell von der Regie abgehandelten, bewaffneten Ausbruch folgt eine resolute Flucht durch den Schutz der Dunkelheit. Bilder der dennoch lebendigen Stadt werten das Szenario bereits früh auf, nicht ohne dabei zu vergessen, dass der verurteilte Mörder nur ein Ziel kennt. Schnell und vor allem unbestimmt werden Beschützerinstinkte aktiviert, die in Richtung des designierten Opfers gehen, doch dieses Gefühl hält nur so lange vor, bis man die besagte Dame kennenlernt und in Aktion erlebt. Man begreift langsam aber sicher, dass dieses völlig egomanische Wesen die große Provokateurin dieser blendend aufgerollten Assoziationskette ist, überdenkt das eigene Mitgefühl und tauscht es ein gegen forcierte Erkenntnisse. Natürlich bleibt die Hoffnung bestehen, dass Hannelore alias Krista Keller verschont bleibt, doch weiß auch nur zu genau, dass eine "Kommissar"-Folge ohne Leiche ziemlich unwahrscheinlich ist. Die Polizei spielt eine ebenso prominente wenn auch passive Rolle wie die fundamentalen Charaktere dieses angekündigten Amoklaufs und es kommt zu einer Aufführung, die verblüfft.

Wahrzunehmen sind allseits erstaunte Gesichter der Zuhörer, die beiden Hauptakteure bekommen durch Krista Keller und Götz George gnadenlose Geschosse mit auf den Weg, die nötig sind, um Hassobjekte zu präsentieren. Der in der Serie nicht gerade unübliche Einsatz von alkoholischen Zungenlösern tut das Übrige dazu. Kommissar Keller versucht derweil, sich die mögliche Tat, Intentionen und Wahrscheinlichkeiten von einem Experten erläutern zu lassen, der pragmatisch und überaus deutlich von Charles Regnier dargeboten wird, um die Situation für das Publikum nur weiter zu befeuern, da keine erbauliche Prognose zustande kommt. Der 49. Fall der Reihe bietet eine große Unberechenbarkeit an, die sich auf ihre Hauptpersonen überträgt, oder sogar andersherum. Im Nacken eines jeden Zuschauers sitzt ein spitzer Sekundenzeiger, der permanent anmahnt, dass Täter, Richter und Henker, vereint in einer einzigen Person, jederzeit zuschlagen könnte. Überdies kann der Fall ebenso als atemberaubende Schauspielerfolge bezeichnet werden, als Dialog-Lehrstunde oder eben auch handelsüblicher Krimi, dessen Stärken aufgerollt werden, wie ein schwerer Teppich. Über die individuellen Qualitäten von Krista Keller und Götz George zu sprechen, oder deren scharfzüngiges, intensives und schlussendlich beeindruckendes Zusammenspiel, wäre beinahe wie Eulen nach Athen tragen. Aber auch das stellt sich als lohnende Aufgabe heraus. Gerd Baltus fällt durch eine überaus präsente Darstellung der Titelrolle auf, die am Ende auch anderen Charakteren des Verlaufs hätte zugeteilt werden können. "Ein Amoklauf" verfügt über eine unablässige Hochspannung und viele bedeutende Aha-Effekte, die manchmal leider zu sehr dazu verleiten, zu viel Verständnis mit einem verurteilten Kindsmörder zu haben. Wolfgang Beckers Händchen zeigt sich jedoch nicht nur in Basisbereichen, sondern auch im Verborgenen, denn diese schwierige Geschichte stellt alles andere als einen klassischen Selbstläufer dar. Wenn alle Masken und Kinnladen gefallen sind, sitzt das Publikum immer noch gebannt vor einem abstoßenden Scherbenhaufen und die Musik des Abspannes bietet kaum genügend Zeit, um das Wahrgenommene ordnen zu können, denn dafür hat es zu viele toxische Sinneseindrücke gegeben. Der Borderliner der Reihe.

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● KRISTA KELLER als HANNELORE in
DER KOMMISSAR - EIN AMOKLAUF (D|1972)



»Die Frau hat ihn betrogen, jahrelang!« Mehr Informationen sind zunächst nicht über die Dame zu hören, die seinerzeit offenbar Auslöserin einer Familientragödie war, als ihr Mann versuchte sie zu ermorden. Ergebnis: die Kinder und der Schwiegervater sind tatsächlich tot, Hannelore Weissmann überlebte schwer verletzt. Der Alptraum nimmt wieder Gestalt an, als Erich Weissmann aus dem Gefängnis flieht, um vermutlich das vollenden zu wollen, was der gehörnte Ehemann damals nicht geschafft hat. Ohne sie zu sehen, schwebt Krista Keller in allerhöchster Lebensgefahr, und der Kenner weiß, dass man sich auf eine Performance gefasst machen kann, die erneut zum Staunen verleiten dürfte. In der Zwischenzeit ergeben die Befragungen von Bekannten, dass man es mit einem wohl eher schwierigen Charakter zu tun hat, manche werden sogar nicht müde erwähnen, dass es sich um ein Flittchen handelt. Regie, Beteiligte und Script bemühen sich erst gar nicht, aus dem Opfer eine Heilige zu machen, doch Krista Keller wird noch selbst die Bühne betreten, die für sie geebnet wird. Hannelore hat einen neuen Mann an ihrer Seite, was vor allem aus dem Grund verständlich ist, dass sie sich nicht nur für einen Mann alleine gemacht sieht. Paul, sozusagen ihr neuer Alter, wird von Götz George dargestellt, was eine besonders scharfzüngige Interaktion mit sich bringt, doch Keller wird es einmal mehr höchstpersönlich sein, die beinahe alle erdenklichen Register zieht. Eigenartigerweise hat man als Zuschauer wenig Mitgefühl mit dem Opfer, denn es strapaziert mit Verhaltensweisen, die irritieren und Nerven kosten. In der Zwischenzeit arbeitet sich der potenzielle Amokläufer immer weiter durch die Stadt, und man ahnt, welches Ziel er verfolgt. Als Krista Keller und Götz George die Manege betreten, geben beide zumindest rein optisch ein gutes Match ab, doch der Umgang miteinander zeichnet ganz andere Verhältnisse, bis man schnell mit den beiden die Nerven, oder eher Geduld verliert.

Es entwickelt sich eine eigenartige Dynamik, die sich aus Angst, Nervosität, Hysterie aber vor allem Schuldgefühlen zusammensetzt. Krista Keller zeichnet ab sofort ein zickiges Nervenbündel, die ihrem neuen Kerl offenbar in vielerlei Hinsicht zu Diensten ist. Auch er zuckt bei dem Gedanken zusammen, dass Erich in das Haus gelangen könnte, immerhin dachte jeder, dass er das Zuchthaus nie wieder verlassen würde. Es stellt sich heraus, dass die Affäre bereits uralt ist, man Weissmann gerne demütigte und vorführte, ihn in Situationen brachte, die den Begriff in flagranti ganz neu definieren. Hannelore soll bei diesen Gelegenheiten auf sexuelle Hochtouren gekommen sein, wenn sie genau wusste, dass sie überrascht werden würde, und somit verstärkt sich der Eindruck, dass es sich um einen Eisblock handelt. Dennoch denkt man als treuer K-Fan daran, auf welcher Seite sie im eigentlichen Sinn steht und hofft bis zum Schluss, dass es sie nicht erwischen möge. Ihr Neuer ist ein hoffnungsloser Schwätzer und Feigling, der die Hosen sichtlich voll hat. Götz George brilliert beim Ausbuchstabieren eines schwachen Charakters ohne Prinzipien, der obendrein primitiv ist; vielleicht nicht gerade primitiver als seine Partnerin, aber dennoch in diesen Sphären zu finden. Hannelore ist wie geschaffen für einen derartigen Typ Mann, der sie lenkt und deckelt, wo es nur geht. Mit Erich Weissmann muss es genau anders herum gewesen sein, was Hannelore schnell das Interesse vor allem an einem bürgerlichen Zusammenleben verlieren ließ. Wer in dieser Konstellation nach Schuld sucht, wird schnell fündig, die spannende Frage bleibt jedoch, wie die Sühne aussehen wird. Das Publikum staunt jedenfalls über eine derartig unverfrorene Frau, deren Schamlosigkeit langsam aber sicher von ihrem neuen Partner aufgedeckt wird, da er sich von jeglicher Schuld reinzuwaschen versucht. Das Szenario entwickelt sich schließlich zu einem Gerichtsverfahren im privaten Ambiente, in dem Hannelore auf der Anklagebank sitzt und die Solidarität entzogen bekommt.

Krista Keller gefällt sich erneut beim Ausloten extremer Verhaltensweisen, ob emotional oder gesellschaftlich. Man vermisst Reue, ebenso wie die Trauer über den Tod ihrer Kinder. Alles was zählt, scheint das Vergnügen zu sein, welches seine Erfüllung offensichtlich mit Paul erfahren hat. Es ist erstaunlich, dass man Krista Keller hier immer wieder dabei beobachten kann, wie sie in die Defensive gedrängt wird. Zwar kommt es zu beinahe inadäquaten Gefühlsausbrüchen, doch es verschlägt ihr auch immer wieder die Sprache, wenn Paul sie diskreditiert. Dass er sie vor versammelter Mannschaft als »verdammte Hure« bezeichnet, ist nur eine der Spitzen, die sich in der aufgeladenen Atmosphäre finden lassen. Hannelore ist an einen Typ Mann geraten, der sie zur Hörigkeit verdammt. Es scheint jedoch halb so schlimm für sie zu sein, da sie sich in gewohnter Manier austoben kann und eigentlich keine Abstriche machen muss. Am Ende wirkt Krista Kellers Darbietung vor allem aus dem Grund überraschend, da sie es dieses Mal nicht schafft, Oberhand zu gewinnen. Ihre emotionalen Kapriolen wirken vergleichsweise zahm und geregelt; Götz George werden die besseren Möglichkeiten dieser Konstellation zugedacht, was eine interessante Dynamik aufkommen lässt. Zurück bleibt eine Frau, die sich keiner Schuld bewusst sein wird, die es nicht gelernt hat, für ihre Fehler einzustehen und die emotional ein absoluter Schadensfall ist. Gerd Baltus als krasses Pendant zu Götz George und Verlierer einer unterdrückten Ehe und eines doppelten Spiels ist für den tickenden Sekundenzeiger zuständig, und bringt seine Frau Hannelore damit erstmals in die Verlegenheit, völlig hilflos zu wirken. Mit Keller ist die perfekte Interpretin für eine derartig schwer zu gestaltende Rolle definitiv gefunden, und es ist interessant, dass sie den Zuschauer überrascht zurücklässt, weil sie sich nicht obligatorischen Ausbrüchen hingibt. Auch, dass sie sich über einen Mann definieren wird, erscheint erstaunlich aber sehr glaubhaft ausgearbeitet. Wie immer perfekt besetzt.



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● GÖTZ GEORGE als PAUL NEUMANN in
DER KOMMISSAR - EIN AMOKLAUF (D|1972)



Angesichts eines bevorstehenden beziehungsweise möglichen Amoklaufs eilt Paul Neumann mit seiner besseren oder - wie man es nimmt - schlechteren Hälfte in deren Wohnung, wo alles begann. Nicht nur die Affäre der beiden wurde hier besiegelt und vertieft, sondern auch die Demütigungen gegenüber des Dritten im Bunde nahmen abenteuerliche Formen an. Paul ist die Nervosität deutlich anzusehen, und es scheint, als würde er das sinkende Schiff so schnell wie möglich verlassen wollen, da ihm sein eigenes bequemes Leben am Ende doch wichtiger ist, als die Frau an seiner Seite. Noch ahnt Hannelore nicht, dass es nicht eine Spur von Rückendeckung geben wird, doch es dauert ein wenig, bis Paul seine Rede vor den Beamten hält. Zu tun hat man es mit einem feigen, schwachen Charakter, der sich wie ein Fähnchen mit dem Wind ausrichtet. Frauen, und vor allem deren Ansichten, stehen nicht sehr hoch im Kurs bei ihm, jedoch steht er hoch im Kurs bei ihnen, und es ist fraglich, ob er nur für diese eine gemacht ist. Die nervöse Spannung in der Wohnung des Zuchthäuslers Weissmann steigt und steigt, man versucht sich mit einigen Drinks und gegenseitigen Beschuldigungen zu beruhigen, allerdings zeigen die immer wieder eingefügten Szenen des zielstrebig auf Paul und Hannelore zueilenden Amokläufers, dass ihre Minuten möglicherweise schneller gezählt sein werden, als ihnen lieb ist. Angesagt ist reines Tunneldenken; hierbei lässt sich keine Fähigkeit der kritischen Reflexion feststellen, obwohl es mehrere Schuldige in dieser Farce gibt. Paul ließ sich seinerzeit von Attraktivität, Schamlosigkeit und Leichtfertigkeit kassieren, seine Frau zog dem Vernehmen nach sämtliche Register im Bett. Dass sie es arrangierte, ihren Ehemann immer wieder dazu zu bringen, sie in flagranti zu erwischen, störte ihn nicht, solange das Vergnügen stimmte. Pauls Leben mit Hannelore war bis zum jetzigen Zeitpunkt unbeschwert, da die mitleidigen Blicke anderer stärker waren als die Kritik, und alles rechtfertigten, selbst das Unrecht.

Plötzlich liegen eine Reihe anderer Karten auf dem Tisch. Weissmann ist aus dem Zuchthaus ausgebrochen und kennt nur ein Ziel; Neumann als Teil dieser Zielscheibe will sich mit allen Mitteln aus dem Fokus bringen, da er seiner Ansicht nach nichts mit der Sache zu tun hat. Um seinen Hintern zu retten, lässt er selbst die Frau an seiner Seite langsam aber sicher über die Klinge springen und man ahnt, dass nur der Tod diese unliebsame Angelegenheit regeln kann. Doch wessen Tod? Pauls feige Charakterzüge werden wie auf einem Jahrmarkt zur Schau gestellt, Grabert als ermittelnder Beamter weiß bei so viel ungefragter Information oft gar nicht, wo er hin soll. Doch das schert einen Typen wie Paul Neumann nicht im Geringsten, denn er besteht ausschließlich aus Fassade, die allzu schnell fällt, wenn die Situation es hergibt. Fällt diese Maske, ist er prompt damit beschäftigt, diese wieder zu sanieren, aufrechtzuerhalten, wahlweise durch Beschuldigungen gegenüber anderer. Hier trifft es natürlich Hannelore, die sichtlich schockiert dreinblickt, immerhin hat sie sich Schützenhilfe und Rückendeckung gewünscht, vielleicht ausnahmsweise einmal eine starke Schulter zum Anlehnen. Doch diese Extrawürste gibt es nicht im Repertoire ihres Liebhabers, der nie über den bloßen Status einer ordinären Affäre hinausgekommen ist, zumal er es auch nicht wollte. Die Unverbindlichkeit löst ein Wohlgefühl bei ihm aus, keine Verantwortung ist seine Verantwortung, der Dienst der Frau hat reibungslos zu funktionieren, und am Ende steht nur das Amüsement, dass er unbeschwertes Leben nennt. Erneute Hektik verbreitet sich unter den noch lebendigen Zielscheiben des Hauses, Hannelore nimmt einen Likör nach dem anderen, die Hass- und Projektionsfläche wird immer größer und intensiver, bis sich schließlich ein Berg schmutziger Wäsche aufbäumt, dessen Gestank den Unbeteiligten die Schamesröte ins Gesicht treiben könnte, wenn die erfahrenen Polizisten nicht schon abstoßendere Leute erlebt hätten.

Götz George ist darstellerisch in seinem Element zu sehen, denn er interpretiert einen Charakter, den man hemmungslos mit aller Niedertracht ausstatten kann, die verfügbar ist. Immer wieder schießen Intervalle der Rechtfertigung, Beschuldigung und Angst ein; die unsichere Seite des vor Selbstsicherheit strotzenden Mannes kommt zum Vorschein, bis er in aller Nervosität sogar zu stottern beginnt. Wenn man mit normalen Maßstäben misst, wäre es mehr als klar, dass die Liaison zwischen ihm und Hannelore hiermit beendet sein dürfte, doch Pack schlägt sich, Pack verträgt sich - so die unbestimmte Gewissheit. Dem Zuschauer ist klar, dass hier schon oft die Fetzen geflogen sein dürften, dass man es mit einer klassischen On-Off-Beziehung zu tun hat. Götz George und Krista Keller liefern sich einen herrlichen Schlagabtausch und deftige Wortspitzen, im Grunde genommen zeigen sie eine der vielen Möglichkeiten auf, wie es aussieht, wenn alles in Stücke zerfällt. Während Paul versucht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, kann es Hannelore kaum fassen, dass sie ins Abseits manövriert wird, aber die beiden haben sich tatsächlich gesucht und gefunden. Beide Interpreten hantieren mit einer sich immer wieder gegen den anderen richtenden Intensität, die ein regelrechtes Kabinettstückchen aus diesem heiklen Vakuum macht. Götz Georges Leistung ist daher nicht nur als hochkonzentriert zu beschreiben, sondern mit gewissen Kraftausdrücken, der Gestik und Mimik sogar brillant, was sich vor allem aus dem Wechselspiel ergibt. So stellt der Berliner vor allem in derartigen Serien-Formaten immer eine Bereicherung dar, die sich erst gar nicht zierten, ihn auf diesen Typ Mann festzulegen, da die entsprechende Überzeugungskraft wie ein Selbstläufer war. So bekommt der erstaunte Zuschauer ein Tauziehen zwischen Krista Keller und Götz George geboten, bei dem es augenscheinlich nur darum geht, den anderen jeweils in die schlechtere, sich selbst in die bessere Position zu bringen. Ein doppelter Präzisionsauftritt.



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Re: DER KOMMISSAR

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● FOLGE 50 | DER KOMMISSAR | DER TENNISPLATZ (D|1972)
mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz
Gäste: Rudolf Platte, Evelyn Opela, Roger Fritz, Gaby Dohm, Hermann Lenschau, Bruno Hübner, Dirk Dautzenberg, Hilde Brand und Peter Fricke
hergestellt durch die Neue Münchner Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF
Regie: Theodor Grädler



Der Obdachlose Hugo Bechtold wird tot in einem Wagen aufgefunden. Wie sich herausstellt, wurde er erschossen, außerdem finden sich rötliche Spuren an seinen Schuhen. Für die Polizei ist klar, dass es sich um Sand handeln muss, wie man ihn auf Tennisplätzen findet. Hier ergibt sich das nächste Problem, da sich in der Gegend Dutzende öffentliche und private Spielfelder befinden, die nun alle abgeklappert werden müssen. Derweil versucht Kommissar Keller mehr über den Toten in einem Obdachlosenasyl herauszubekommen. Ein Mann namens Biebach, der mit dem Ermordeten sehr gut bekannt war, kann Aufschluss über die letzten Wochen Bechtolds geben und entscheidende Hinweise liefern …

Der Aufhänger der 50. "Kommissar"-Folge wirkt wie ein unausweichlicher Wegweiser zu den Spleens der sogenannten besseren Gesellschaft, doch zunächst findet man mit dem Ermordeten das komplette Pendant dazu auf. Wie kann ein Obdachloser also mit dem seinerzeit noch privilegierten "weißen Sport" in Verbindung gebracht werden? Zuschauer und Polizei stehen vor einer besonderen Denkaufgabe, zumal deutlich thematisiert wird, dass man nach der buchstäblichen Nadel im Heuhaufen zu suchen hat. Da die Strategien der ermittelnden Protagonisten mittlerweile hinlänglich bekannt und überaus erfolgversprechend sind, kann man sich interessiert zurücklehnen und warten, bis Keller die richtige Spur aufnimmt. In der Region liegen Tennisplätze en masse, ein Indiz für das immerwährende Potenzial der Anziehung bei großem Kapital. Dem Publikum erscheint es von vorneherein klar zu sein, dass man den Täter höchstwahrscheinlich nicht in noblen Clubs zu suchen hat, sondern eher im Privaten. Regisseur Theodor Grädler konzentriert sich zunächst auf stichhaltige Ermittlungen und zahlreiche Befragungen, bei denen die teils monotone Dialogarbeit etwas störend werden kann, vor allem wenn Rudolf Platte sich als Rezitator zu schaffen macht. Wie dem auch sei, die rötliche Spur führt zu einer stillosen Gesellschaft aus der besseren Klasse, die letzteres in ihrem Verhalten jedoch weiträumig vermissen lässt. Vielmehr macht das Script die Personen zu Schaustellern, denen in strenger Art und Weise Stereotypen zugeordnet sind. Was beinahe wie eine Kritik klingen will, soll am Ende keine darstellen, denn immerhin schwingt beinahe ausnahmslos eine eigentümliche Art der Überzeugungskraft mit, die hier insgesamt für das dosierte Maß an Spannung sorgen wird. Die Stationen, die Kommissar Keller abarbeitet, wirken auf ihre Charaktere bewogen wie eine offenkundige Hierarchie, die in einem Obdachlosenheim beginnt, um in einer feudalen Villa zu enden. Hier werden die Grundvoraussetzungen allerdings umgekehrt, denn unter ihnen dürften sich Leute befinden, die quasi mit dem Bodensatz gleichzusetzen sind. Wohin das Auge reicht, wittert man als aufmerksamer Zuschauer nichts als Verschleierungstaktiken, Falschaussagen oder Renitenz. Vor Ort fühlt man sich obendrein schlicht und einfach kompromittiert.

Auch wenn man die ersten ausgewiesenen Verdächtigen bereits zu Gesicht bekommen hat, ist ein Zusammenhang zwischen den äußeren Rändern der Gesellschaft noch nicht so ohne weiteres herzuleiten, was auf eine originelle Auflösung der Vorkommnisse spekulieren lässt. Genau diese dürfte es bei so vielen hier vorgestellten und überaus merkwürdigen Zeitgenossen auch geben, die von der Regie fortan alle als Verdächtige freigegeben oder wie eine Sau durchs Dorf getrieben werden. Was die Übertreibungen angeht, trifft dies vielleicht vor allem für Dirk Dautzenberg und Bruno Hübner zu, aber die meisten anderen Interpreten wählen ähnliche Stilmittel, um das Publikum fassungslos zurückzulassen. Peter Fricke ist wie kein andrer geschaffen für den in Weiß gekleideten Snob, dessen Arroganz, Überheblichkeit und Herabwürdigung des Gegenübers dem Fass den Boden ausschlägt. Offensichtlich gesegnet mit der nötigen Portion Ignoranz, ist es ihm spielend möglich, sich dem Würgegriff Kellers zu entziehen. Sein Kommilitone Roger Fritz hat als Sparringspartner im umgekehrten Sinn in der Tat nichts zu melden, selbst nicht, wenn er gefragt ist. Evelyn Opela, Hilde Brand und Gaby Dohm glänzen darstellerisch durch Präsenz und als Zeugen durch Undurchsichtigkeit, sodass man insgesamt von einer bemerkenswert besetzten Episode sprechen kann, deren Akteure ordentlich für Verwirrung sorgen dürfen. Wie bei jedem Tennisturnier liegt die volle Konzentration auf einem hoffentlich spannenden und spektakulären Finale, in welchem sich die Spieler bis auf das Äußerste verausgaben werden. Alleine in dieser Hinsicht bekommt der treue "Kommissar"-Fan allerlei überraschende Eindrücke geboten und blickt schlussendlich auf eine Geschichte, die in ihrem abschließenden Tunnel zu denken gibt. Theodor Grädlers "Der Tennisplatz" zählt somit zu den vielen Episoden der Reihe, die Eindruck machen können und zumindest in den Radius der internen Klassiker rücken, falls man die Figuren des Verlaufs nicht als Karikaturen, sondern als Äquivalente auffasst, die es zumindest geben könnte. Der gerne verwendete Aufhänger Tennis oder Tennisplatz wird hier schließlich nicht ungeschickt verschenkt, sondern im Rahmen eines Milieu-Hoppings in gehobene Sphären gebracht. Der schäbige Rest ist allerdings mal wieder wie so häufig Schweigen.

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● FOLGE 51 | DER KOMMISSAR | FLUCHTWEGE (D|1972)
mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz
Gäste: Monica Bleibtreu, Joachim Ansorge, Ursula Grabley, Eva Ingeborg Scholz, Dinah Hinz, Michael Toost, Martin Semmelrogge und Carl Lange
hergestellt durch die Neue Münchner Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF
Regie: Wolfgang Becker



Aufgrund zerrütteter Familienverhältnisse befindet sich Gabriele in einem Erziehungsheim, aus dem sie bei einem Arbeitseinsatz flüchtet. Unter normalen Umständen wäre es ein Routinefall für die Landpolizei gewesen, doch der Tod ihres Stiefvaters bringt die Mordkommission ins spiel. Da die geflüchtete und immer noch unauffindbare Insassin des Heims mit diesem Mordfall in Verbindung gebracht wird, intensiviert man die Suche nach Gabriele. Während der Ermittlungen führt die Spur einem reichen Industriellen, der eine Schlüsselfigur darstellen könnte. Nebenbei zeigt sich das Bild von unzumutbaren sozialen Verhältnissen und schwerwiegenden Konflikten auf der anderen Seite, sodass die Polizei ein undurchsichtiges Puzzle zusammenfügen muss …

Dutzende Mädchen müssen unter Aufsicht schwere Waldarbeiten verrichten, doch die strenge Pädagogin des Heims kann ihre Augen schließlich nicht überall haben. Eine Flucht durch das Unterholz des Waldes sorgt für eine atemlose Spannung, sodass Wolfgang Beckers Episode einen guten und schnellen Einstieg vermitteln kann. Günstige Begleitumstände lassen das geflüchtete Mädchen von der Bildfläche verschwinden, aber die Polizei ermittelt in zwei entgegengesetzt liegende Richtungen, was sich ausschließlich auf das hier geschilderte Milieu bezieht. Mitglieder der gut situierten Gesellschaft stehen wie so oft überaus Konträr zu den Zeichnungen ihrer Pendants aus sozial schwachen Verhältnissen, in denen schlussendlich auch der hier behandelte Mord geschieht. Ein Mann wurde erstochen und es stellt sich heraus, dass es sich um einen gewohnheitsmäßigen Trinker handelt, der nicht viel für seine Stiefkinder übrig hat. Gabriele ist bereits in Obhut der Fürsorge, ihr 15-jähriger Bruder dürfte wohl bald auch einen Freifahrtschein dorthin erhalten. Da Gabriele bei einem jungen Mann unterkommen konnte, der sie als Anhalterin mitgenommen hat, kann sie untertauchen und die Polizei vor gewisse Denkaufgaben stellen. "Fluchtwege" behandelt zwar einen Kriminalfall, der in recht durchsichtiger Weise vor dem Publikum liegt, doch man bekommt hauptsächlich eine auf Milieustudie getrimmte Angelegenheit serviert, der die anfängliche Spannung vollkommen verloren geht. Das Script gefällt sich derweil darin, hoffnungslose Stereotypen zu zeichnen, die sich auf beiden Seiten finden lassen. In der Besserungsanstalt profiliert sich beispielsweise nur eine Idealistin unter vielen Sadistinnen, ein Trinker liebt den Schnaps mehr als Personen, die ihm einst näher gestanden haben, und ein Vater blickt wie vom Donner gerührt auf das Ergebnis seiner losen Erziehung und hat ohne es zu bemerken, ein Abbild von sich selbst geschaffen. Die Leidtragenden sind eigentlich immer die Kinder, doch hier zeigen sich keine Feinheiten in der Charakterzeichnung und man bekommt es auch noch ausnahmslos mit wenig sympathischen Personen zu tun, die eigentlich designierte Sympathieträger zu sein hätten. Der hier genommene Fluchtweg bringt die komplette Episode jedenfalls in eine denkbar ungünstige Richtung.

Zusammenhänge werden nur notdürftig, Intentionen eher grobschlächtig erklärt und dem Zufallsprinzip überlassen. Es wird schnell ersichtlich, dass selbst ein Routinier wie Wolfgang Becker nicht allzu viel aus Herbert Reineckers Drehbuch herauspressen konnte. Wo viel Schatten zu finden ist, existiert natürlich auch Licht, wenn hier auch nur in seichter Form. Die Eindrücke aus dem völlig verfahrenen Alltag der Protagonisten verleiten zumindest dazu, ein wenig Fassungslosigkeit und Anteilnahme aufzubringen, zeigt er doch einige Opfer gewisser Umstände, die das Leben mitunter in unerträgliche Bahnen katapultieren können. Die ausführenden Arme der Fürsorge greifen in Einzelfällen zur Prügelstrafe und Dunkelhaft, wohl wissentlich, dass sich keine Verhaltensverbesserungen einstellen werden. Widerstand wird mit Härte, Demütigung durch noch größeres Auflehnen quittiert. Die Gesellschaft vermutet junge Frauen wie Gabriele in einer Anstalt in guten Händen, doch weiter gehen die Gedanken nicht. Auf der anderen Seite kann die Kinderstube auch kein Zuckerschlecken gewesen sein, wird aber nicht als die größere Hölle von ihr und ihrem Bruder identifiziert. Nebenbei wird wieder einmal auf die äußerst angespannte wohnliche Situation im Raum München hingewiesen, vor allem, wenn man wie die Stiefmutter nur als Kellnerin arbeitet, daher gezwungen ist, in einem Zimmer mit zwei anderen Personen zu schlafen. Auf der anderen Seite sieht man gut situierte Verhältnisse, die völlige Resignation und Arroganz ausmalen sowie einen Überfluss, der beinahe lethargisch macht. Der Mordfall wird zwar behandelt doch rückt geradewegs in die Richtung der Klippen der Bedeutungslosigkeit, doch Keller und seine Leute rufen ihre bestechende Routine ab. Die Leistungen der Interpreten sind bei mangelnder Nuancierung oft nur schwer beziehungsweise ungerecht einzuschätzen, da im Grunde genommen alles Abverlangte angeboten wird. So bleiben Monica Bleibtreus Leidenschaft und ihre Lebensbejahung trotz schwerer Umstände in Erinnerung, Carl Langes eiskalte Überheblichkeit, Ursula Grableys Verzweiflung, die durch Resignation getarnt ist, eine legalisierte Gewaltbereitschaft von Eva Ingeborg Scholz sowie Joachim Ansorges Abschaltmechanismen im goldenen Käfig. So stellt "Fluchtwege" insgesamt eher trockene Unterhaltung dar.

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● FOLGE 52 | DER KOMMISSAR | DAS ENDE EINES HUMORISTEN (D|1972)
mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz
Gäste: Hanns Ernst Jäger, Alfred Balthoff, Hilde Weissner, Manfred Seipold, Wolfgang Völz, Olga von Togni und Christiane Schröder
hergestellt durch die Neue Münchner Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF
Regie: Theodor Grädler



Der Alleinunterhalter Erwin Waldermann hat üblicherweise Auftritte auf Betriebs- oder Dorffesten und soll die nicht selten angeheiterten Gäste mit seinen Kalauern bei Laune halten. Seine besten Zeiten hat er allerdings längst gesehen und ist auf das unermüdliche Engagement und die Planung seiner Tochter Ursula angewiesen. Nach einem Auftritt in einem Wirtshaus erfährt Waldermann jedoch, dass diese tot in einer Parkanlage aufgefunden wurde. Die Ermittlungen haben ergeben, dass die junge Frau wohl mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen wurde. Für den Humoristen bricht eine Welt zusammen, doch irritiert nimmt Kommissar Keller zur Kenntnis, dass dessen Show dennoch weitergehen muss. In der Zwischenzeit sucht die Polizei nach einem Motiv …

Wie sollte diese 52. Episode anders beginnen als mit einem Auftritt des hier angekündigten Humoristen? Die Stimmung ist gut, der Star der Provinz-Manege in Hochform, allerdings wirken die Kalauer abgespult, abgedroschen und im Endeffekt einfach nicht besonders gut. Dem Alleinunterhalter Waldermann scheint es gleich zu sein, denn die Leute gehen mit und geben ihm das, wonach er sucht, um sein Geltungsbedürfnis zu stillen: Aufmerksamkeit, Gelächter und Applaus. Szenen hinter der Bühne beschreiben gut, an welchem Karrierepunkt er mittlerweile angekommen ist. Die Wirtin fühlt sich behelligt, der Wirt kann sein Mitleid mit dem abgesattelten Herrn kaum verbergen, deshalb kam dieses Engagement für eine lächerliche Gage wohl auch nur zustande. Ständig wird darauf hingewiesen, dass es schon lange keinen derartig tosenderen Applaus mehr gegeben habe. Der Interpret Hanns Ernst Jäger wirkt hier nicht nur auf seiner kleinen Provinzbühne hoch konzentriert, sondern auch im schauspielerischen Sinn, denn es kommt zu einer Darbietung, die innerhalb der Reihe sicherlich mit zu den qualitativ dichtesten gehört. Der Österreicher scheint dabei ganz mit seiner Aufgabe eins zu werden und trumpft auf, indem man seine Performance ebenfalls unangenehm oder peinlich berührt verfolgt. Dies gilt ebenso für seine Star-Allüren ohne Berechtigung nach dem Auftritt und die damit verbundenen Anteile der klassischen Schmierenkomödie. Man kann sicher sein, dass Waldermann sich seit Jahren gedanklich in einem Tunnel befindet, der ins Nichts führt. Als ihn die Todesnachricht seiner Tochter erreicht, bricht er theatralisch zusammen, aber nicht buchstäblich, denn die Show muss irgendwie weitergehen. Das Publikum und die Polizei blicken recht irritiert auf so viel Verdrängungspotenzial innerhalb einer tiefen Betroffenheit, die dem Empfinden nach vollkommen echt wirkt. Es kommt zu einer schwierigen Suche nach einem möglichen Motiv, das in der 52. Episode der Serie einfach nicht sichtbar zu sein scheint, aber es heißt immerhin, dass die junge Frau erschlagen worden ist. Auch von Verdächtigen ist es in diesem Szenario nicht gerade am Wimmeln, sodass das Hauptaugenmerk auf beobachtenden und zuhörenden Erhebungen basiert, um die Nadel im Heuhaufen schlussendlich zu finden.

Theodor Grädler schickt den Zuschauer per Rückblenden durch eine schwere und fordernde Zeit, was sich auf die persönlichen Umstände der Toten und ihres Vaters bezieht. Das Umfeld kann hierbei auch nicht ausgeklammert werden, dürfte doch genau in dessen Untiefen der Schlüssel zur Lösung des Falles zu finden sein. Derweil wird man mit der Titelfigur durch Wechselbäder zwischen Überschwang, Allüren und Depression geschickt, sodass dieser Mann, der auch ohne den Tod seiner Tochter de facto am Ende wäre, völlig unberechenbar bleibt. In seiner persönlichen Umgebung sind nur noch wenige Menschen übrig geblieben und es tauchen sogar diejenigen auf, die aus Selbstschutz mit ihm abgeschlossen hatten. Hier ist seine Ex-Frau zu erwähnen, die beginnt, unangenehm und kritisch in der Vergangenheit herumzustochern, um bei dieser Gelegenheit wichtige Hinweise auf die Person Ursula Waldermann und ihren Vater zu liefern. Exzellent dargestellt von Hilde Weissner, bekommt man es mit einer Performance zu tun, die im engen zeitlichen Rahmen ihres Auftrittes erneut als hochklassig zu bezeichnen ist. Alfred Balthoff wirkt wie ein privater Garderobier, der vor allem immer wieder auf die goldenen Zeiten hinzuweisen hat und das Temperament des Alleinunterhalters für andere in sichere Bahnen zu lenken hat. Als Opfer ist Christiane Schröder in Rückblenden zu sehen, die wie üblich überzeugen kann, vor allem, da sie sich hier nuanciert anpasst und geschickt unterordnet. Kommissar Keller und seine Crew irren lange Zeit im Nebel herum, bis sich bedeutende Verdachtsmomente ergeben. Theodor Grädler drapiert diese 52. Folge mit Theatralik, die von Berufswegen zunächst von der Titelfigur ausgeht, um sie schlussendlich in eine denkwürdige Angelegenheit münden zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit der Betroffenheit beim Publikum ist hoch, da sich grenzenlose Sinnlosigkeit auf einem Silbertablett zu erkennen gibt. "Das Ende eines Humoristen" kann im Serienkontext somit eine Art Ausnahmestellung für sich reklamieren, da Motive, Taten und persönliche Belange unübersichtlich ineinander verschwimmen, um schließlich eine Metamorphose der Theatralik in echte Tragik zu präsentieren. Somit avanciert die Episode zu einem exzellenten Beitrag, der am bitteren Ende nur schwer zu begreifen ist.

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● CHRISTIANE SCHRÖDER als URSULA WALDERMANN in
DER KOMMISSAR - DAS ENDE EINES HUMORISTEN (D|1972)



Christiane Schröder brachte es in der "Kommissar"-Reihe auf zwei Auftritte, die jeweils in denkwürdiger Erinnerung bleiben. In "Das Ende eines Humoristen" bekommt das Publikum die Interpretin lediglich in Rückblenden zu Gesicht, immerhin übernahm sie den Part des Opfers Ursula Waldermann, welches im Verlauf erst sehr spät in einigen Intervallen für Erklärungen sorgen kann. »Ich habe gehört, dass sie ihn nicht einen Augenblick allein lässt«, hört man die aufgebrachte Mutter während eines Verhörs sagen, die ihre Tochter seit vier Jahren nicht mehr gesehen hat. Ursula entschied sich nach der Trennung der Eltern, in unsicheren und ärmlichen Verhältnissen bei ihrem Vater zu bleiben, der auf seine Tochter angewiesen war, wie ein kleines Kind. Neben all seinen Allüren und den Erzählungen aus besseren beruflichen Zeiten, fehlte ihm völlig der Blick für die Bedürfnisse seiner Tochter, die derartiges jedoch nie äußerte. Wie eine Ehefrau hatte sie die Ordnung und Koordination der Auftritte im Blick, bügelte seinen Frack und achtete darauf, dass alles richtig sitzt, um ihn schließlich zu seinen Vorstellungen zu kutschieren. Ursula wird nicht nur als absolute Notwendigkeit, sondern vor allem als Selbstverständlichkeit präsentiert; eine junge Frau, die ihr komplettes Leben unterordnen konnte, musste oder wollte. Dies bleibt als spannende Frage nach dem Abspann zurück, denn über die Hintergründe kann im Grunde genommen nur weiter spekuliert werden. Sie saß brav und prüfend bei jedem seiner Auftritte, ohne jedoch jemals über die gebetsmühlenartig abgespulten Kalauer zu lachen. Es ist einem schließlich so, als schäme sie sich für ihren alten Herrn, der nur noch eine Karikatur dessen darstellt, was er vermutlich niemals gewesen ist. Christiane Schröder, bekannt für überschwängliche, temperamentvolle Ausbrüche, deren Ursprünge oftmals nicht klar kommuniziert wurden, überrascht mit einer völlig beherrschten Aura, nachdenklich, ausgezehrt und traurig. So kommt es dem aufmerksamen Publikum jedenfalls vor, welches sich ebenfalls lieber auf die Tatsachen und wichtigen Informationen beziehungsweise Impressionen der Episode konzentriert, als auf die in der Peripherie ablaufenden Dauerbrenner ihres unermüdlich aber ebenso am Ende wirkenden Vaters.

Erneut schafft es Schröder im Gesamtkontext einer laufenden Serie, eine der ganz tragischen Charaktere zu zeichnen. Man versucht die an ihrem tatsächlichen Alter gemessen wesentlich jünger gemachte Frau zu verstehen, doch bleibt auf der Strecke. Sie gibt kaum etwas ihres Inneren preis, sie macht obendrein nicht viele Worte. Hin und wieder wirkt die Tochter des Humoristen vollkommen resigniert, gefangen in einer Situation, in der sie ihren Vater längst nicht mehr fallen lassen kann. Die Erlösung für sie wären ehrliche Worte, doch sie weiß nur zu gut, dass es das angekündigte Ende des Humoristen sein würde. Wie man es dreht oder wendet, dieses große Finale ist in dieser 52. Folge unausweichlich und wird durch den Tod der Tochter vollstreckt. Christiane Schröder zeichnet ihren kleinen, aber sehr wichtigen Part nuanciert, trotz fehlender Hintergrundinformationen verständlich und klar; eine exzellente Darbietung der gebürtigen Berlinerin, deren Fernsehkarriere wegen ihres frühen Todes leider nicht mehr allzu viel hervorbringen sollte. Ursula Waldermann bleibt eine "Kommissar"-Figur, die auch heute noch einen mahnenden oder vielmehr aktuellen Alltagstransfer herzustellen weiß. Ihre Gründe, bleiben bis zur Selbstaufgabe unsichtbar, hier sogar bis zum Tod. Ihre Entscheidungen sind schwer nachzuvollziehen, da man es einfach nicht verstehen will, dass diese Frau nichts von Selbstschutz und Verwirklichung versteht. Im Grunde genommen könnte das Fazit gezogen werden, dass sie sich in mitleidiger Verantwortung um einen Altstar gekümmert hat, um für sich und andere Schlimmeres zu verhindern, oder sogar Peinlichkeiten. Sieht sie ihren Vater, der ihre ehrliche Zuneigung genießt, auch nur als erbärmliche und abgesattelte Kreatur an, wie es alle anderen tun? Der späte Verlauf gibt Aufschluss über die innere Lage Ursulas, doch es ist zu spät und wirkt im Grunde genommen auch nicht leichter nachzuvollziehen. Der Kampf nach Anerkennung wird mit einem dumpfen Gegenstand auf ihren Kopf beendet. Christiane Schröders letzte Einstellungen im Park bleiben daher in schockierender Erinnerung, da sie nachdenklich machen und für tiefe Bestürzung sorgen. Wer hätte ihr nicht eine andere Erlösung aus ihrer schwierigen und selbst fabrizierten Situation gewünscht?



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● FOLGE 53 | DER KOMMISSAR | MYKONOS (D|1972)
mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz, Otto Stern und Ruth Hausmeister
Gäste: Maresa Hörbiger, Karl John, Irmgard Först, Ullrich Haupt, Fred Haltiner, Isabel Goslar, Ilona Schütze, Laurence Bien und Bernd Herzsprung
hergestellt durch die Neue Münchner Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF
Regie: Jürgen Goslar



Der sogenannte "Kapellenmord" stellt die Polizei vor ein Rätsel. Ein junger Mann namens Robert Kerk wurde an einem abgelegenen Treffpunkt vor einer Kapelle ermordet aufgefunden, der gerade mit seiner Freundin von Mykonos zurückgekehrt war. Wie Kommissar Keller herausfindet, handelte es sich bei den jungen Leuten um Drogenkuriere, doch es bleibt völlig unklar, warum die Hintermänner einen derartig kleinen Fisch töteten. Niemand von ihnen weiß allerdings von der Existenz seiner Freundin Benny, die als potenzielle Mitwisserin gehandelt wird und damit in Lebensgefahr gerät. Heines bringt sie bei sich zu Hause unter, derweil heftet sich der Rest der Mordkommission an die Verdächtigen, die erfahrungsgemäß zu allem bereit sein dürften …

Zwei junge Leute, die sich auf Mykonos kennengelernt haben, träumen davon, einen Sommer zu erleben, der nie zu Ende geht. Am besten genau dort, wo sie gerade hergekommen sind. Ein Zwischenstopp in München soll die Finanzen regeln, doch es kommt alles anders. Der junge Mann wird von seiner Freundin erstochen vor einer Kapelle aufgefunden. Regisseur Jürgen Goslar sorgt hier alleine im Bereich der Bebilderung für bizarre Eindrücke, denn es kommt zu einer beinahe andächtigen Atmosphäre zu Füßen der kleinen, abgelegenen Kapelle. Es ging um Drogen, um kleine Kuriere, die sich 2000 D-Mark verdienen wollten, um einen Sommer unter griechischer Sonne leben zu können. Das Publikum ist ebenso wie die Polizei verwundert darüber, dass trotz blanker Tatsachen kein greifbares Motiv auf dem Tisch liegen will, sondern ein anfangs mühsames Fischen im Trüben. Man lernt die Eltern des Toten kennen, die sich als Äquivalent und Relikt einer Gesellschaft von gestern präsentieren, zumindest für so junge Leute wie Benny und Robert, die einen anderen Lebensentwurf im Kopf hatten. Die junge Frau wirkt verstört, kann vor Schock jedoch nicht verarbeiten. Sie wird aus Zweckmäßigkeit hin und hergereicht, um an stichhaltige Informationen und letztlich ein Mordmotiv zu kommen. Die Eltern des Ermordeten bedrängen sie in unangenehmer Art und Weise, Maresa Hörbiger liefert dabei Emotionen aus der Konserve, sprich: solche, die einfach nicht besonders berührend wirken. Überhaupt scheint sich diese Episode auf Stärken zu Verlassen, die bereits in anderen Folgen veranschaulicht wurden, insofern sollte man nicht auf allzu viel Neues und Überraschendes spekulieren. Im Grunde genommen ist die zugrunde liegende Geschichte recht langweilig und einfach gestrickt, punktet jedoch durch einige Variationen, die andernorts wieder nicht auf der Tagesordnung standen. Das bedeutende Erweitern des ermittelnden Teams durch Frau Heines, die der möglichen Zeugin Zuflucht gewährt, gestaltet sich als interessant in der Veranschaulichung. Eigenartigerweise möchte bei diesem Pakt kaum ein Gefühl von tödlicher Gefahr aufkommen, sondern man setzt sich an den Kaffeetisch mit einer Erzählerin und einer verständnisvollen Zuhörerin. Dass sich diese Eindrücke irgendwann in das Gegenteil umwandeln werden, war zu erwarten und auch logisch.

Die Gerissenheit der Drahtzieher geht eine produktive Melange mit der Skrupellosigkeit ein, sodass im späten Verlauf etwas Spannung durch mangelnde Vorsicht aufkommen kann. Leider liegen die zunächst gut gemischten Karten hier viel zu unvorsichtig ausgespielt auf dem Tisch, sodass man unterm Strich nie an etwas anderes glauben mag, als ein gütliches beziehungsweise konventionelles Ende. "Mykonos" verfügt über eine eigentümliche Ruhe oder besser gesagt Stille, die nicht wortwörtlich zu nehmen ist. Sie ist durchzogen von Trauer, die aufgrund der Ermittlungen und Instrumentalisierung einer Zeugin immer wieder hinten angestellt werden muss. Wenige subtile Momente der Erinnerung weisen auf eine plötzlich zusammengebrochene Welt hin, die von der Realität eingeholt wird. Die Dialoge wirken größtenteils wie mit dem Holzhammer geschrieben, führen aber wenigstens zum Begreifen der hier geschilderten Sinnlosigkeit. Dem Empfinden nach leidet die dem Titel nach vielversprechende Episode unter schwächelnden Gästen. Maresa Hörbiger stellt sich in diesem Zusammenhang nicht als allerbeste Wahl für die zentrale Figur heraus, da ihr das letzte Wort vorenthalten wird. Sucht man nach Überzeugungskraft, ist diese überraschenderweise an anderer Stelle zu finden, und zwar bei Ruth Hausmeister, deren Angehen der Rolle erfrischende Ansätze preisgibt. Ansonsten bewegen sich die nicht unbedingt schwach aufspielenden anderen Interpreten im Radius des Durchschnitts, da sie nicht über die Mauern landläufiger Schablonen hinauskommen. Dies gilt insbesondere für Karl John, Ullrich Haupt und Fred Haltiner. Am Ende zieht Kommissar Keller die Schlinge in einer Art Schauprozess im Angesicht der besseren schlechten Gesellschaft zu, wenn es an der Zeit ist, dass sich Wechselströme zwischen Unantastbarkeit, Arroganz und Nervosität zeigen müssen. Jürgen Goslars Regiestil erscheint in eigenartiger Manier ein Missverhältnis zwischen Überfrachtung und Untertourigkeit darzustellen; zu wenig um eine der überzeugenden "Kommissar"-Fälle zu sein. Eine grobe Unterhaltsamkeit lässt sich jedoch auch hier nicht leugnen, zumal schmackhafte Lockvögel platziert werden, die nach Tragik schmecken sollen. Ob man sich beim Aufzeigen der äußeren Ränder gewisser Milieus sowie deren Mitte jedoch berührt fühlt, bleibt fraglich.

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Re: DER KOMMISSAR

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● FOLGE 54 | DER KOMMISSAR | BLINDE SPIELE (D|1972)
mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz
Gäste: Johanna von Koczian, Anaid Iplicjian, Hellmut Lange, Robert Freitag, Beatrice Norden, Heinz Moog, Pierre Franckh, Katharina Seyferth und Ruth Maria Kubitschek
hergestellt durch die Neue Münchner Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF
Regie: Theodor Grädler



Auf dem Starnberger See treibt ein Ruderboot, in dem man einen Ermordeten findet. Die Mordkommission hat zunächst Mühe, den Toten zu identifizieren, bis die Spur in die besseren Kreise Münchens führt. Das Mordopfer namens Rauda hinterlässt Angehörige und enge Freunde, die sein Ableben mit einer eigenartigen Art der Fassung aufnehmen. Bei der Suche nach einem möglichen Motiv durchleuchten Kommissar Keller und seine Crew die privaten Verhältnisse der Raudas und es ergeben sich interessante Gesichtspunkte, die von den Betroffenen als unkonventionell beschrieben werden. Gleichzeitig präsentieren die Ehefrau, deren Schwester und ein befreundetes Ehepaar eindeutige Tatmotive, die sich im unübersichtlich verstrickten Privatleben dieser Personen finden lassen …

Der vielsagende Titel "Blinde Spiele" verweist auf eine eigens von der Hautevolee erfundene Partie mit wahllos festgelegten Regeln, die ausschließlich dazu geschaffen wurden, irgendwann außer Kontrolle zu geraten. Bei den entsprechenden Akteuren dürfte es sich um nichts anderes als Ego-Zocker handeln, die das jeweilige Gegenüber zwar anvisieren, aber den Spielstil nicht begreifen. Im Klartext bedeutet diese unberechenbare Ausgangslage, dass es nur Verlierer in einem maskulin dominierten Schachspiel geben kann, in welchem ungewöhnlicherweise zuerst die Offiziere fallen werden, bevor es zu den Bauernopfern kommt. Diese werden schließlich Aufschluss über Motiv und Mörder geben, so viel kann einem die Fantasie zumindest klarmachen. Theodor Grädler inszeniert einen hochinteressanten Stoff, der zahlreiche Überraschungen bereithalten wird, immerhin ist die verworrene Gefühlswelt von sogenannten Realisten mit im Spiel. Alles, was hier passiert, geschieht in einer von Gesellschaftskonventionen abgekoppelten Welt, die ihre eigenen Regeln verlangt und durchsetzt. Jeder Beteiligte ist von der Richtigkeit überzeugt, bis die wichtigste Figur im Blindspielen plötzlich ermordet auf einem Silbertablett serviert wird. Misstrauen und gegenseitige Verdächtigungen machen die Runde, wenn auch zunächst hinter vorgehaltener Hand oder unformuliert, bis sich das volle Potenzial der Frustration entladen kann. Zu beobachten sind Leute, deren Heilsbringer der abschätzige Blick auf die Konventionen der Gesellschaft zu sein scheint. Sie wirken erst zufrieden, wenn sie sich einreden können, etwas Besseres als andere zu sein. Dass es sich unterm Strich allerdings nur um Spießbürger in einem unübersichtlichen Sex-Roulette handelt, sehen nur diejenigen, die unentwegt degradiert und beschuldigt werden, ein Leben zu führen, welches einem unerträglichen Korsett gleichen muss. Um dieses besonders sehenswerte Material in die richtigen Bahnen zu lenken, sind Interpreten am Werk, die nicht stichhaltiger hätten gewählt werden können, da sie potenziell Abgründe anbieten, die hier genüsslich von der Polizei und dem Skript zerpflückt werden. Dies gilt insbesondere für die gebuchten Damen, die Spielverderber namens Unberechenbarkeit, Eigensinnigkeit und Angriffslust mit in die bislang ungleiche Partie bringen.

Der Zuschauer ist noch nicht einmal schockiert über so viel Ignoranz, Blindheit, emotionale Unschärfe und vor allem Arroganz, was einige Hauptpersonen sicherlich beunruhigen würde, schließlich leben sie in dem Glauben, von Zaungästen für ihre abweichenden Einstellungen bewundert zu werden. Das Gegenteil ist wohl der Fall, da die eigens entworfenen Spielregeln dafür sorgen, einen Fall aus großer Höhe zu fabrizieren. Aber zunächst wurde lediglich ein Toter geborgen. Der Fundort ist dabei nicht der Tatort, sodass der Weg erst einmal akribisch aufgerollt werden muss. Die Befragten sind anfangs weit entfernt von Ermittlern und Publikum, zeichnen jedoch nach und nach Psychogramme, bis die Masken fallen. Keller und seine Leute werden um Rücksicht und Diskretion gebeten, doch bei solch unverblümten Fällen von Promiskuität ist der Schein schwer zu wahren. Den Anfang macht eine wie versteinert wirkende Ruth Maria Kubitschek als Schwägerin des Ermordeten. Sie steht mit ihren Antworten zur Verfügung, um ihrer Schwester die peinlichsten Fragen zu ersparen. Dabei entsteht ein bizarres Bild der Wechselverhältnisse und Anna Reithe wirkt wie die exklusive Krankenschwester von Frau Kurrat, die emotionslos und starr von Anaid Iplicjian modelliert wird. Diese delikate Ménage-à-X macht Johanna von Koczian perfekt, Zahnarzt-Gattin und intime Partnerin des Ermordeten, wie ihre Kontrahentinnen übrigens auch. Es hagelt Absolutionen und Referate über die bürgerlichen Ansichten der Leute, die keine Existenzberechtigung in dieser Blase haben. Doch ist das Motiv Eifersucht? Vielleicht liegen die Dinge nicht ganz so profan vor aufmerksamen Beobachtern und Zuhörern, doch der Nebel wird sich unter Grädlers Regie bekanntermaßen lichten. Die Leistungen von Iplicjian, Kubitschek und von Koczian vermitteln den Duft von Perfektion, ebenso wie die von Hellmut Lange oder Robert Freitag, da sie sich nicht scheuen, verzerrte Bilder und unsympathische Gebärden anzubieten. "Blinde Spiele" erzählt eine Geschichte, die sogar existieren könnte, was die Angelegenheit umso beeindruckender macht. Zurück bleiben Spieler, die zu hoch gepokert haben, ohne dabei zu bemerken, dass diese Liaison dagnereuse sukzessive außer Kontrolle gerät und - was viel entscheidender ist - keiner der Akteure mehr Interesse an den profanen Spielchen des anderen hatte.

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