BLUTIGER SCHATTEN - Antonio Bido

Schwarze Handschuhe, undurchsichtige Typen, verführerische Damen und stylische Kills.
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Percy Lister
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BLUTIGER SCHATTEN - Antonio Bido

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"Blutiger Schatten" (Original: "Solamente nero") Italien 1978
mit: Lino Capolicchio, Stefania Casini, Craig Hill, Massimo Serato, Juliette Mayniel, Laura Nucci, Attilio Duse, Gianfranco Bullo, Alina Simoni, Alfredo Zammi, Sergio Mioni, Sonia Viviani, Luigi Casellato u.a. | Drehbuch: Antonio Bido, Marisa Andalò und Domenico Malan | Regie: Antonio Bido

Stefano D'Arcangeli besucht seinen Bruder Don Paolo, der auf einer Insel in der Venezianischen Lagune eine kleine Pfarrei leitet. In der Eisenbahn lernt er Sandra Sellani kennen, die regelmäßig bei ihrer Stiefmutter vorbeischaut, die seit Jahren krank ist. Bereits wenige Stunden nach Stefanos Ankunft geschieht unter dem Fenster von Don Paolos Zimmer ein Mord: eine Frau wird von einem maskierten Angreifer erwürgt. Am nächsten Tag findet der Pfarrer einen anonymen Drohbrief vor seiner Tür, in dem er zum Schweigen aufgerufen wird, andernfalls würde sein Geheimnis publik gemacht. Es dauert nicht lange und der zweite Mord aus dem Umfeld des erwürgten Mediums geschieht....

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Der Schauplatz charakterisiert die Handlung in ihren Grundfesten: Fäulnis und Moder greifen nach den Fassaden, die bisher tapfer standgehalten haben, nach und nach jedoch immer mehr entblößt und beschädigt dastehen. Der Niedergang manifestiert sich in den zurückhaltenden Gesten der Figuren, spiegelt sich in versteinerten Mienen wider und sucht seine Entsprechung in der Besinnung auf das Spirituelle; sei es nun die offizielle Kirche oder der Hokuspokus einer "Berufenen". Wie gering das Zutrauen zu den Behörden ist - gerade im ländlichen Bereich - wird dadurch deutlich, dass ein Verbrechen wie Pädophilie nicht der Polizei, sondern dem Pfarrer gemeldet wird. Der dekadente Vertreter des Adels, der sich kleine Jungen ins Haus holt; die Ortshebamme, die als "Engelmacherin" tätig ist; das Medium, das Geld aus seinem Wissen erpresst und der schizophrene Sohn, der auf dem Dachboden verborgen wird, sind nur einige Episoden in einer Welt der Abschottung und der dunklen Familiengeheimnisse, die bis in den Privatkreis des Pfarrers hineinreichen. Die Kamera weidet sich förmlich an den ansprechenden Lokalitäten; an den dunklen, engen Gassen, den Nebeln, die aus dem Kanal steigen und der Romantik eines flackernden Grablichts auf dem nächtlichen Friedhof. Erneut stellt sich die Frage, ob das Ambiente unbewusst Einfluss auf die seelischen Befindlichkeiten ausübt und dementsprechende Repräsentanten hervorbringt oder nur als Verstärker von bereits vorhandenen Charaktermustern wirkt. Die Personen werden lange Zeit wie Schachfiguren durch das Labyrinth der subtilen Bedrohung geschoben, bis sich die Schwere der Interieurs auf ihre gequälten Seelen legt und sie ihrer finalen Bestimmung zugeführt werden. Lino Capolicchio, der sich bereits in "Das Haus der lachenden Fenster" (1976) mit den Absonderlichkeiten einer abgeschiedenen Welt befassen musste, findet bei seinem Bruder, den Craig Hill mit empathischer Würde spielt, nicht die erhoffte Ruhe, sondern gerät ins Zentrum brutaler Morde. Der Täter geht systematisch vor und schont weder Mann, noch Frau. Sein Interesse erschöpft sich im Beseitigen unliebsamer Mitwisser oder Zeugen und in der Vernichtung von Beweismaterial. Allein dadurch kristallisiert sich bald heraus, dass es der Zuschauer hier mit einem weitaus komplexeren Fall zu tun hat, der wiederum in der Vergangenheit fußt, wie durch die Erinnerung Stefanos, die immer wieder unvermittelt seine Gedankengänge unterbricht, veranschaulicht wird. Nicht ohne Grund verdrängt der Zuschauer die Tote im Vorspann nach dem Einstieg in die Handlung wieder.
Laguna - Venedigs Inselwelten, Haymon Verlag, Innsbruck 2002 hat geschrieben:"Die Venezianer wissen zwar wenig von den Leuten, die auf den Inseln wohnen, aber sie wissen, was sie von ihnen zu halten haben, von den Dieben und Halsabschneidern auf der Giudecca, den Einfaltspinseln auf Pellestrina, den schlichten Gemütern am Lido, den Industrieknechten von Murano und den kulturlosen Streithähnen von Burano."
Antonio Bido zeichnet sowohl für die Idee und das Drehbuch, als auch für die Regie verantwortlich, was man dem Film durchaus anmerkt. Die Geschichte wirkt wie aus einem Guss und präsentiert nicht nur eine grausame Wahrheit aus der Vergangenheit, sondern beginnt ihr teuflisches Mörderhandwerk, ohne sich lange mit Belanglosigkeiten aufzuhalten. Der populäre dramaturgische Griff, die Hauptfigur von Kindheitserlebnissen heimsuchen zu lassen, zeugt vom Tiefgang der Produktion, die mit dem Geistlichen eine Person in den Mittelpunkt stellt, der sich tagtäglich mit Schuld und Verantwortung, sowie mit Sühne und Vergebung auseinandersetzen muss. Er ist die moralische Instanz des Ortes und wird mehr noch als die Polizei um Hilfe und Rat gebeten. Die Tatsache, dass er selbst bedroht wird und sogar Anschläge auf sein Leben verübt werden, sorgt für eine Beklemmung, die geradezu als Gotteslästerung empfunden wird. Die Entschlossenheit des Täters, jeden zu vernichten, der seinem Plan im Wege steht, verleiht dem Giallo Authentizität und webt ein Spinnennetz aus Gefahren, in dem sich die Opfer wie wehrlose Insekten verfangen. Dabei geht der Mörder nicht zimperlich vor; von der Hellebarde bis zum Kaminfeuer lässt sich alles zweckentfremden, was gerade verfügbar ist. Die knisternde Spannung variiert dabei und gipfelt nicht bei jeder Aktion in einem Erfolg, was der Handlung, die sich ausführlich Zeit für Nuancen und Zwischentöne nimmt, sehr zugute kommt. Ebenso werden Schauplätze in Szene gesetzt, die vor allem bei Dämmerung und in der Nacht unheimliche Schatten werfen und in der Phantasie des Publikums mit Gefahr in Verbindung gebracht werden. Der pointierte Einsatz des Tons und der Musik steigert die vorhandenen Stilelemente um ein Vielfaches und unterstreicht die Absicht des Drehbuchs. Die Auflösung überrascht und bedient sich einer eleganten Rückschau, die den Bogen bis zum Mord in der Vergangenheit spannt und in ihren Einzelheiten kaum deduzierbar ist. Die Ungewissheit über die Herkunft der seltsamen Erinnerungen löst sich bei Stefano auf, schafft allerdings neue Probleme und entlarvt das Leben als emotional fragiles und enttäuschendes Perpetuum mobile, was dem Giallo an sich selten ein Happyend beschert. Der dramaturgisch fesselnde und inszenatorisch überzeugende Giallo wartet mit dem natürlich und verletzlich aufspielenden Paar Capolicchio und Casini, sowie einem charismatischen Craig Hill auf, der den Geistlichen, der aufgrund seiner Berufung stets ein wenig abseits der Gemeinschaft steht, nachhaltig darstellt. Die morbide Poesie der Schauplätze fungiert als stimmiges Schwergewicht und passender Rahmen für das hochwertige Drama.

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Richie Pistilli
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Re: BLUTIGER SCHATTEN - Antonio Bido

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Blutige Schatten (D)
Solamente nero (IT)
Terreur sur la lagune (F)
The Bloodstained Shadow (Int.)
Only Blackness (Int.)

It 1978

R: Antonio Bido
D: Lino Capolicchio, Stefania Casini, Craig Hill, Massimo Serato, Juliette Mayniel, Laura Nucci u.a.



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Synchronkartei

Schnittbericht

Score: Stelvio Cipriani (with a little help of Goblin)

Italo-Cinema.de

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"Wenn Du über Mord sprichst, wird man bald über Deinen reden..."

Ein vordergründig eher ruhig und dialoglastiger Giallo, der aufgrund seiner beeindruckenden Atmospähre den Betrachter nicht nur recht schnell in seinen Bann zieht, sondern auch noch ordentlich Suspense erzeugt. Stellenweise erinnerte mich Antonio Bidos Film ein wenig an Pupi Avatis Werk DAS HAUS DER LACHENDEN FENSTER, der mir aufgrund der ähnelnden Filmatmosphäre immer mal wieder unweigerlich in den Sinn kam. Dabei spielt Bidos Film atmosphärischen Venedig, wobei es ihm mit Bravour gelang, die einmalige Atmosphäre der weltbekannten Lagunenstadt auf sehr beeindruckende Art und Weise mit der Kamera einzufangen. Hinzu gesellen sich immer wieder erstklassig inszenierte Suspenseszenen, die mit einer grandiosen Filmmusik von Stelvio Cipriani untermalt sind. Ciprianis Filmmusik schien unter der Mithilfe der Goblin-Mitgliedern entstanden zu sein, wobei ich mir gut vorstellen könnte, dass Simonetti & Co. lediglich die wunschgemäßen Soundeinstellungen am elektronischen Musikgerätepark vornahmen, die Cipriani anschließend für seine Komposition nutzte.


Die Auswahl der beteilgten Schauspieler kann ebenfalls als gelungen bezeichnet werden, denn neben einer eher genreuntypischen Darbietung des Italo-Western Veterans Craig Hill gibt es auch ein Wiedersehen mit der aus SUSPIRIA bekannten Stafania Casini und dem aus ESCALATION sowie DAS HAUS DER LACHENDEN FENSTER bekannten Lino Capolicchio zu feiern. Hinzu gesellen sich ein paar weitere, immer wieder gern gesehene Schauspielveteranen wie beispielsweise Massimo Serrato oder Laura Nucci.


Fazit: Ein intensives Filmerlebnis aus der atmosphärischen Lagunenstadt Venetiens, dessen audio-visuelle Komponente besonders zu fesseln weiß.



"Priester, denke daran: Schweigen ist Dein Leben!"



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Trailer:






Score:


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