DER GARTEN DER FINZI CONTINI - Vittorio De Sica

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Prisma
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DER GARTEN DER FINZI CONTINI - Vittorio De Sica

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DER GARTEN DER FINZI CONTINI


● IL GIARDIO DEI FINZI-CONTINI / DER GARTEN DER FINZI CONTINI (I|D|1970)
mit Dominique Sanda, Lino Capolicchio, Helmut Berger, Romolo Valli, Barbara Pilavin, Camillo Cesarei, Katina Morisani und Fabio Testi
eine Produktion der Documento Film | cCc Filmkunst | im Constantin Filmverleih
ein Film von Vittorio De Sica

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»Ganz Italien hat Familie!«


Der wohlhabende jüdische Literaturprofessor Finzi-Contini (Camillo Cesarei) residiert mit seiner Familie auf einem herrlichen Anwesen, das bekannt und beneidet für seine imposanten Gartenanlagen ist. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist es im faschistischen Italien für Juden allerdings nicht mehr möglich, am normalen gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, sodass der Wissenschaftler seine bislang isolierten Gärten für die Allgemeinheit öffnet. Es kommt zu diversen Begegnungen und Verbindungen, die zuvor niemals denkbar gewesen wären...

Die großen Tragödien der Filmgeschichte gewinnen ihre Brisanz und Melancholie oft durch historisch genaue Grundgerüste, Anlehnung an bestehende Tatsachen oder akkurat angepasste Schablonen an die vergangene Wirklichkeit. Vittorio De Sica erweist sich als guter Implementeur für eine Geschichte, die zwischen Blumen und sonnengetränkten Gärten anfängt, um kurz vor dem Schafott innezuhalten, bis der herrliche Titel dieser Produktion unterm Strich stehen bleibt und nachhallen kann. Als der Faschismus Einzug erhält, wird alles anders, und dies in einer unumgänglichen und destruktiven Art und Weise. Das unbeschwerte Leben ist in Gefahr und alsbald vorbei, die Existenz von bescheidenen und kultivierten Menschen wird dabei nicht nur bedroht, sondern von Schergen der neuen Linie früher, später oder tatsächlich ins Gegenteil umgekehrt. Der Film lebt insgesamt von herrlichen Bildkompositionen, malerischen Schauplätzen, exzellent dargestellten Charakteren sowie der Ungerechtigkeit und Brutalität einer schrecklichen Zeit. Aus Sicht des Zuschauers ist neidlos zu sehen, dass Kinder, die ja schon junge Erwachsene sind, mit Tugenden, Moral und Privilegien erzogen wurden, die sie angreifbar machen, da es Neider gibt, die sie als Gefahr und Wurzel allen Übels brandmarken werden. Isolierte Gartenanlagen werden für die Allgemeinheit geöffnet, um das Leben weitergehen und die Welt nicht still stehen zu lassen. Die Sonne schaut zwischen den Zweigen hervor, der Tennisplatz ist in gutem Zustand und hoch frequentiert, das vorwiegend vorhandene Grün präsentiert jedoch auch leuchtende Farben - die Zeit steht still, obwohl sie davonläuft. Diese trügerischen Impressionen können nicht über die anstehenden Katastrophen hinwegtäuschen, die von Regie und Geschichte in den Raum gestellt werden, doch selten war ein derartig mit Leid und Tragik erfüllter Film in seiner optischen Grundausstattung und Bildgewalt so schön und beruhigend.

Tragödien hätte es auch ohne die Geißeln des Krieges gegeben - wenn auch nicht so brutal - schließlich hat man es mit sehr markanten und willensstarken Charakteren zu tun, doch einschneidende Veränderungen hätten immerhin etwas Naturgemäßes an sich gehabt. Regisseur De Sica konzentriert sich auf seine jungen Protagonisten, deren Leben die nächsten Stufen erreichen sollen, ob beruflich, familiär oder emotional. Wie erwähnt wäre es so oder so zu diversen Störungen und Tränen bei dieser Findung gekommen, doch dass es am Ende politische beziehungsweise ideologische Einflüsse sein werden, die vor unlösbare Probleme stellen, ist schwer zu akzeptieren, da sich alles außerhalb eines Radius der eigenen Verantwortlichkeit bewegt, und die persönliche Einflussnahme außer Kraft gesetzt wird. Die Geschichte präsentiert Panoramazeichnungen der Hauptfiguren und deren unterschiedlicher Art, die nächsten Schritte im Leben zu wagen. Somit sieht man jugendlichen Leichtsinn, Unerschrockenheit, naive Neugierde aber auch bereits Erfahrung, mit der sich der Kreis hier am Ende schließen wird. Mit fortlaufender Spieldauer werden die Vorahnungen bezüglich der Rahmenbedingungen konkreter, die Schicksalsschläge härter, doch der Alltag geht auch innerhalb widriger Umstände weiter, manchmal sogar in gewohnten Bahnen. Die Produktion verfügt über brillante schauspielerische Leistungen - besser gesagt Kreationen - da sie dem Empfinden nach authentisch wirken und die Möglichkeiten zur Verwirklichung zur Verfügung haben, um das Publikum letztlich zu berühren; eine Tatsache, die der Geschichte auf Augenhöhe gleichkommt. Hier ist zunächst die anmutige Französin Dominique Sanda zu erwähnen, deren Strahlkraft unübersehbare Höhepunkte erreicht. Der erzwungene und daher drohende Exodus von Juden aus Italien schwebt wie ein ungerechtes Urteil über allem, was sich zeigt, doch die Regie konzentriert sich auch präzise auf die Zeit davor.

Hierbei kommen überaus schmeichelhafte Eindrücke zustande, die sich kaum mit den überschwappenden Gewissheiten decken wollen. Die unverbrauchte Leistung von Dominique Sanda wirkt wie Balsam auf die hier plötzlich entstehenden Risse der Seelen, doch auch von ihr geht eine gewisse Ambivalenz aus, falls man ausblenderisch betrachtet, dass sie zwischen zwei Männern steht und in diesem Zusammenhang nur die falsche Entscheidung treffen kann. Zumindest dem eigenen Empfinden nach. Als Zuschauer steht man auf Seiten ganz bestimmten Konstellationen, doch in Manier großer Schicksalsschläge lernt man auch die unliebsamen Möglichkeiten beziehungsweise die andere Seite der Medaille kennen, mit welchen eine breite Auseinandersetzung gestartet wird. Besondere Darbietungen haben Lino Capolicchio, Helmut Berger oder Fabio Testi zu bieten, die in ihren Szenen stets hochkonzentriert wirken. Bleibt man bei diesen merklich ungleich wirkenden Charakteren, lassen sich völlig gegensätzliche Sichtweisen auf das Leben ableiten, auch wenn sie eigentlich den gleichen Weg gemeinsam gehen. Diese hochinteressante Auseinandersetzung mit der zunächst gesunden Psyche gilt hier übrigens für alle Beteiligten, was den Film so rund und letztlich tiefsinnig wirken lässt - dies wohlgemerkt im dramaturgischen, inszenatorischen und darstellerischen Sinn. "Der Garten der Finzi Contini" beginnt trotz bestehenden Hintergrundwissens als unbeschriebenes Blatt, welches sich bis auf den letzten freien Platz selbst füllt. Beachtenswert ist die markante Poesie des Szenarios, das sich mit kleinen Wundern und erschreckender Prosa füllt, Fantasie und Realität kreuzt, um seine Erfüllung in einer hervorragenden Regie-Leistung zu erlangen. So bleibt ein aussagekräftiges und hochwertiges Aushängeschild italienischer Filmkunst, unter Mithilfe eines unermüdlich und immer mutigen Partners namens Artur Brauner, welches man sich bei der sich bietenden Gelegenheit unbedingt anschauen sollte.



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