● KRISTA KELLER-DI CERAMI als ANNABELLE MOLDAU in
DER ALTE - VERENA UND ANNABELLE (D|1977)
Immer wieder kommt der Name Annabelle zur Sprache, der seit Jahren verschwundenen Zwillingsschwester der Literaturkritikerin Verena Moldau, und nach fortlaufender Zeit macht sich im Publikum die Befürchtung breit, dass sie überhaupt nicht mehr existiert. Verena erhebt schwere Anschuldigungen gegen ihre Zwillingsschwester, die angeblich schon mehrere Mordanschläge auf sie verübt haben soll. Der Zuschauer zweifelt nicht zuletzt wegen Krista Keller-di Ceramis unberechenbaren Performance, sondern auch wegen der Tatsache, dass etliche Zusammenhänge fehlen, oder erst gar nicht zusammenpassen wollen. Dann - nach weit über zwanzig Minuten - taucht Annabelle tatsächlich auf, und es wird nur zwei Fraktionen geben: Diejenigen die behaupten, sie haben es stets gewusst und die anderen die verschweigen, dass sie es nicht gewusst haben. Der erste Weg der lange vermissten Frau führt zu ihrem abgelegten Liebhaber, der offenbar mit beiden Schwestern liiert gewesen ist und sich dafür nicht einmal geniert. Mit ihrem Partner Heinz Drache entwickelt sich eine beinahe unangenehme Gesprächsdynamik, die eindeutig von Annabelle diktiert, aber durch Werner Preuss' Anzüglichkeiten immer wieder gestört wird. Man stellt sich die aufrichtige Frage, was diese Dame eigentlich genau will, die immer wieder davon spricht, ein Problem besprechen zu müssen, es aber noch etwas wegschieben wolle. Preuss scheint dabei taube Ohren zu haben, da er sich zu sehr von der extravaganten Optik seines Gegenübers gerne ablenken lässt. Vergleicht man die Schwestern miteinander, so kommt es zu einem himmelweiten Unterschied und das nicht nur im Rahmen der Erscheinung, sondern auch der charakterlichen Eigenschaften. Annabelle, wirkt auf den ersten Blick elegant, allerdings in einer merkwürdig verspielten Art und Weise, wegen der man denkt, dass sie sich mit allen Mitteln als Hingucker präsentieren muss, was offensiv auf Werner Preuss abgezielt ist.
Zusätzlich erscheint sie überaus mondän, und als sie berichtet, dass sie sich die letzten Jahre hauptsächlich in Fernost gelebt hat, ist auch ohne Erklärungen sicher, dass es sich um ein Lotterleben gehandelt haben dürfte. Dem Anschein nach lässt sie sich gerne von wohlhabenden Männern aushalten, auch ihren Ex-Liebhaber spricht sie ganz unverblümt auf dessen Vermögensverhältnisse an. Es scheint, dass derartige Sondierungsgespräche für sie üblich sind, bevor man sich schließlich näher kommt und einigt, was Annabelle stets selbst in der Hand zu haben scheint. Ihre Art wirkt bemerkenswert oberflächlich und kaltschnäuzig, aber ebenso bestimmend, resolut und gleichzeitig ausweichend. Ihr ehemaliger Freund bildet sich ein, alte Amouren wieder aufleben lassen zu können, doch merkt zu keinem Zeitpunkt, auf welchem falschen Dampfer er sitzt. Annabelle Moldau fragt ihn über ihre Schwester aus, was sie ein Stück weit rehabilitiert, denn wenn sie die Anschläge selbst verübt hätte, wüsste sie über die privaten Verhältnisse Bescheid - so meint man zumindest. Andererseits hat die auffällig zurecht gemachte Dame auch Kreide gefressen und verwirrt nicht nur den Zuschauer auf ganzer Linie. Man muss unweigerlich an Verena Moldau denken, die einem bedauernswert und völlig labil in Erinnerung geblieben ist. Hätte man ihre Warnungen vor dem Phantom Annabelle ernster nehmen sollen, mehr über die Hintergründe erfahren müssen? Die Schlüssel liegt in der Beziehung der beiden Zwillingsschwestern und ist von erfahrenen Krimi-Fans vielleicht sogar schnell dechiffriert. Im weiteren Gespräch findet sich somit eine ganz eindeutige Tendenz, denn die Besucherin lässt die Katze schließlich aus dem Sack: »Es geht dir gut, aber du bist nicht reich. Möchtest du reich sein?« Die Antwort und das weitere Gespräch finden schließlich in Off statt und zunächst ist es das mit der Kennenlern-Show der Annabelle Moldau gewesen, die sich in beinahe unverschämter Manier selbst vorgestellt hat.
Bis es in einer zweifelhaften Bar und mit noch dubioseren Gestalten weitergehen kann, ist ihr unzuverlässiger Ex-Liebhaber längst zur Polizei gerannt, vermutlich wegen gekränkter Eitelkeit. Krista Keller-di Cerami macht ein regelrechtes Happening aus diesem Präzisions-, beziehungsweise Camouflage-Auftritt indem sie mit Hochtouren drauf los spielt, dies auch im vollen Umfang mit jedem Beteiligten und vor allem den Publikum tut. Es macht ihr sichtlichen Spaß, auch wenn sie gerade die gequälten Emotionen der Verena Moldau zu präsentieren hat, aber auch das Selbstverständnis und die Überheblichkeit der Annabelle. Dabei entsteht ein klassisches Wechselbad der Gefühle, weil es im Sinne der Dramaturgie entstehen muss. Die Interpretin bietet zahlreiche Pendants an, die wechselseitig darauf abzielen, die andere Figur zu diskreditieren. Dabei belastet nicht nur Verena ihre Schwester, sondern diese lenkt den Verdacht in kryptischen Bemerkungen kurzerhand auf sich selbst. Wie es scheint, sucht die Heimkehrerin einen potenziellen Mörder, der ihr Leben nach dem Tod der Nebenbuhlerin finanziell absichert und all die Vergeltung erhält, die ihr nach deren Ansicht auch zusteht. Keller-di Cerami zieht bei dieser eigens erfundenen und von ihr beherrschten Show alle erdenklichen Register ihres individuell gefärbten Expressionismus, der in seiner gnadenlosen Intensität verblüfft, begeistert, abstößt, aber nie langweilt. Wohin diese Reise geht, scheint Regisseur Alfred Vohrer nur noch lose vorzugeben, wenn sich die Keller selbstständig macht, dabei alle Kontrahenten aber auch Verbündete abschüttelt, um unangreifbar zu bleiben. Glücklicherweise hat man mit Köster einen bissigen Ermittler am Werk, der sich auch nicht durch Täuschungsmanöver der extremsten Sorte abschütteln lässt. Krista Keller-di Cerami prägt diese neunte Episode der Reihe wie keine Zweite, und es muss lange überlegt werden, ob Hauptkommissar Köster überhaupt jemals einer derartigen Konfrontation ausgesetzt war.
VERENA UND ANNABELLE
KRISTA KELLER