Kurt Raab
DIE ZÄRTLICHKEIT DER WÖLFE
● DIE ZÄRTLICHKEIT DER WÖLFE (D|1973)
mit Jeff Roden, Margit Carstensen, Ingrid Caven, Wolfgang Schenck, Brigitte Mira, Rainer Hauer und Rainer Werner Fassbinder
als Opfer: Reiner Will, Ingo Natzel, Hans Tarantik, Christoph Eichhorn, Johannes Wacker, Oliver Hirschmüller
als Gäste: Rosel Zech, Irm Hermann, Renate Grosser, Jürgen Prochnow, Tana Schanzara, Peter Chatel, u.a.
eine Tango Film Produktion | im Verleih Filmverlag der Autoren | Atlas Film
ein Film von Ulli Lommel
»C'est très bon ici, pour moi!«
Der unscheinbar wirkende, homosexuelle Fritz Haarmann (Kurt Raab) schlägt sich und Personen seines unmittelbaren Umfeldes in der trostlosen Nachkriegszeit mit kleinkriminellen Aktivitäten durch. Ob als gerissener Hausierer oder spitzelndes Instrument der Polizei, Haarmann kann aufgrund seiner harmlosen Ausstrahlung Erfolge erzielen. In diesem Zusammenhang schafft er es auch spielend, Knaben und junge Männer, die beispielsweise von zu Hause ausgerissen sind, in seine Wohnung zu locken, wo er sich an ihnen vergeht und sie anschließend tötet. Um keine Spuren zu hinterlassen, zerlegt der gelernte Metzger die Leichen und verteilt das Fleisch in der Nachbarschaft. Als die Fälle von verschwundenen Jugendlichen immer mehr zunehmen, werden Inspektor Braun (Wolfgang Schenk) und sein Kollege Müller (Rainer Hauer) im Fall Haarmann wieder aktiver...
Mit "Die Zärtlichkeit der Wölfe" konnte Regisseur Ulli Lommel seinen ersten großen Kinoerfolg landen, der darüber hinaus viel diskutiert war. Mit dem Massenmörder Fritz Haarmann wurde eine reale Figur aufgegriffen, die für den Film jedoch mit zahlreichen Anteilen der Imagination ausgestattet wurde, was letztlich vielleicht nicht den historisch überlieferten Tatsachen entspricht, seinem Film aber über die Maßen zugute kommt. Bei dieser Produktion sollte zunächst einmal die besonders morbide Atmosphäre Erwähnung finden, die als inszenatorisches Merkmal ganz eigene Dimensionen anzunehmen vermag, die in Verbindung mit der Hauptfigur dieser Geschichte und den vielen anderen Charakteren sehr wirkungsvolle Eindrücke vermitteln. Hinzu kommt das schwere Joch des zeitlichen Kontextes, sodass man es mit einem sehr außergewöhnlichen deutschen Beitrag zu tun bekommt, der auf vielen Ebenen eine beunruhigende Wirkung erzielen kann. Die Sterilität des Sets und der Charakterzeichnungen schafft eine empfundene Nähe zur Realität, die aber weniger auf dem Wissen basiert, dass man es mit einer authentischen Rahmenhandlung zu tun hat, sondern es muss wohl die konsequente "Vermenschlichung" eines jeden Beteiligten sein, die zu diesem Eindruck führt. Ausstaffiert mit einer eigenartigen Lethargie, die in den ungewöhnlichsten Momenten sogar melancholische, teilweise poetische Züge annehmen kann, wird der Zuschauer mit einer beängstigenden Figur konfrontiert, welche die Möglichkeiten zumindest potentiell aufgreift, mit Ur-Ängsten zu spielen und die Gestalt von Angst und Schrecken in einer unscheinbaren Silhouette anzunehmen. Da man eben Kurt Raab für die Hauptrolle zur Verfügung hatte, schreckt diese Figur ausgleichsweise wieder in einem großen Maße ab, sodass zwischen Mitleid bis tiefster Abscheu womöglich alles in dieser Palette der Eindrücke vertreten ist.
Raab dominiert das Geschehen zu jeder Zeit, direkt oder indirekt, ohne die Szenerie jedoch zu erdrücken. Nachdenkliche Tendenzen stehen vollkommen konträr zu den überaus drastischen Veranschaulichungen, als Zuschauer entscheidet man sich aber lieber für die eindeutige Position namens Sicherheitsabstand, für den Kurt Raab ja quasi ein Synonym ist. Über die darstellerischen Qualitäten des Allround-Talents im klassischen Quadrat lässt sich hier einfach nicht streiten. In manchen Szenen sieht man den mit allen Wassern gewaschenen Kriminellen als Wolf, der Kreide gefressen hat, beispielsweise beim Hausieren, Betrügen oder Rekrutieren, und die schlussendlich widerwärtige Konstruktion Fritz Haarmann funktioniert nicht zuletzt so hervorragend wegen seiner stichhaltigen Interpretation. Überhaupt ist zu sagen, dass die Riege der Darsteller recht schnörkellos funktioniert und nicht neben der übermächtigen Hauptfigur unterzugehen droht. Insbesondere die Figur des Hans Grans wird von Jeff Roden, der zwar nur eine Handvoll Filme vorzuweisen hat und dessen Karriere bereits 1975 in Lommels beachtenswertem "Der zweite Frühling" endete, erstaunlich dicht skizziert. Für Hans scheint das ganze Leben ein einziger Deal zu sein und wenn sich persönliche Vorteile in Aussicht stellen, greift der, im Auftreten wie ein Dandy und in der Erscheinung wie ein Gigolo wirkende Herr im weißen Anzug, nach jeder sich bietenden Gelegenheit. Auch sein Verhältnis zu Fritz Haarmann ist diesen Ursprungs, und indirekt verschärft der Parasit im edlen Zwirn die tödliche Kettenreaktion. Viele der weiteren Rollen sind ebenfalls minimalistisch-spektakulär besetzt worden. Zu nennen sind hier sicherlich Margit Carstensen, Ingrid Caven und Brigitte Mira, auch Rainer Werner Fassbinder sorgt für Präzision und im Kreise der Gäste lassen sich erfreuliche Kurzauftritte von Renate Grosser, Irm Hermann, Peter Chatel oder Rosel Zech ausfindig machen, um nur wenige Beispiele zu nennen.
"Die Zärtlichkeit der Wölfe" überzeugt mit einem sehr klaren Aufbau und einer erkennbaren Strategie, den geneigten Zuschauer beunruhigen, aber auch gleichzeitig anlocken zu wollen. Eindrücke und Atmosphäre der kargen Nachkriegsjahre erklären vielleicht den Umstand, dass Haarmann überhaupt so weit gehen konnte, obwohl er nicht gerade unbehelligt agiert hatte, aber die Regie strengt nicht primär den Versuch an, die Grundthematik zu rechtfertigen, wenngleich immer wieder melancholische Anteile mitschwingen. Dass der Knabenmörder von Ulli Lommel in eine Art Dracula-Fasson gesteckt wurde, zahlt sich hier aus und erzeugt eine zusätzliche Spannung im Clinch zwischen Albtraum und Wirklichkeit. Die Figur des Massenmörders bekommt zwar einige Male zu viele verständliche Züge eingehaucht, aber eigenartigerweise kommt dem Film genau dieser Kniff mitunter am meisten zugute. Bei den drastisch wirkenden Ermordungsszenen kehrt sich dieser unbestimmte Eindruck jedoch wieder vollkommen um. Haarmann ist als eigentlicher Außenseiter geduldet, nicht akzeptiert, weil er für Vorteile im Bekanntenkreis steht. Er versorgt sie beispielsweise mit rarem Frischfleisch und anderen brauchbaren Gütern, doch niemand hinterfragt, wo sie eigentlich herkommen. Verständlich, denn die Zeiten waren ohne jeden Zweifel hart. Um an eine Idee von ein bisschen mehr Leben zu kommen, heiligt der Zweck schließlich alle Mittel, was selbst die Polizei praktisch in Erwägung zieht, die zuvor bereits auf den mysteriösen Herrn aufmerksam geworden war. Inszenatorisch gesehen funktioniert diese Geschichte mit einfachsten Mitteln und trotz der etwas reißerischen Andeutungen recht pragmatisch. "Die Zärtlichkeit der Wölfe" wurde durch Ulli Lommels hervorragende Bearbeitung zu einem düsteren Märchen tatsächlichen Ursprungs, sticht innerhalb der deutschen Filmlandschaft durch die mutige Bearbeitung der Thematik hervor und darf letztlich den Status eines unorthodoxen Klassikers für sich beanspruchen.
Mit "Die Zärtlichkeit der Wölfe" konnte Regisseur Ulli Lommel seinen ersten großen Kinoerfolg landen, der darüber hinaus viel diskutiert war. Mit dem Massenmörder Fritz Haarmann wurde eine reale Figur aufgegriffen, die für den Film jedoch mit zahlreichen Anteilen der Imagination ausgestattet wurde, was letztlich vielleicht nicht den historisch überlieferten Tatsachen entspricht, seinem Film aber über die Maßen zugute kommt. Bei dieser Produktion sollte zunächst einmal die besonders morbide Atmosphäre Erwähnung finden, die als inszenatorisches Merkmal ganz eigene Dimensionen anzunehmen vermag, die in Verbindung mit der Hauptfigur dieser Geschichte und den vielen anderen Charakteren sehr wirkungsvolle Eindrücke vermitteln. Hinzu kommt das schwere Joch des zeitlichen Kontextes, sodass man es mit einem sehr außergewöhnlichen deutschen Beitrag zu tun bekommt, der auf vielen Ebenen eine beunruhigende Wirkung erzielen kann. Die Sterilität des Sets und der Charakterzeichnungen schafft eine empfundene Nähe zur Realität, die aber weniger auf dem Wissen basiert, dass man es mit einer authentischen Rahmenhandlung zu tun hat, sondern es muss wohl die konsequente "Vermenschlichung" eines jeden Beteiligten sein, die zu diesem Eindruck führt. Ausstaffiert mit einer eigenartigen Lethargie, die in den ungewöhnlichsten Momenten sogar melancholische, teilweise poetische Züge annehmen kann, wird der Zuschauer mit einer beängstigenden Figur konfrontiert, welche die Möglichkeiten zumindest potentiell aufgreift, mit Ur-Ängsten zu spielen und die Gestalt von Angst und Schrecken in einer unscheinbaren Silhouette anzunehmen. Da man eben Kurt Raab für die Hauptrolle zur Verfügung hatte, schreckt diese Figur ausgleichsweise wieder in einem großen Maße ab, sodass zwischen Mitleid bis tiefster Abscheu womöglich alles in dieser Palette der Eindrücke vertreten ist.
Raab dominiert das Geschehen zu jeder Zeit, direkt oder indirekt, ohne die Szenerie jedoch zu erdrücken. Nachdenkliche Tendenzen stehen vollkommen konträr zu den überaus drastischen Veranschaulichungen, als Zuschauer entscheidet man sich aber lieber für die eindeutige Position namens Sicherheitsabstand, für den Kurt Raab ja quasi ein Synonym ist. Über die darstellerischen Qualitäten des Allround-Talents im klassischen Quadrat lässt sich hier einfach nicht streiten. In manchen Szenen sieht man den mit allen Wassern gewaschenen Kriminellen als Wolf, der Kreide gefressen hat, beispielsweise beim Hausieren, Betrügen oder Rekrutieren, und die schlussendlich widerwärtige Konstruktion Fritz Haarmann funktioniert nicht zuletzt so hervorragend wegen seiner stichhaltigen Interpretation. Überhaupt ist zu sagen, dass die Riege der Darsteller recht schnörkellos funktioniert und nicht neben der übermächtigen Hauptfigur unterzugehen droht. Insbesondere die Figur des Hans Grans wird von Jeff Roden, der zwar nur eine Handvoll Filme vorzuweisen hat und dessen Karriere bereits 1975 in Lommels beachtenswertem "Der zweite Frühling" endete, erstaunlich dicht skizziert. Für Hans scheint das ganze Leben ein einziger Deal zu sein und wenn sich persönliche Vorteile in Aussicht stellen, greift der, im Auftreten wie ein Dandy und in der Erscheinung wie ein Gigolo wirkende Herr im weißen Anzug, nach jeder sich bietenden Gelegenheit. Auch sein Verhältnis zu Fritz Haarmann ist diesen Ursprungs, und indirekt verschärft der Parasit im edlen Zwirn die tödliche Kettenreaktion. Viele der weiteren Rollen sind ebenfalls minimalistisch-spektakulär besetzt worden. Zu nennen sind hier sicherlich Margit Carstensen, Ingrid Caven und Brigitte Mira, auch Rainer Werner Fassbinder sorgt für Präzision und im Kreise der Gäste lassen sich erfreuliche Kurzauftritte von Renate Grosser, Irm Hermann, Peter Chatel oder Rosel Zech ausfindig machen, um nur wenige Beispiele zu nennen.
"Die Zärtlichkeit der Wölfe" überzeugt mit einem sehr klaren Aufbau und einer erkennbaren Strategie, den geneigten Zuschauer beunruhigen, aber auch gleichzeitig anlocken zu wollen. Eindrücke und Atmosphäre der kargen Nachkriegsjahre erklären vielleicht den Umstand, dass Haarmann überhaupt so weit gehen konnte, obwohl er nicht gerade unbehelligt agiert hatte, aber die Regie strengt nicht primär den Versuch an, die Grundthematik zu rechtfertigen, wenngleich immer wieder melancholische Anteile mitschwingen. Dass der Knabenmörder von Ulli Lommel in eine Art Dracula-Fasson gesteckt wurde, zahlt sich hier aus und erzeugt eine zusätzliche Spannung im Clinch zwischen Albtraum und Wirklichkeit. Die Figur des Massenmörders bekommt zwar einige Male zu viele verständliche Züge eingehaucht, aber eigenartigerweise kommt dem Film genau dieser Kniff mitunter am meisten zugute. Bei den drastisch wirkenden Ermordungsszenen kehrt sich dieser unbestimmte Eindruck jedoch wieder vollkommen um. Haarmann ist als eigentlicher Außenseiter geduldet, nicht akzeptiert, weil er für Vorteile im Bekanntenkreis steht. Er versorgt sie beispielsweise mit rarem Frischfleisch und anderen brauchbaren Gütern, doch niemand hinterfragt, wo sie eigentlich herkommen. Verständlich, denn die Zeiten waren ohne jeden Zweifel hart. Um an eine Idee von ein bisschen mehr Leben zu kommen, heiligt der Zweck schließlich alle Mittel, was selbst die Polizei praktisch in Erwägung zieht, die zuvor bereits auf den mysteriösen Herrn aufmerksam geworden war. Inszenatorisch gesehen funktioniert diese Geschichte mit einfachsten Mitteln und trotz der etwas reißerischen Andeutungen recht pragmatisch. "Die Zärtlichkeit der Wölfe" wurde durch Ulli Lommels hervorragende Bearbeitung zu einem düsteren Märchen tatsächlichen Ursprungs, sticht innerhalb der deutschen Filmlandschaft durch die mutige Bearbeitung der Thematik hervor und darf letztlich den Status eines unorthodoxen Klassikers für sich beanspruchen.