DER KILLER VON WIEN - Sergio Martino

Schwarze Handschuhe, undurchsichtige Typen, verführerische Damen und stylische Kills.
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Percy Lister
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DER KILLER VON WIEN - Sergio Martino

Beitrag von Percy Lister »

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"Der Killer von Wien" (Lo strano vizio della signora Wardh) (Italien / Spanien 1971)
mit: Edwige Fenech, George Hilton, Alberto de Mendoza, Ivan Rassimov, Cristina Airoldi, Manuel Gill, Carlo Alighiero, Bruno Corazzari, Miguel del Castillo, Marella Corbi, Luis de Tejada, Mira Vidotto, Pouchie, Giuseppe Marrocco u.a. | Drehbuch: Eduardo M. Brochero und Ernesto Gastaldi | Regie: Sergio Martino

Julie und Neil Wardh leben in New York. Börsengeschäfte führen den Mann nach Wien, wo Julie ihrem früheren Liebhaber Jean begegnet, mit dem sie ein zerstörerisches sadomasochistisches Verhältnis verband. Auf einer Party lernt sie den Erben George kennen, der ihr neue Lebensfreude gibt. Währenddessen wird die Stadt von einem brutalen Frauenmörder heimgesucht und es scheint so, als hätte er es auch auf Julie abgesehen....

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"Das seltsame Laster der Frau Wardh" scheint der Auslöser für verstörende und bedrohliche Vorgänge zu sein, wird aber nicht weiter begründet. Offensichtlich handelt es sich bei der attraktiven Frau um eine Person, deren Selbstbewusstsein nicht sehr ausgeprägt ist, obwohl sie in einem Umfeld der Prosperität lebt und keine anderen Sorgen als ihr eigenes Gefühlsleben hat. Das Bedürfnis, von jemandem dominiert zu werden und die Kontrolle über ihr Leben abzugeben, schwächt ihre Persönlichkeit, was sie für autoritäre Männer zur leichten Beute werden lässt. So weckt sie entweder einen Beschützerinstinkt oder leitet dazu an, sie zu erniedrigen, weil sie ihrem Partner wenig entgegenzusetzen hat. Gleich drei Männer glauben, zu wissen, was das Beste für sie ist und versuchen, sie nach ihren Vorstellungen zu formen. Jean, der dominante Freund nachtaktiver Tiere, übt seine Macht mit Gewalt aus; Neil, ihr konservativer Ehemann bietet ihr ein sicheres Ambiente, langweilt sie jedoch mit seinem Börsenhintergrund, während der sportliche George Abenteuer und Bedingungslosigkeit verspricht. Julies Freundin Carol propagiert die Sorglosigkeit, weil sie an der Unberechenbarkeit des Lebens nichts ändern kann und behauptet sich mit einer Prise Humor und Schlagfertigkeit. Niemand außer Neil Wardh muss einem Broterwerb nachgehen und so dreht sich alles um das eigene Wohlergehen und jede Regung auf der Klaviatur der Emotionen wird ausgekostet und analysiert. Die Angst vor dem unheimlichen Frauenmörder nimmt zu, als die Beziehungen Julies kompliziert werden und weitet sich auch auf die loyale Freundin aus, weil sie Julie helfen will. Der Rasiermessermörder beeinflusst durch seine Strafaktionen die Psyche der Frauen, weil er einem Hass das Wort spricht, der auf die Vernichtung des Weiblichen ausgerichtet ist. Seine Attacken richten sich gegen junge, aktive Frauen, deren Leben er in rabiater Weise vernichtet. Die latente Bedrohung durch ihre eigene Vergangenheit lässt Julie nicht zur Ruhe kommen und suggeriert ihr, sie selbst müsste das nächste Opfer des Mörders werden, während ihre fröhliche Freundin Carol so eine Gefahr mangels ähnlicher Erfahrungen nicht spürt.

Die Besetzung des Films wartet mit alten Bekannten auf, wobei besonders George Hilton immer eine sichere Bank ist. Obwohl der stets sonnengebräunte Mann oftmals im Zwielicht steht und sich nachdem man Vertrauen zu ihm gefasst hat, gern als Schurke entpuppt, ist man ihm nie lange böse, weil es ihm gelingt, diese souveräne Nonchalance zu vermitteln, die ihm Sympathien sichert. Alberto de Mendoza hält sich mit seinen Gefühlsregungen meist zurück und strahlt Seriosität, aber auch Unergründbarkeit aus. Das Sprichwort der stillen Wasser trifft auf ihn zu. Ivan Rassimovs animalische Ausstrahlung macht ihn zu einem unangenehmen Zeitgenossen, der neben seinen handfesten Attributen wenig zu bieten hat. Inmitten dieser Männer schafft es Edwige Fenech mit ihrem Schneewittchen-Gesicht spielend, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ihr treuherziger Augenaufschlag, der viele Männer um den Verstand bringt, weckt Hoffnungen auf weitere Einblicke, die sie mehrfach gewährt. Was bleibt, ist jedoch eine gewisse Leere, weil ihr das Lebensfeuer fehlt. Vermutlich glaubte sie deshalb, durch den Zusatz von Gewalt, ihre Empfindungen verstärken zu können. Sie agiert und bleibt doch abwesend, in ihrem eigenen Kokon gefangen. Ohne Zweifel würde ein Psychologe dieses Beziehungsmuster als krankhaft konstatieren, weil sie nicht Herrin ihrer selbst ist, sondern nur auf äußere Einflüsse reagiert. Edwige Fenech gelingt es, das Publikum für sie einzunehmen, weil sie sich auch den Vorgaben des Drehbuchs ganz hingibt und man sich wünscht, sie möge sich endlich aus diesem ungesunden Strudel der psychischen und physischen Abhängigkeiten befreien. Das Wiener Lokalkolorit ist dezent und wird ohne touristische Aufdringlichkeit inszeniert. Die Poesie der Schauplätze zeugt von großem Respekt, weil sie sorgsam gewählt worden sind. Die Parkanlagen von Schloss Schönbrunn erinnern in ihrer Inszenierung an Szenen aus "Letztes Jahr in Marienbad", während die pittoresken Gassen der spanischen Küstenstadt auf die Enge hinweisen, in die Julie Wardh getrieben wird. Bemerkenswert auch die musikalische Umrahmung durch Nora Orlandi, deren unaufdringlicher Score die Stimmungen verstärkt, ohne sie zu erdrücken.

FAZIT: Ein eleganter, farbenprächtiger Giallo vor gehobener Kulisse mit einem überzeugenden Ensemble und einer schlüssigen Story. Spielt in einer Liga mit ähnlich konzipierten Filmen wie "Der Schwanz des Skorpions" oder "Der Mann ohne Gedächtnis".

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Sid Vicious
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Re: DER KILLER VON WIEN - Sergio Martino

Beitrag von Sid Vicious »

In der Tat obere Liga. Das Finale mag ich sehr gern, da der allegorische Groschen mehrfach fällt, aber stets aufgefangen wird, um den Zuschauer geschickt und taktisch clever an der Nase herum zu führen. Ewig nicht mehr geschaut, aber so blieb mir der Stoff in Erinnerung.
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Percy Lister
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Re: DER KILLER VON WIEN - Sergio Martino

Beitrag von Percy Lister »

Der Plot basiert auf einer sehr geschickten Überlegung, die ein Verbrechen in mehrere Schichten verpackt, um wasserdichte Alibis für alle Beteiligten zu schaffen und die wahren Motive für die parallel und über Kreuz ablaufenden Taten zu verschleiern. Die titelgebende Obsession der weiblichen Hauptfigur wird als roter Hering benutzt, während es in Wahrheit um ganz andere Dinge geht. Die psychologischen Aspekte bilden die Grundlage für starke Emotionen wie Hass oder Gier, während die Frage, wem man trauen kann, unterbewusst beantwortet wird. Plakative Elemente des Giallos stellen den Großteil der Zielgruppe zufrieden und wer sich mehr erwartet, darf ebenfalls ein positives Fazit ziehen. Freilich sind die Schauspieler ein Gewinn für die Geschichte, weil sie sehr klassisch mit Attributen in Verbindung gebracht werden, die der Absicht des Drehbuchs in die Hände spielen. Edwige Fenech findet sich glaubhaft in der Rolle des arglosen Opfers, obwohl sie durch die Rückblenden im Grunde als Protagonistin einer sadomasochistischen Beziehung selbst lange Zeit nach Gefahr und Gewalt gelechzt hat.

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