BLUTIGER ZAHLTAG - Flavio Mogherini

Schwarze Handschuhe, undurchsichtige Typen, verführerische Damen und stylische Kills.
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Prisma
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BLUTIGER ZAHLTAG - Flavio Mogherini

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BLUTIGER ZAHLTAG


● LA RAGAZZA DAL PIGIAMA GIALLO / LA CHICA DEL PIJAMA AMARILLO / THE PYJAMA GIRL CASE / BLUTIGER ZAHLTAG (I|E|AU|1977)
mit Dalila di Lazzaro, Ray Milland, Michele Placido, Howard Ross, Ramiro Oliveros, Rod Mullinar, Giacomo Assandri und Mel Ferrer
eine Produktion der Zodiac Produzioni | PICASA
ein Film von Flavio Mogherini

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»Dass sie vor ihrem Tod noch Geschlechtsverkehr hatte, sagt mir nicht viel!«


In einem Autowrack am Strand findet man eine bis zur Unkenntlichkeit entstellte Frauenleiche, die einen auffälligen gelben Pyjama trägt. Das Opfer wurde erschossen und ihr wurde zusätzlich der Schädel eingeschlagen, bevor man versuchte sie zu verbrennen. Die Stadt ist in Aufruhr und die Polizei gerät unter immensen Druck, den Mörder so schnell wie möglich zu finden. Inspektor Ramsey (Ramiro Oliveros) von der Mordkommission, scheint bislang im Dunkeln zu tappen, da man es mit einem Verbrechen zu tun hat, für das es scheinbar kein Motiv gibt. Der bereits pensionierte Inspektor Thompson (Ray Milland) bietet ihm seine Hilfe an, und es scheint, dass er aufgrund seiner unorthodoxen Ermittlungen und der jahrelangen Erfahrung immer einen Schritt voraus ist. Als sich die verfolgte Spur tatsächlich als brandheiß herausstellt, wird es für den ehemaligen Inspektor lebensgefährlich. Vom Polizeiapparat ist jedoch keine Hilfe zu erwarten, da man bereits den mutmaßlichen Täter, einen altbekannten Voyeur (Giacomo Assandri), dingfest gemacht hat und des Mordes beschuldigt...

Flavio Mogherinis Film beginnt recht eigenartig mit einer Off-Stimme, die erklärt, dass es sich um einen Fall nach wahren Begebenheiten handelt, der an Originalschauplätzen stattfindet. Der Zuschauer wird sich über die gesamte Spieldauer an diese Information erinnern, was eine große Verwirrung stiftet, weil eigentlich kein Realitätstransfer wahrnehmen ist, und die Geschichte sogar ziemlich inkohärent erzählt wirkt. Auf der anderen Seite beginnt "Blutiger Zahltag" aber auch wirklich spektakulär, als eine nicht zu identifizierende Leiche gefunden wird. Das Setting ist idyllisch, der harte Schock wird über ein Kind gesetzt, was sich erfahrungsgemäß immer auszahlt, um den Zuschauer nachhaltig zu beunruhigen. Nach wenigen Minuten zeigt sich außerdem, dass der Film von handwerklicher Seite bemerkenswerte Akzente in den Bereichen der Bildgestaltung und der Detail-Orientierung setzen wird, doch langsam aber sicher kippt das Ganze dem Empfinden nach um. Es bäumt sich der Eindruck auf, dass die Regie ausschließlich über die visuelle und akustische Wahrnehmung des Zuschauers zu punkten versucht, um die vermeintlich schwache Dramaturgie zu verschleiern. Allerdings sollte man sich bei diesem Verlauf selbst am wenigsten trauen. Des Weiteren lebt der Film von Riz Ortolanis überragender Musik, die Stimmungen provoziert und geschilderten Emotionen greifbare Gesichter verleiht. Was die Besetzung angeht, so erscheint der erste Blick beinahe ernüchternd zu sein, doch es stellt sich umgehend heraus, dass wirklich alle Darsteller zu Höchstleistungen auflaufen und tiefe Charakterzeichnungen kreieren werden, was die Geschichte in überdurchschnittliche Sphären erhebt.

Das Geschehen ist angereichert mit einer bunten Mischung aus unterschiedlichsten Personen, die quasi im gegenseitigen Einvernehmen nur hohe Widerstände zu Tage bringen. Ray Millands Rolle ist ein kleiner Seitenhieb in Richtung der Polizei und deren modernen Auffassungen und progressiven Methoden. Sein Zynismus bereichert das Geschehen ungemein, doch es scheint, als jage er Schimären hinterher. Seine gesammelten Indizien wirken daher wie ein Sack Reis, der gerade in China umgefallen ist. Die beiden Inspektoren Ramsey und Morris, die sehr eingängig von Ramiro Oliveros und Rod Mullinar dargestellt werden, erwecken den Eindruck von auffälliger Inkompetenz, was aber auch wiederum nur an dem renitenten Ermittler a.D. liegt, der mit seiner Schnüffelnase überall zu sein scheint. Sympathiepunkte werden nur spärlich verteilt, sodass man jeden in den Kreis der Verdächtigen verfrachtet. Wo es auf Seiten der Polizei noch nachvollziehbar ist, warum die Personen im Geschehen auftauchen, hat man mit dem Rest der Crew wesentlich größere Probleme, sie adäquat zuzuordnen. Wenn man ehrlich ist, tappt man genau wie die Polizei eigentlich vollkommen im Dunkeln. So kristallisiert sich dem Anschein nach eine völlig überflüssige Nebenhandlung heraus, von der man meinen möchte, dass man sie sich auch getrost hätte sparen können. Ein von Komplexen gequälter, italienischer Kellner namens Antonio, der Glenda, eine Art pathologische Nutte heiratet, deren Probleme, ihre Kämpfe und die Schicksalsschläge... Es gibt mehrere Charaktere die nicht ins Geschehen hinein passen wollen. Auch Glendas ungemütlich wirkender Liebhaber, oder der Professor, einer ihrer väterlich wirkenden Freunde, stiften nichts als Ratlosigkeit. Aber es ist Vorsicht geboten und darüber hinaus eine immens hohe Konzentration erforderlich.

Besonders hervorzuheben ist tatsächlich Dalila Di Lazzaro, die mit ihrer Rolle der Glenda besondere Verwirrung stiftet, aber die hervorragend spielt und noch verführerischer aussieht. Der Verlauf ist geprägt von einer eigenartigen Leere, die zumindest so interpretiert werden kann. Außerdem kommt es zu einer sich immer deutlicher durch den Film windenden Form der empfundenen Langeweile, sodass Mogherinis Beitrag eventuell voreilig abgeschrieben wird. Solch ein Verlauf wirkt in der Regel verärgernd, und es entsteht der Impuls, die Regie als überfordert abzustempeln. Selbst, dass sich noch ein möglicher Twist verbergen könnte, was schwer in Betracht zu ziehen. Doch dann wird plötzlich das Finale mit beinahe widerwärtigen Szenen angebahnt, und langsam aber sicher gehen einem die Augen auf. "Blutiger Zahltag" wagt einen überaus beeindruckenden, nein, perfiden Blick zurück nach vorn und definiert das Zusammenfügen eines Mosaiks auf atemberaubende Art und Weise neu, man möchte beinahe sagen, dass sich die Regie eines äußerst seltenen Stilmittels bedient hat, welches vielleicht intelligente oder trügerische "Langeweile" genannt werden kann. Das Finale offeriert schließlich eine Art sentimentale aber überaus angebrachte Tragik, weil die Sprache der Blumen hart trifft und das Erfassen von Zusammenhängen selten derartig clever frei gegeben wurde. Unterm Strich bleibt somit nicht nur ein Film, der handwerklich gesehen hohe Qualitätsansprüche geltend gemacht hat, sondern glücklicherweise das Potential preisgegeben hat, den richtigen Nerv beim Zuschauer zu finden, da nach komplett anderen Berührungspunkten gesucht wird. Ob er das generell schafft, ist eine individuelle Frage. Diese Attacke an die Wahrnehmung konnte rückwirkend jedenfalls sehr faszinieren und es kam sogar beinahe Erleichterung auf, aufmerksam geblieben zu sein, obwohl genügend Impulse da waren, den Film vorzeitig abzuschreiben. So bleibt ein wirkungsvoller und unorthodoxer Volltreffer!

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