Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger (D)
Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto (IT)
Enquête sur un citoyen au-dessus de tout soupçon (F)
Investigación sobre un ciudadano libre de toda sospecha (ES)
Inquérito a Um Cidadão Acima de Qualquer Suspeita (POR)
Undersøgelse af en borger hævet over enhver mistanke (DNK)
Onderzoek naar een burger boven alle verdenking (BE)
Investigation of a Citizen Above Suspicion
IT 1970
R: Elio Petri
D: Gian Maria Volontè, Florinda Bolkan, Orazio Orlando, Salvo Randone, Massimo Foschi, Gianni Santuccio, Sergio Tramonti, Arturo Dominici, Vittorio Duse, Aldo Rendine, Fulvio Grimaldi u.a.
Deutsche Erstaufführung: 13.11.1970
Synchronkartei
Italo-Cinema.de
Score: Ennio Morricone
Drehortvergleich
IMCDb
OFDb
"Es ist nicht ohne Bedeutung, dass man ausgerechnet mir, zu diesem Zeitpunkt, die Leitung des politischen Büros übertragen hat. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass zwischen gewöhnlichen Straftaten und den politischen Delikten so gut wie keine Unterschiede mehr festzustellen sind: Sie verwischen sich nicht nur, sie verschwinden. Deshalb sollten sie sich das gut im Gedächtnis behalten. Hinter jedem Kriminellen kann sich ein Umstürzler verbergen, hinter jedem Umstürzler kann ein Krimineller stecken. In dieser Stadt, die unserer Wachsamkeit anvertraut ist, haben kriminelle und subversive Kräfte schon ihre unsichtbaren Fäden gezogen und es liegt uns, diese zu zerschneiden. "
Kurz vor seiner Beförderung zum Leiter des politischen Büros begeht der als 'Dottore' (Gian Maria Volontè) bekannte Inspektor des Mailänder Morddezernats am letzten Tag in seinem alten Amt einen grausamen Mord an seiner Geliebten Augusta (Florinda Bolkan), mit dem er sich selbst beweisen möchte, dass ihm aufgrund seiner Machtstellung niemand etwas anhaben kann, denn der 'Dottore' sieht sich in seinem Größenwahn über jeglichen Verdacht erhaben. Nachdem er am Tatort unzählige Spuren zurückließ, die unmissverständlich auf seine Person verweisen, übernehmen seine ehemaligen Kollegen die Emittlungen an dem Mordfall, die wiederum vom 'Dottore' mit einem gewissen Zynismus beäugt werden. Dabei ignorieren die Ermittler infolge ihrer Hörigkeit sämtliche Beweise, die ihren ehemaligen Vorgesetzten belasten. Vielmehr versuchen sie die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass letztlich nichts so ist, wie es zunächst aufgrund der Indizienlage zu sein scheint. Dies führt wiederum dazu, dass der 'Dottore' den stiefelleckerrischen Ermittlern weiteres Belastungsmaterial zukommen lässt, um sein vermessenes Psychospiel auf die Spitze zu treiben. Zwischendrin werden auch noch mehrere unschuldige Verdächtige als auch ein linksgerichteter Belastungsszeuge inhaftiert, die den 'Dottore' ebenfalls schwer belasten. Doch dieser ist weiterhin frohen Mutes, dass er aufgrund der ihm verliehenen Macht weit über allen Gesetzen steht und ihm somit absolut niemand etwas anhaben kann - noch nicht einmal bei Mord. Bleibt letztlich die Frage, ob der 'Dottore' am Ende auch tatsächlich straffrei wegkommt?
"Die Ausnutzung der Freiheit wirkt sich als Gefahr und Bedrohung für die traditionellen Kräfte aus, für die konstitutionelle Autorität. Das Ausnutzen der Freiheit führt dazu, dass sich jeder x-beliebige Bürger als Richter aufwerfen kann, der uns daran hindert, völlig frei unsere Pflichten zu erfüllen, unsere geheiligten Funktionen zu versehen. Wir sind die Hüter und Verfechter des Gesetzes, das wir nicht verändert haben wollen, das unumstößlich feststeht. Das Volk ist unmündig, die Stadt ist einfah krank. Es ist die Aufgabe anderer, zu heilen und zu erziehen, doch unsere Pflicht ist es, Einhalt zu gebieten. Unsere Pflicht ist jede Art von Verbrechen zu bekämpfen. Verbrechensbekämpfung ist Zivilisation!"
"Diese Mitte-Links-Konstellation dieses Jahres könnte auch das Caporetto für diejenigen werden, die regieren. Die Lage ist gespannt, im ganzen Land gibt es Spannungen. Ich wäre beruhigter, wenn die mir zur Verfügung stehende Organisation zahlenmäßig stärker wäre - ich müsste sie um hundert Mann verstärken. Ich brauche auch mehr Mittel, um die Informanten besser bezahlen zu können."
Bereits zwei Monate nach dem schrecklichen Terrorattentat auf der Piazza Fontana, bei dem 60 Menschen ums Leben kamen und 90 zum Teil schwer verletzt wurden, feierte Elio Petris Meisterwerk ERMITTLUNGEN GEGEN EINEN ÜBER JEDEN VERDACHT ERHABENEN BÜRGER seine Premiere in den italienischen Kinos. Sein Hauptprotagonist, der von Gian Maria Volontè verkörperte 'Dottore', beruht dabei auf der zwielichtigen Gestalt des Kommissars Calabresi, der offensichtlich nicht nur als ein ausführender Akteur der 'Strategie der Spannung' agierte, sondern auch als Hauptverantwortlicher das Verhör führte, bei dem der Eisenbahnarbeiter und Anarchist Giuseppe "Pino" Pinelli, dem als Unschuldiger die Verantwortung des durch Mitglieder der neofaschistischen Vereinigung 'Ordine Nuovo' verübten Terroranschlags von der Piazza Fontana in die Schuhe geschoben werden sollte, von einem Fenster im vierten Stock der Mailänder Polizeistation in den Tod stürzte. Während Calabresi der Öffentlichkeit mehrere Varianten zum Tod des Anarchisten präsentierte, bei denen die Polizei keinerlei Schuld am Tod Pinellis trifft, kam es unter der italienischen Bevölkerung zu einer Empörungswelle, an deren Ende sich der Mailänder Staatsanwalt Gerardo D'Ambrosio zwischen 1971 und 1975 nochmals explizit mit der möglichen Schuldfrage der Polizei auseinandersetzte. Am Ende kam er zu dem Ergebnis, dass trotz zahlreicher Widersprüche sowie ungeklärter Fragen Calabresi vom Vorwurf des Mordes entlastet werden muss. Des Weiteren zählte Calabresi zu dem Ermittlern, die, sobald mal wieder etwas explodierte, sofort die Linken beschuldigten. Am 17. Mai 1972 wurde Calabresi in der Nähe seines Hauses von linksextremen Aktivisten ermordet. Als Anstifter des Mordes wurden viele Jahre später Adriano Sofri und Giorgio Pietrostefani, als Täter Ovidio Bompressi und Leonardo Marino identifiziert und verurteilt.
"Wir werden alle wieder ein bisschen wie Kinder, wenn ihnen Erwachsene gegenübertreten, das heißt die bestehende Autorität so wie ich, der ich die Macht repräsentiere. [...] Alle Gesetze, die geschriebenen und ungeschriebenen, der Beschuldigte wird wieder zum Kind und ich zum Vater, dem unantastbaren Vorbild. Mein Gesicht wird zum Antlitz Gottes, des Gewissens. Es ist eine Inszenierung, die unbekannte Seiten anrührt, geheime Gefühle."
Während sich Elio Petri bereits in seinem Kurzfilm DOCUMENTI SU GIUSEPPE PINELLI (#2) mit dem bis heute ungeklärten Todesfall Pinellis auseinandersetzte, in dem er die drei möglichen Varianten des Zustandekommens durchspielt, befasste er sich in seiner vortrefflichen Groteske ERMITTLUNGEN GEGEN EINEN ÜBER JEDEN VERDACHT ERHABENEN BÜRGER vielmehr mit der Person des fragwürdigen Kommissars Calabresi, bei der kurz nach dem Terroranschlag auf der Piazza Fontana in der breiten Öffentlichkeit der Verdacht aufkeimte, dass der reaktionäre Staatsdiener den geltenden Gesetzen gegenüber Narrenfreiheit besitzt. Und genau diesen Eindruck verarbeitet Elio Petri in der Person des größenwahnsinnigen 'Dottores', der sich selbst beweisen möchte, dass er aufgrund seiner Machtstellung trotz einer begangenen Mordtat auch weiterhin über jeglichen Verdacht erhaben bleibt. Gian Maria Volontè legt in der Rolle des 'Dottores' eine überragende Darbietung an den Tag, die zweifelsfrei zu den besten und beeindruckendsten seiner langjährigen Schauspielkarriere zählt. Als durch und durch erzreaktionärer Ermittler, der zur Erhaltung der alten Ordnung gegen alles subversiv Erscheinende sowie linksgerichtete eine gewisse Abneigung pflegt und somit im exklusiven Club der konspirativen Spannungsstrategen bestens aufgehoben scheint, treibt Volontè ein dermaßen vermessenes Psychospiel, durch dass die beteiligten Staatsbedienstete in ein ganz schlechtes Licht gerückt werden, denn in Elio Petris ERMITTLUNGEN GEGEN EINEN ÜBER JEDEN VERDACHT ERHABENEN BÜRGER wirken diese wie Gesetzlose, die in ihren Machzentren schalten und walten können, wie es ihnen gefällt. Aber auch im kleineren Rahmen lässt der 'Dottore' seine Macht zügellos walten, insbesondere im Rahmen der etwas merkwürdig anmutenden Liebesbeziehung, die er mit der veheiraten Augusta Terzi führt. Verkörpert durch Florinda Bolkan spielt Augusta nicht nur mit dem Feuer, sondern auch mit dem 'Dottore' neckische Verhörspiele, bei denen dieser wiederum seiner toxischen Männlickeit freien Lauf lässt. Dies wird dem Zuschauer wiederum in Form von ständigen Rückblenden verdeutlicht. Nebenbei führt der autoritäre 'Dottore' auch noch gesetzeswidrige Abhöraktionen durch, lässt nach einem Bombenanschlag auf das Polizeirevier willenlos Linke verhaften und ist auch ansonsten gegen alles, was den freiheitlich-demokratischen Leitlinien entspricht.
"Diese Jugend. Junge Leute, die die Mauern beschmieren. Junge Studenten, junge Arbeiter, die nachts durch die Gegend streunen. Die über die Revolution sprechen am Telefon, in den Fakultäten, in aller Öffentlichkeit. Tonnen roter Farbe, um uns zu verunglimpfen. Ich wüsste schon, was da nötig wäre, und zwar was ganz anderes als diese Tüncherkolonnen, um diese destruktiven Parolen an den Wänden auszulöschen."
Elio Petri ist es mit seiner fabelhaften Groteske gelungen, einen durch und durch ironischen Film auf die Beine zu stellen, der manchmal sogar schon heftig an der Grenze zum Zynismus kratzt. Während sich der verdienstvolle Kameramann Luigi Kuveiller für die gelungene Bildgestaltung auszeichnet, stammt die prächtige Filmmusik von keinem Geringeren als dem Maestro höchstpersönlich. In der BRD startete der Film am 13. November 1970 in den Kinos, in der DDR am 14. März 1973. In Italien wurde ERMITTLUNGEN GEGEN EINEN ÜBER JEDEN VERDACHT ERHABENEN BÜRGER am 09. Febraur 1970 uraufgeführt. Was die deutsche Synchronfassung anbelangt, so kann diese ebenfalls als durchweg gelungen bezeichnet werden. Zudem gewann der Film 1970 den großen Preis der 23. Filmfestspiele in Cannes sowie 1971 den Academy Award als bester ausländischer Film. Das Einzige was jetzt noch fehlt, ist eine digitale Veröffentlichung für den deutschen Markt.
"Und denke dir, dass ich alles über dich in Erfahrung bringen kann, weil mir der Staat alle Mittel dafür bietet, ein Individuum bis auf die nackte Haut zu entkleiden."
Filmplakate:
► Text zeigen
Score:
► Text zeigen
Deutscher VHS-Teaser-Trailer:
► Text zeigen
Trailer: