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DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE - Dario Argento

Verfasst: So., 01.11.2020 17:06
von Prisma


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● DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE / L'UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO / THE BIRD WITH THE CRYSTAL PLUMAGE (D|I|1970)
mit Tony Musante, Suzy Kendall, Eva Renzi, Enrico Maria Salerno Umberto Raho, Reggie Nalder, Renato Romano, Werner Peters und als Gast Mario Adorf
eine Produktion der cCc Filmkunst | Seda Spettacoli | im Constantin Filmverleih
ein Film von Dario Argento


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»Ich weiß nicht was ich seltsam daran fand, aber irgendwas kam mir merkwürdig vor«


Der amerikanische Schriftsteller Sam Dalmas (Tony Musante) wird eines Abends zufällig Zeuge eines Verbrechens. In einer Kunstgalerie beobachtet er den Kampf zwischen einer schwarz gekleideten Gestalt und Monica Ranieri (Eva Renzi), der Frau des Galeriebesitzers (Umberto Raho). Dabei wird sie mit einem Messer attackiert und weil Sam sich bemerkbar macht wird Monica lediglich verletzt. Schnell stellt sich heraus, dass es sich offenbar um einen lange gesuchten Serienmörder handelt, der Rom seit geraumer Zeit unsicher macht und junge Frauen tötet. Beim Verhör mit Inspektor Morosini (Enrico Maria Salerno) stellt sich heraus, dass der Amerikaner noch irgend etwas beim Tathergang gesehen haben muss, er aber nicht benennen kann um was es sich genau handelt. Da Sam in den nächsten Tagen wieder zurück in die USA fliegen möchte, der Inspektor auf ihn als wichtigen Zeugen aber nicht verzichten kann, behält dieser kurzerhand seinen Pass ein und Dalmas begibt sich selbst auf die Suche nach dem Mörder, bei der er und seine Freundin Julia (Suzy Kendall) in Lebensgefahr geraten. Unterdessen schlägt der Mörder erneut zu...

Eine in Schwarz gekleidete, und nicht zu erkennende Gestalt bedient eine Schreibmaschine, der kleine Raum vermittelt ein unbehagliches Vakuum. Alles dort scheint pedantisch geordnet, und tödlich korrekt durchdacht zu sein und die Intention dieser kurzen Szenen vermittelt eine unmissverständliche Deutlichkeit, noch bevor das Phantom zuschlagen wird. Eine junge Frau wird auf der Straße abfotografiert, die wunderbare Musik von Ennio Morricone entschärft die Situation für einen kurzen Augenblick, bevor es mit dem veranschaulichten Kurzpsychogramm des Mörders weitergeht. Ein Foto des Opfers wird mit einer Nummer markiert und eine Reihe bedachtsam angeordneter Messer sorgt für Gewissheit. Der Zuschauer steht unmittelbar vor dem ersten sichtbaren Mord und man weiß durchaus, dass es sicherlich nicht der letzte sein wird. Die Montur der sich geschmeidig bewegenden, und in schwarzem Leder gekleideten Gestalt, vermittelt einen offensichtlich autoerotischen Aspekt. Ein Schrei beendet die Szene und das Leben der vermutlich wahllos auserkorenen jungen Frau. Unmittelbar danach bekommt man den Protagonisten der Story vorgestellt. Sam Dalmas ist abwesend, gedanklich ist er womöglich schon längst wieder zurück in den USA. Sein Blick fällt durch die Panoramafenster einer hell ausgeleuchteten Kunstgalerie und er wird Zeuge eines Verbrechens. In dieser Schlüsselszene ist die Kamera aufmerksamer als der Protagonist und als jeder Beobachter es sein kann, obwohl sie den Zuschauer für einen kurzen Augenblick mit in das Innere der Galerie nimmt. Man sieht Monica Ranieri, ein blankes Messer ist wenige Zentimeter von ihr entfernt, es ist, als könne man sie berühren. Wie Sam den kompletten Film über beteuern wird, stimmt etwas an dieser Szene nicht mit den normalen Gesetzen einer solchen Situation überein, der aufmerksame Zuschauer ist der gleichen Ansicht, doch vorerst kann keiner den verschachtelten Fehler erkennen. Bereits hier zeigt Dario Argento, wo er mit seinem eigentlich kompliziert gestalteten Film hin möchte.

Er trübt die Auffassungsgabe durch die Ferne, bietet aber gleichzeitig die Chance, diese Situation permanent wieder Revue passieren zu lassen, er offeriert Transparenz, die allerdings noch keine Allianz mit dem Vorstellungsvermögen oder der Kombinationsgabe eingehen kann. Der Augenzeuge wird vom Täter im Labyrinth der Glasfenster gefangen gehalten, trotz der Nähe entsteht eine unüberbrückbare Distanz, so dass die Zeit bleibt, jede Einzelheit dokumentieren zu können. Der Raum vermittelt eine beeindruckende Struktur, genau wie es übrigens der komplette Film tun wird, die Szenerie veranschaulicht Kontraste, die sich ebenfalls durch den Verlauf ziehen werden. Die Struktur dieser Situation wird durch die verletzte Monica Ranieri gestört, umgekehrt, da es zunächst niemandem möglich ist, zu intervenieren. Trotz ihres Kampfes, bleibt die unbequeme Möglichkeit, einige Gedanken weiter auszumalen, weil die Regie die verstreichende Zeit einem Diktat ähneln lassen wird. Wird Monica Ranieri rechtzeitig gerettet werden, wird sie Angaben zum Täter machen können, wird Sam Dalmas als dringend tatverdächtig eingestuft, ist er ab sofort selbst in Gefahr? Der Film nimmt seinen spektakulären, oder vielmehr intelligenten Lauf und es ist erstaunlich, welcher Meilenstein hier entstanden ist, wohlgemerkt mit einfachen und klassischen Mitteln. Erstaunlich vielleicht deswegen, weil man "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" aus damaliger Sicht einfach als das betrachten muss, was der Film vom Ursprung her sein sollte: Ein Beitrag, der in der Bundesrepublik unter der Trivialmarke Bryan Edgar Wallace vermarktet wurde. Die Vermutung liegt also nahe, dass sich zur Entstehungszeit vielleicht noch niemand so recht im Klaren darüber war, wie dieser Film ein komplettes Genre noch beeinflussen würde und welche Sensation man am schmieden war. Der Verlauf ist als Blick zurück nach vorn aufgebaut und ähnelt einem spröden Zusammentragen von vielen Mosaiksteinchen. Da Sam Dalmas und seine Freundin unfreiwillige Ermittler werden, und die Polizei bei der Lösung des Falles ebenfalls Schützenhilfe leisten kann, zeigt sich die bereits erwähnte, jedoch schleichende Transparenz für den Zuschauer.

Der Fall bereitet Kopfzerbrechen, und der Mörder schlägt immer wieder zu. Dies geschieht nicht in aller Diskretion, nein, er ist mittlerweile so weit, dass die Taten in einer vollkommen omnipotenten Art und Weise telefonisch bei der Polizei angekündigt werden. Die Gesetzeshüter spannen unterdessen Sam Dalmas als Lockvogel ein, da jegliche Anhaltspunkte fehlen. Die Taten folgen immer dem gleichen Muster. Schöne, alleinstehende Frauen werden bestialisch ermordet und es bleibt zu erahnen, dass der Geschichte ein psychologisches Motiv zu Grunde liegt. Betrachtet man die beteiligten Darsteller, so wirkt die Crew wie eine Bestätigung dafür, dass man nicht unbedingt von einem möglichen Überraschungscoup ausgegangen war, denn die Riege ist nicht mit den damaligen Top-Akteuren ausstaffiert worden. Dies soll weniger als Kritik, sondern eher als Feststellung angemerkt sein, denn die Darsteller wirken bis in die kleinsten Rollen perfekt besetzt. Tony Musante macht jeden Zuschauer aufgrund seiner wichtigen Beobachtung zum Verbündeten, bei dieser Variante entsteht eine noch intensivere Solidarität mit dem Protagonisten als im Normalfall. Auch dass die sympathische Suzy Kendall an seiner Seite mit recherchiert, rückt sie deutlich in den Kreis der Sympathieträger. Beide werden noch in äußerst gefährliche Situationen geraten, die sie trotz einiger persönlicher Warnungen des Mörders nicht scheuen. Tony Musante gefällt aufgrund seiner kantigen Art. Seine Alleingänge wirken vielleicht bezeichnend für seinen Charakter, da er im privaten Bereich nicht anders vorzugehen scheint. Suzy Kendall wirkt bodenständig und kann in den richtigen Situationen ihre Emotionen heraus lassen. Ihre besten Momente zeigt sie, als der Handschuhmörder sie in ihrer eigenen Wohnung bedroht, Kendall hat man nicht alle Tage so temperamentvoll und präzise gesehen. Beim Thema Präzision ist unbedingt auch Enrico Maria Salerno zu nennen, der den überforderten Polizeiapparat anführt. Seine ruhigen und überaus sachlichen Ermittlungen wissen zu gefallen, sie würden einem sogar imponieren, wenn unterm Strich die richtigen Ergebnisse stehen würden.

Weitere bekannte Gesichter und willkommene Darbietungen liefern ein zweifelhafter Umberto Raho, ein ebenso schwer einzuschätzender Renato Romano und Reggie Nalder, als rechte oder linke Hand des Mörders, der wirklich für beängstigende Momente sorgen wird. Allround-Talent Werner Peters beeindruckt, gegenüber seiner sonst obligatorischen Auftritte, in einer vollkommen konträr angelegten Rolle, als an Sam interessierter Antiquitäten-Händler, die man zuvor noch nie von ihm gesehen hat. Schließlich rundet Mario Adorf das Geschehen als Gast ab, und zwar mit einer absolut irren Performance, die weniger für Aufklärung, als Auflockerung sorgen wird. In der Welt der Gialli sollte es insbesondere nach diesem Beitrag forcierter zugehen, so dass man hier im Rahmen von Gewaltspitzen und expliziten Szenen, auch im Sinne des Anvisierens der konstitutionellen Vorzüge der beteiligten Damen, noch gezügeltere Wege eingeschlagen hatte. Was allerdings immer schon ein Thema war, ist die Schönheit im allgemeinen, sowie im präziseren Sinne. Bleibt man bei diesem Schlagwort, so kommt man zu niemand anderem als zu der umwerfenden Eva Renzi, die hier in beeindruckenden Etappen eingesetzt, oder besser gesagt platziert wurde. "Das Lexikon der Deutschen Filmstars" bescheinigte ihr, sie konnte »ihre anspruchsvollen Rollencharaktere mit reifem Spiel und feiner Psychologie vertiefen«, eine Einschätzung, die hier wie der springende Punkt wirkt. Zugegebenermaßen ist "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" auf psychologischer Ebene ausbaufähig geblieben, so dass man anerkennen muss, dass Eva Renzi einen nicht unwichtigen Teil dazu beiträgt, dass diese eindrucksvolle Assoziationskette funktioniert, und sei es nur auf die darstellerischen Kompetenzen reduziert. Renzi formt Monica Ranieri tiefenbetont, sie wird Teil des Films, der Geschichte, eines Dekors, was den Zuschauer über die gesamte Spieldauer beschäftigen wird. So ging eine vereinnahmende Leistung der Deutschen in die Geschichte des Giallo ein, die auch heute noch einen gewissen Modell-Charakter vermittelt.

Die persönliche Quintessenz Eva Renzi hat im Grunde genommen keine weiteren Beschreibungen nötig, denn ein Blick genügt um zu begreifen, dass sie selbst Expertise genug darstellt. Der deutsche, klassische Krimi erlebte Mitte der 60er Jahre die Geburtsstunde des sogenannten "Melissa-Effekts", für die Gialli könnte man diese Erfindung vielleicht ab sofort "Monica-Ranieri-Effekt" nennen, denn dieses Modell sollte fortan noch häufiger Verwendung finden. Dario Argentos Beitrag beweist in nahezu allen Bereichen eine überdurchschnittliche Qualität. Zunächst ist die globale Stilsicherheit zu erwähnen, vor allem die erfinderische Attitüde, die dem Film seine unbeirrbare Richtung gibt, ist bemerkenswert. Im visuellen und bildsprachlichen Bereich kommt es zu vielen größeren und kleineren Highlights, insbesondere die subjektiven Kamerafahrten bei den Ermordungsszenen forcieren hochspannende Momente. Vereint mit Ennio Morricones abwechslungsreicher Musik, die ebenfalls Emotionen schürt, aber genauso für Atempausen sorgt, entstehen formvollendete Kreationen. Dario Argento beweist mit seinem Frühwerk, dass es sich bei ihm um einen Querdenker handelt, der mit formellen und stilistischen Kapriolen bestehende Grenzen und Gesetzte der Inszenierung aufweichen konnte. Die hier auftauchenden Stilelemente werden zur dichten Fusion für den Zuschauer, unterm Strich steht zwar die Ambition der Unterhaltung, allerdings der intelligenteren Sorte, obwohl sich auch viele Oberflächlichkeiten aufspüren lassen (könnten). Der Verlauf gibt die Besonderheit des Gesamtwerkes lange nicht her, das Finale wird gleich in mehreren Etappen eingeleitet und etliche Twists tragen zum besonderen Sehvergnügen, beziehungsweise Erstaunen bei. Das echte Finale erweist sich schließlich als einer der überraschendsten Momente überhaupt und das abrupte Ende lässt eine nüchterne Prognose zurück, die fehlende Erklärungen weg dividiert. Wenn der Film schließlich zu Ende ist, kommt eigentlich immer wieder der selbe Wunsch zum Vorschein, nämlich "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" noch einmal als Erstansicht wahrnehmen zu können. Ein prägendes Erlebnis!

Re: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE - Dario Argento

Verfasst: Di., 03.11.2020 21:42
von Count Yorga
NFP Filmprogramm
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Re: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE - Dario Argento

Verfasst: Mi., 25.11.2020 19:36
von Mater_Videorum
DEADLINE-RETRO-VHS-REPACK der neuen Pidax-Scheiben im alten Toppic-Design:

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Re: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE - Dario Argento

Verfasst: Mi., 25.11.2020 22:01
von Prisma
Mater_Videorum hat geschrieben:
Mi., 25.11.2020 19:36
DEADLINE-RETRO-VHS-REPACK der neuen Pidax-Scheiben im alten Toppic-Design:

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Die Veröffentlichung finde ich ja echt cool und wäre vielleicht schärfer drauf gewesen, wenn ich die Toppic-VHS nicht schon hätte. Nicht, dass es dasselbe wäre... :D

Re: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE - Dario Argento

Verfasst: Do., 26.11.2020 13:06
von Mater_Videorum
Prisma hat geschrieben:
Mi., 25.11.2020 22:01
Die Veröffentlichung finde ich ja echt cool und wäre vielleicht schärfer drauf gewesen, wenn ich die Toppic-VHS nicht schon hätte. Nicht, dass es dasselbe wäre... :D

Ich habe mein Toppic-Kassettchen vor ein paar Jahren verschenkt, da kam mir der optisch ähnelnde Ausgleich gerade recht. :D

Re: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE - Dario Argento

Verfasst: Do., 26.11.2020 22:21
von Prisma
Mater_Videorum hat geschrieben:
Do., 26.11.2020 13:06
Ich habe mein Toppic-Kassettchen vor ein paar Jahren verschenkt

Ich konnte mich von den Toppic-VHSsen einfach nicht trennen. Zu schön wars damals, sie zu haben, zu schwer war manchmal der Weg, sie zu bekommen. :mrgreen:
Ich habe gesehen, dass es diese VHS-Retro-Edition für "Das Geheimnis des gelben Grabes" auch geben soll.

Re: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE - Dario Argento

Verfasst: Mo., 09.10.2023 09:57
von Prisma


Nach dem Durchsehen der Bryan-Edgar-Wallace-Reihe in Schwarzweiß bilden die Farb-Beiträge mitunter eine ganz besondere Liga, konzentrieren sie sich doch im Wesentlichen auf völlig andere Schwerpunkte. "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" avancierte seinerzeit zu einem unerwarteten Überraschungserfolg, was nicht zuletzt an der ausgeklügelten Architektur dieses Thrillers liegen mag, der unter Regisseur Dario Argento in ganz ungeahnte Sphären gehoben wird. Der Überraschungseffekt ist vielleicht nie wieder so hoch wie hier gewesen, wird der Zuschauer doch erfolgreich aufs Glatteis geführt und mit einer quälenden Denkaufgabe betraut. Was ist ihm ebenso wie dem Protagonisten Sam Dalmas aufgefallen, was nicht ins Gesamtbild passen möchte? Ein maskierter Mörder sucht sich Opfer aus, die er im Vorfeld beinahe bürokratisch zum Tode verurteilt. Die drastischen Veranschaulichungen wirken beunruhigend, ebenso wie die Tatsache, dass er jederzeit wieder wahllos zuschlagen könnte. Argento integriert also einen tickenden Sekundenzeiger im Szenario, was zu einem guten Tempo führt. Ebenso wird auf Intervalle geachtet, die akribisch auf- und abgearbeitet werden, sodass es zu einem Gesamtkonzept kommt, das überraschend frisch, modern, dynamisch und einfach gut durchdacht wirkt. Motiv und Erläuterungen werden zwar in die zweite Reihe durchgereicht, doch es kommt nie zu signifikanten Ausfällen im Gesamt-Erscheinen. Blendend funktioniert die internationale Besetzung mit Tony Musante & Suzy Kendall, denen auf unterschiedlichste Weise von Eva Renzi, Mario Adorf, Reggie Nalder, Werner Peters, Umberto Raho, Renato Romano oder Enrico Maria Salerno zugearbeitet wird, oder manchmal ist auch das genaue Gegenteil der Fall. "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" ist ohne jeden Zweifel ein atemberaubender Triller geworden, ein Messlatten-Giallo obendrein, und ein völlig unkonventioneller BEW-Beitrag, den man sich immer wieder anschauen kann, egal aus welchem Blickwinkel. Klasse!

Re: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE - Dario Argento

Verfasst: Mo., 09.10.2023 12:14
von Sid Vicious
Prisma hat geschrieben:
Mo., 09.10.2023 09:57
"Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" ist ohne jeden Zweifel ein atemberaubender Triller geworden, ein Messlatten-Giallo obendrein, und ein völlig unkonventioneller BEW-Beitrag, den man sich immer wieder anschauen kann, egal aus welchem Blickwinkel. Klasse![/align]
Ich habe ihn ja kürzlich auch mal wieder geschaut und war dito begeistert wie nach der Erstsichtung Ende er 1980er. HANDSCHUHE hat all das, was ein Giallo-Thriller braucht, um als unumstößlicher Meilenstein bis ans (vermutlich in 40 Jahren anstehende) Ende der Welt zu thronen.

Re: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE - Dario Argento

Verfasst: Mo., 09.10.2023 13:00
von Prisma


Ich habe den Film damals in Köln auf Toppic-VHS gekauft, gerade diese Tapes habe ich dann immer wie Trophäen nach Hause getragen und konnte es kaum erwarten, mich draufzustürzen. Ich erinnere mich noch, dass ich "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" als letzten von mehreren Bändern geschaut hatte, da ich ihn noch nicht als so spektakulär besetzt identifizieren konnte, wie er tatsächlich ist. Der Film war wirklich ein einmaliges Erlebnis, die Architektur völlig neu, und einen derartigen Überraschungseffekt habe ich im Genre des Giallo nie wieder kennengelernt, folglich misst sich jeder weitere Vertreter auch indirekt an diesem Argento, was vor allem auch für seine eigenen Beiträge gilt. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass alles, was danach kam, nicht zu gebrauchen war. Ganz im Gegenteil, denn das Genre hat mir sehr viele schöne Filmstunden beschert.

Re: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE - Dario Argento

Verfasst: Sa., 04.11.2023 19:22
von Prisma


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● EVA RENZI als MONICA RANIERI in
DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE (D|I|1969)



Durch die Augen des Protagonisten Sam Dalmas wird dem Publikum das Verbrechen in einem atemberaubenden Panoramablick geboten: zunächst fern, dann nah und unmittelbar am Ort des Geschehens. Mit ihm ist man über den gesamten Verlauf einer Meinung, dass genau in dieser Situation der Schlüssel zur Aufklärung zu finden ist. Doch wie mag dieser letztlich aussehen? Es bleibt lediglich das diffuse Gefühl zurück, dass tatsächlich etwas Signifikantes übersehen worden sein muss, dass etwas nicht in das Gefüge gepasst hat, doch man kann es nicht beim Namen nennen. Mit diesem Verwirrung stiftenden Element spielt Regisseur Dario Argento über die komplette Distanz, und entgegengesetzt zu der Kürze ihrer Rolle ist es Eva Renzi, die zur Projektionsfläche für das beliebte Rätselraten wird, welches unter der italienischen Regie in neue Sphären gehoben wird. Renzi wird unterm Strich eine der interessantesten Charaktere in "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" formen, denn man tastet sich mit ihr an der kompletten Palette von Eindrücken entlang, die eine Geschichte wie diese so besonders machen. Es kommt zunächst zu unscheinbaren Eindrücken, bis die Verwirrung Oberhand gewinnen kann. Nicht nur, dass Monica Ranieris erstes Auftreten gleich zu Beginn die Erinnerung in einem Höchstmaß beschäftigen wird, es ist auch bemerkenswert, in welchem Umfeld sich diese dramatischen Szenen abspielen. Argentos Set ist bis ins kleinste Detail durchdacht; eine Hommage an das Prinzip style over substance. Es wird eine auffällige Struktur und Symmetrie innerhalb der Szenerie vermittelt, die als visuelles Ablenkungsmanöver bezüglich der Hintergründe gesehen werden kann. Zwischen den imposanten und geradezu vereinnahmenden Skulpturen findet sich das so makellos schöne Opfer des Frauenmörders, welcher Rom seit geraumer Zeit unsicher macht. Zu Eva Renzi lässt sich schließlich sagen, dass sie wie ein Teil dieses Sets erscheint, und auch sie ebenso präzise durchdacht wirkt.

Ihre weiße, mit Blut überströmte Kleidung stellt die Verletzung in den Vordergrund, die ihr vom in Schwarz gekleideten Täter zugefügt wurde. Die kurze Entfernung zu Sam Dalmas wird aufgrund der Tatsache, dass beide von einer Glasscheibe getrennt werden, aufgehoben. Wegen Monica Ranieris langem Kampf erscheint die tatsächliche Nähe zur unüberwindbaren Distanz zu werden, da sie nur Zentimeter für Zentimeter zurücklegen kann. Alles wirkt abgestimmt, alles ist zu Ende und weiter gedacht worden, sodass man sagen darf, dass eine derart lückenlos und raffiniert aufgebaute Assoziationskette nicht alle Tage gefunden werden dürfte. Erleichtert nimmt man schließlich zur Kenntnis, dass sich der empfundene Todeskampf der Monica Ranieri als nicht lebensgefährlich herausstellt und sie rechtzeitig gerettet werden kann. Diese eindrucksvolle erste Etappe ihrer Rolle wird für den Moment stillgelegt, doch beschäftigt die Erinnerung des Protagonisten und des Publikums sehr effektiv und quälend, da es immer wieder zu Blitzeinblendungen des Vorfalls kommt, die Sam einfach nicht loslassen. Das nächste Aufeinandertreffen erfolgt erneut am Ort des Verbrechens, an dem das Opfer sich beinahe gehemmt bei ihrem Retter bedanken wird. Verheißungsvoll gibt sie die Erklärung ab, dass sie auch weiterhin in Angst lebe und man wird hellhörig, weil man Monica Ranieri ebenfalls weiterhin in diffuser Gefahr sieht. Außerdem entsteht der Eindruck, dass sie noch etwas Wichtiges mitzuteilen gehabt hätte, doch von ihrem eigenen Mann unterbrochen und aus welchen Gründen auch immer der Situation entzogen wird. Eva Renzi stattet diese kurze Szene mit allen erforderlichen Mitteln aus, die zur Glaubwürdigkeit führen, und es ist erstaunlich, dass sie hier komplett entgegengesetzt zu ihren üblichen Rollenstrukturen eingesetzt wird. Optisch modern und selbstbewusst wirkend, erscheint sie dennoch unterdrückt, gehemmt und letztlich unergründlich zu sein.

Sie hat sofort zu funktionieren, wenn ihr reichlich unsympathisch wirkender Mann nach ihr ruft und sie zur Stelle haben möchte. Angst und Besorgnis trieben bei ihr normalerweise andere Blüten des Angriffs und weniger der Verteidigung, und dies im Sinne einer völlig anderen Ausgangsposition. Erneut wird es wieder länger ruhig um die Frau des Galerie-Besitzers, um die letzten Etappen ihres Auftritts zu bahnen, die noch außerordentliche Eindrücke bereithalten werden. Über allem steht der bemerkenswerte Aufbau dieses Films, also auch dieses Parts. Eva Renzi als Teil des hier minutiös aufgezogenen Verwirrspiels und Bestandteil eines auffälligen Dekors ist eine wichtige Komponente einer Konstruktion, die einfach nur als brillant zu bezeichnen ist. Monica Ranieri wirkt eingeschüchtert, traurig und unergründlich, obwohl die Dramaturgie sie als scheinbar transparente Erscheinung in den Ring schickt, außerdem mit wenig Screentime ausstattet, ihr somit die Möglichkeiten nimmt, weiter in die Tiefe zu gehen. Insbesondere ihre anschließenden Sequenzen bleiben in nachhaltiger Erinnerung und es ist bemerkenswert, wie Eva Renzi diese zugegebenermaßen nicht alltägliche Anforderung lösen wird. Die Mischung aus dosiertem, aber ebenso spontanem, bis hin zu impulsivem Darbietungsstil manifestiert den Begriff Idealbesetzung, wenngleich sie ihre Rolle selbst sehr kritisch, beziehungsweise einförmig betrachtete. Es ist tatsächlich kaum zu verstehen, warum Eva Renzi ihren Part im Rückblick so zynisch beurteilte, denn im Kontrast steht eine einwandfreie Leistung mit Modellcharakter, welcher fortan in diversen Gialli quasi als eine Art "Monica-Ranieri-Effekt" Verwendung aber nicht Vollendung finden sollte, und in dieser Qualität nicht mehr häufig reproduziert werden konnte. Dies alleine führt zu einer denkwürdigen Interpretation in einem prägenden Film, der durch Eva Renzis perfekt angepasste und sich ganz natürlich justierende Aura nur gewinnen kann. Immer wieder ein Genuss.


EVA RENZI