BORDERTOWN - Gregory Nava

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Maulwurf
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BORDERTOWN - Gregory Nava

Beitrag von Maulwurf »

Bordertown
Bordertown
USA 2006
Regie: Gregory Nava
Jennifer Lopez, Martin Sheen, Maya Zapata, Juan Diego Botto, Sonia Braga, Antonio Banderas, Kate del Castillo, Zaide Silvia Gutiérrez, Irineo Alvarez, Rene Rivera, Randall Batinkoff, Karolinah Villarreal


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OFDB
Die Frauenmorde von Ciudad Juarez

Die mexikanische Stadt Ciudad Juárez galt lange Zeit als die Stadt mit der höchsten Mordrate der Welt. Vor allem die sogenannten Frauenmorde von Ciudad Juárez mit mehreren hundert Opfern haben das Leben in der Stadt und der Region nachhaltig geprägt. Die amerikanische Journalistin Lauren (Jennifer Lopez) bekommt den Auftrag diese Thematik zu recherchieren, und greift dabei auf einen alten Freund und Kollegen, Diaz (Antonio Banderas), zurück, der selber eine örtliche Zeitung herausgibt. Die beiden haben das große Glück, dass die junge Eva (Maya Zapata) gerade einen Mordversuch überlebt hat und die Mörder jetzt identifizieren kann. Klar, dass das den Mördern nicht so recht in den Kram passt. Vor allem nicht, wenn die Mörder zu den höhergestellten Persönlichkeiten der Stadt gehören. Zu den höhergestellten Persönlichkeiten der Region. Und sogar ein US-amerikanischer Senator in die Sache verwickelt scheint. Nein, das nun ausgerechnet nicht. Der ist vor Ort um dafür zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen der Fabrikarbeiterinnen sich nicht verbessern können.

Denn entlang der Grenze haben die großen Konzerne eine Reihe von Fabriken angesiedelt, um zu mexikanischen Niedriglöhnen Produkte herzustellen, die sich in Amerika für viel Geld verkaufen lassen. Freihandelsabkommen nennt man das dann. Die Arbeitsbedingungen in diesen Fabriken, den sogenannten Maquilas, sind sehr hart, und die verschwundenen Frauen sind zu einem guten Teil Arbeiterinnen auf dem Nachhauseweg gewesen. Die Polizei wiederum sieht keine spezielle Mordserie, sondern verortet die Morde im häuslichen Umfeld, im Organhandel und als Folge der zunehmenden Banden- bzw. Drogenkriminalität. Ein Ägypter wird verhaftet, und der war es dann. Punkt. Die Nachforschungen einer Journalistin kann da niemand wirklich brauchen. Die Polizei nicht, die Behörden nicht, die Wirtschaftsbosse nicht, die mächtigen Familien nicht. Und die Politiker noch viel weniger.

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Bei BORDERTOWN bin ich eigentlich, trotz des grundsätzlich düsteren Themas, erstmal von einem familienkompatiblen Weichspüldrama ausgegangen. Antonio Banderas, Jennifer Lopez, eine Altersfreigabe ab 12 - Irgendwie klingt diese Kombination eher abschreckend. JLo und der Antonio verlieben sich und machen keusch-heißen Sex unter südlicher Sonne, die Bösen machen halt was Böse so machen (finster schauen, gemein sein, Befehle erteilen …), und am Ende reiten Held und Heldin nach vollbrachter Befreiung Mexikos frisch verliebt gen Sonnenuntergang.

Selten so “enttäuscht“ worden! Stattdessen werden wir in ein finsteres Kaleidoskop aus Hitze und Gewalt, aus Verkommenheit und Verzweiflung geworfen. Wir begleiten die junge Eva auf einem Alptraum durch die Nacht von Juárez, aus dem sie in ihrem eigenen Grab aufwacht. Lauren, die das ganze prinzipiell geschäftsmäßig als “Story“ auffasst und entsprechend erstmal eher distanziert ist, beginnt irgendwann, spätestens nach ihrer Schicht in einer Maquila, zu begreifen, dass sie nicht mit einem kriminalistischen Problem konfrontiert ist, sondern mit einem systemischen. Die Melange aus amerikanischen Unternehmen und mexikanischen Familien einerseits, aus mexikanischen Löhnen und Arbeitsbedingungen und amerikanischen Verkaufspreisen andererseits, diese Mischung ist für Profitgeier aller Art so attraktiv wie ein Haufen Scheiße für Fliegen. Die Frauen in den Fabriken werden ausgebeutet, und auf dem Heimweg von Psychopathen entführt und ermordet, welche mutmaßlich den Schutz der großen Familien genießen. Und damit das alles nicht so hoch kocht, werden Polizei und Behörden ordentlich geschmiert, und auf Journalisten wie Diaz wird möglichst viel Druck ausgeübt.

Als Lauren dies begreift weiß sie auch, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hängt. Noch denkt sie, dass sie als Amerikanerin ja per Definition moralisch einwandfrei ist, aber auch diese Einstellung muss sie irgendwann revidieren, nämlich wenn ihr Chef sich weigert die “Story“ zu drucken, und sie ihn kurz darauf mit genau dem Senator im Büro überrascht, den sie vorher auf einer Familienfeier in Juárez als zugehörig zu dem ganzen System entlarvt hat. Sicher eine platte und vorhersehbare Szene, aber eine, die das Prinzip moderner Wirtschaftssysteme doch auf den Punkt bringt: Gibst Du mir in meiner Stadt günstige Produktionsbedingungen, geb ich Dir was immer Du haben willst: Macht, Frauen, …

Nicht platt und vorhersehbar hingegen ist die Inszenierung von BORDERTOWN. Den permanenten Gelbfilter hätte es vielleicht nicht gebraucht, aber der dadurch entstandene Effekt erzeugt genau das was er erzeugen soll: Ein ständiges Gefühl von Kälte, von Einsamkeit, von Bedrohung. Es wird eine Distanz erzeugt, die merkwürdig entgegengesetzt ist zu der Schwüle und Gedrängtheit der Stadt Juárez. Eine wahrhaft alptraumartige Sequenz ist Regisseur Nava im Vergnügungsviertel gelungen, wenn Musik, der Lärm der Autos und die Gespräche der Freier und der Huren sich mit den flickenartig überlagernden Bildern von Vergnügungssuchenden, Clubs, Autos, herumliegendem Müll und einer zunehmend verzweifelteren JLo verbinden. Zutiefst verstörende Bilder einer Gesellschaft, die am unteren Ende des sozialen Verhaltens angekommen ist, denen man sich aber in ihrer Intensität auch nur schwer entziehen kann.

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Ebenso intensiv ist es, wenn Lauren in den Sekunden vor ihrem Tod ihr Leben an sich vorüberziehen sieht. Schnelle Bilder eines jungen Mädchens, zusammengeschnitten mit ihrem Todeskampf und dem im Hintergrund brennenden Slum. Solchen Anschlägen auf das Nervenkostüm des Zuschauers stellt Nava dann gerne auch ruhige Momente gegenüber: Die Wüste im Morgenlicht, oder Sonnenuntergang in der Wüste. Einfachheit und Stille werden bewusst und effektiv gegen die Kakophonie der Stadt gehalten, die nur aus Schmutz, Chaos und Gewalt zu bestehen scheint. Einzig die Kindheitsgeschichte von Lauren ist billig und überflüssig, und die würde für die Geschichte auch nicht wirklich benötigt werden, ist aber wohl als Reminiszenz an den gängigen Publikumsgeschmack zu verstehen, dem alles und jedes genauestens vorgekaut und erklärt werden muss.

Irritierenderweise ganz anders dann aber wieder der Bösewicht. Der heißt mit Vornamen Ares, ist also der personifizierte Gott des Krieges. Ares spricht nicht, Ares wird auch nicht erklärt. Ares ist einfach. Er ist da, und er ist böse. Eine schwarze Figur, die man aus älteren europäischen Filmen oder dem asiatischen Kino kennt, die aber für moderne Filme eher untypisch ist. Er taucht aus dem Nichts auf und er verschwindet auch ins Nichts. Ein dunkler Schatten, ein Nachtmahr. Einer, der Menschen um ihre Träume und um ihr Leben bringt. Trotz seiner kurzen Auftritte definitiv ein Charakter, der nachhallt.

Überhaupt hallt der Film auch in seiner Gesamtheit nach. Was wohl an seiner grundlegenden Ausrichtung liegen dürfte: BORDERTOWN erzählt nicht davon, Träume zu haben oder sie umzusetzen. BORDERTOWN erzählt vom Ende der Träume. Von ihrer Zerstörung und dem was danach kommt. BORDERLAND entsagt sich weitgehend einer sozialromantischen Ader und zeichnet ein Bild, in dem Korruption, Armut und Verbrechen eine Symbiose eingehen, und in der diejenigen, die an der Spitze der Nahrungskette sitzen, niemals etwas zu befürchten haben, während alle anderen als gebrandmarkte Opfer gelten, und daran auch nichts ändern können. In der Realität wurde der wegen Vergewaltigung und Beihilfe zum Mord verurteilte Busfahrer jedenfalls zwei Jahre nach dem Dreh des Films in einem Revisionsverfahren freigelassen …

7/10

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