BETRACHTEN WIR DIE ANGELEGENHEIT ALS ABGESCHLOSSEN - Vittorio Salerno

Harte Kerle, grobe Keilereien, heiße Feger und unbarmherzige Gangster.
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Richie Pistilli
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BETRACHTEN WIR DIE ANGELEGENHEIT ALS ABGESCHLOSSEN - Vittorio Salerno

Beitrag von Richie Pistilli »

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Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen (D)
Zeuge unter Mordverdacht (D)
No, il caso è felicemente risolto (IT)
Justicia para todos (ES)
No, the Case Is Happily Resolved



IT 1973

R: Vittorio Salerno
D: Enzo Cerusico, Enrico Maria Salerno, Riccardo Cucciolla, Martine Brochard, Umberto Raho, Claudio Nicastro, Antonella Dogan, Enzo Garinei, Loredana Martínez, Luigi Casellato u.a.




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Italienische Erstaufführung: 14.08.1973

Deutsche Erstaufführung: 09.01.1976 (DDR)

Synchronkartei

Zensurfreigabe (IT)

Score: Riz Ortolai & I Nomadi

Italo-Cinema.de

OFDb




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"Am Ufer des Sees im Schilf, da war ich Zeuge eines grausamen Mordes. Es war gegen vier Uhr Nachmittags, als ich gerade... ich befand mich auf meinem Boot. Ich hielt Siesta und plötzlich... auf einmal hörte ich eine Frau um Hilfe rufen. Als ich daraufhin aufstand, sah ich am Ufer ungefähr 100 Meter vor mir etwas Furchtbares. Einen Mann, der mit einem Knüppel oder einer Eisenstange auf eine Frau einschlug. Ein regelrechtes Massaker von abstoßender Bestialität. Verzeihen Sie meine Erregung, aber es war so entsetzlich..."


Ein zur Entspannung dienendes Angelabenteuer an einem idyllisch gelegenen See wird dem römischen Fahrkartenverkäufer Fabio Santamaria (Enzo Cerusico) eines schönen Samstag Nachmittags zum Verhängnis, als plötzlich die Fußballberichterstattung im Radio, die er genüsslich mit einem Ohr verfolgte, durch markerschütternde Hilfeschreie einer unbekannten Frau jäh unterbrochen wird. Aufgeschreckt von dem herzzerreißenden Geschrei bahnt sich der verunsicherte Hobbyangler seinen Weg durch die am Ufer des Sees gelegene Schilflandschaft, wo er sodann Zeuge eines grausamen Mordes wird, bei dem ein grauhaariger Mann eine hilflos am Boden liegende Frau mit einem Knüppel auf grausamste Weise zu Tode malträtiert. Nachdem Fabio die erste Schockstarre kurz darauf überwinden konnte, steht er urplötzlich dem völlig entgeistert dreinschauenden Mörder von Angesicht zu Angesicht gegenüber, was bei ihm wiederum schlagartig einen zum Selbstschutz dienenden Fluchtreflex auslöst. Was folgt, ist eine halsbrecherische Autofahrt, wobei sich der unbekannte Mörder mit seinem Wagen an die Fersen des aufgeschreckten Zeugen geheftet hat. Als Fabio kurz darauf am Rand des Stadtzentrum angelangt ist, versucht er sofort dem ersten Verkehrspolizisten am Straßenrand seine unglaubliche Beobachtung zu schildern, doch da Fabio infolge seines spontanen Abbremsmanöver den folgenden Verkehr auf einer dicht befahrenen Strasse blockiert, zwingt ihn der Polizist zur Weiterfahrt, bevor er sich diesem mitteilen kann. Frustriert und völlig überfordert mit dieser nicht gerade alltäglichen Situation trifft der verzweifelte Familienvater daraufhin für sich die Entscheidung, der Polizei die grausame Tat von Zuhause aus telefonisch mitzuteilen. Doch als ihm plötzlich die bedrohlich wirkende Stimme des Gesetztes durch den Telefonhörer entgegenschallt, überkommt Fabio die nackte Panik, infolgedessen er das Gespräch abbricht, bevor er sich seelenruhig in den Schlaf bettet.


Eine sehr fatale Entscheidung, wie sich am nächsten Morgen herausstellt, denn während der unschuldige Fabio tatenlos den Schlaf der Gerechten schlief, stattete der aufgescheuchte Mörder der Polizei einen Besuch ab, bei dem er sich nicht nur als Zeuge der grausamen Mordtat ausgab, sondern den ahnungslosen Fabio auch noch als Täter hinstellte. Der Tatsachenverdreher hört übrigens auf den Namen Eduardo Ranieri (Riccardo Cucciolla) und ist seines Zeichens ein angesehener Oberschullehrer aus der besseren Gesellschaftsschicht.


Als der zwischenzeitlich ausgeschlafene Fabio Santamaria am nächsten Morgen arglos die Tageszeitung aufschlägt, trifft diesen fast der Schlag, denn das auf der Titelseite abgedruckte Phantombild des vermeintlichen Mörders entspricht nicht nur seinem Ebenbild, sondern die restliche Täterbeschreibung auch exakt seiner Person. Infolge einer immer größer werdenden Paranoia, die zudem Fabio rationales Denken und Handeln außer Kraft setzt, reitet sich der kopflose Familienvater immer tiefer in die Misere, bis es für ihn endgültig keinen Ausweg mehr aus dieser zu geben scheint. Doch dann tritt auf einmal der ausgebuffte Reporter Don Peppino (Enrico Maria Salerno) auf den Plan, der nach intensiver Recherche einen Justizskandal wittert. Wird es Signore Peppi gelingen, den wahren Täter zu überführen oder muss der unschuldige Fabio letztendlich die Strafe für einen eiskalten Lügner antreten, der weiterhin in der Gesellschaft ein sehr hohes Ansehen genießt?


"Unglaublich. Die Welt steht Kopf. Fehlt nicht viel und ich bin plötzlich der Mörder. Natürlich, dann würde es einen armen, wehrlosen Burschen treffen, mich. Wo ich doch gar nichts getan habe. Soweit kommt's noch. Nein, nein, ich gehe zur Polizei. Das Ding läuft nicht..."



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"Der Vater war Alkoholiker, die Tante hat sich mit den Deutschen eingelassen, also nach der Zeitung wäre er geliefert."


Nachdem der erfolgreiche Drehbuchautor Vittorio Salerno bereits 1964 gemeinsam mit seinem Kollegen Ernsto Gastaldi den außerordentlichen Film LIBIDO inszenierte, folgte mit BETRACHTEN WIR DIE ANGELEGENHEIT ALS ABGESCHLOSSEN sein Debüt als Solo-Regisseur, womit ihm sogleich auch ein ganz großer Wurf gelang. Der Film beleuchtet die Abgründe der bürgerlichen Fassaden, und zwar sowohl die der hart arbeitenden Mittelschicht als auch die der gehobenen Gesellschaft, indem ein eiskalter Mörder aus der Oberschicht nicht nur seine grausame Tat einem unschuldigen Familienvater in die Schuhe schiebt, sondern die Justiz auch noch darauf anspringt. Oberflächlich betrachtet lässt sich BETRACHTEN WIR DIE ANGELEGENHEIT ALS ABGESCHLOSSEN als Kritik an einer gnadenlosen Justiz verstehen, die einem unschuldig in die Mühle des Gesetzes geraten Opfer keine Chance gibt. Leider war den damaligen Produzenten das ursprünglich vom Regisseur intendierte Ende zu düster, so dass sie gegen dessen Willen ein versönlicheres Finale nachdrehten, dass auch auf allen bis dahin veröffentlichten Fassungen und TV-Ausstrahlungen seine Verwendung fand. Erst mit Veröffentlichung der exzellenten BD von CAMERA OBSCURA im Jahr 2016 erblickte das ursprüngliche Filmende seit der damaligen Filmpremiere erstmals wieder das Licht der Welt, wobei dieses aber auch schon damals bei nur sehr wenigen Vorführungen gezeigt werden konnte. Zwar hielt sich jahrelang hartnäckig das Gerücht, dass das ursprüngliche Finale mit einer Einstellung endet, in der Professor Ranieri selbst aufgeknöpft an einem Deckenleuchter baumelt, das jedoch im Jahr 2008 von Vittorio Salerno höchstpersönlich widerlegt wurde.


Neben einer gekonnten Kameraarbeit, die den Film durchweg in ansehnlichen Bildern präsentiert, sind es die überzeugenden Darbietungen der beteiligten Schauspieler, die aus diesem Film etwas ganz besonderes machen. An vorderster Front bringt sich der italienische Schauspieler Enzo Cerusico um Kopf und Verstand, da ihm als Zeuge urplötzlich von dem tatsächlichen Mörder die beigewohnte Tat angelastet wird, und er ab diesem Moment absolut nicht mehr weiß, wie ihm geschieht. Hinzu gesellt sich nicht nur ein ordentlich Maß an Paranoia, das unseren Protagonisten im weiteren Filmverlauf immer stärker belastet, sondern auch eine persönliche Haltung, durch die er sich selbst immer tiefer in Schlamassel reitet, denn Fabio ist nicht nur naiv und arglos, sondern auch unbesonnen und verantwortlungslos, was die sowieso schon schwer verzwickte Lage noch erheblicher werden lässt. Im Gegensatz zu seinem Schauspielkollegen Giuliano Gemma, der in Damiano Damianis Film EIN MANN AUF DEN KNIEN ebenfalls einen unbescholtenen Familienvater verkörpert, dem als Unschuldiger der unausweichliche Tod für eine tat angedroht wird, die er letztendlich nicht begangen hat, entpuppt sich der von Enzo Cerusico gespielte Charakter als sehr ungewöhnlich. Während Gemma in der Rolle des geläuterten Kleinkriminellen Nino Peralta einen klaren Kopf zu behalten versucht und auch seine Ehefrau in das Schlamassel miteinbezieht, entpuppt sich Fabio Santamaria als ein unbesonnenes Nervenbündel, das aufgrund seiner Naivität das Problem alleine lösen möchte. Dass er dadurch sowohl seine Ehefrau Cinzia, die übrigens von der französischen Schauspielerin Martine Brochard verkörpert wird, als auch seine Tochter (Sandra Locci) immens belastet, scheint er aufgrund seiner naiven Leichtfertigkeit nicht zu spüren. Dabei wirkt seine Unbeholfenheit rührselig, wohingegen seine Verantwortungslosigkeit einen eher wütend macht. Insgesamt wirkt das Handeln des bemitleidenswerten Kindskopfs recht kafkaesk, was dem Film dann auch seine ganz besondere Note verleiht. Hinzu kommen seine ständigen Monologe, die stellenweise auch für etwas Auflockerung sorgen.


Sein Gegenspieler, ein angesehener Lehrer aus der oberen Gesellschaftsschicht, wird dabei von Riccardo Cucciolla gespielt, der zweifelsfrei zu den ausdrucksstarksten Schauspielern der italienischen Filmlandschaft zählte. Die Rolle des frauenmordenden Professors Eduardo Ranieri verkörpert Cucciolla nicht nur mit allerhöchster Bravour, sondern hinterlässt auch einen ebenso denkwürdigen Eindruck, den er bei mir bereits mit seiner Darbietung in SACCO UND VANZETTI hinterließ. Als ganz großes Kino entpuppt sich obendrein die Eröffnungsszene, in der Riccardo Cucciolla die hilflose Dame in der flussnahen Schilflandschaft zu Tode malträtiert, wobei diese mit einer unheimlich hohen Kameradynamik abgedreht wurde, was das Ganze wiederum äußerst drastisch wirken lässt. Der Rest des Films bewegt sich dann eher in ruhigen Fahrwassern, wobei das Ganze nicht minder mitreißend wirkt. Kommen wir zu Enrico Maria Salerno, der seines Zeichens nicht nur der Bruder von Vittorio ist, sondern im vorliegende Film auch den mit allen Wasser gewaschenen Journalisten Giuseppe Ferdinando Giannoli alias 'Don Peppino' verkörpert, der sich als alter Fuchs des Gewerbes nicht so schnell ein X für ein U vormachen lässt. Dabei gelingt es ihm problemlos eine sowohl außerordentliche als auch überzeugende Darbietung abzugeben, die bei mir zumindest so schnell nicht wieder in Vergessenheit geraten wird.


Für die deutsche Synchro, die im Großen und Ganzen recht ordentlich geworden ist, zeichnete sich seinerzeit das DEFA Studio für Synchronisation in Leipzig aus, wobei der Film sowohl in Ost als auch in West vornehmlich in einer geschnittenen Fassung im Fernsehn zu sehen war, die zudem auch noch das nachgedrehte Ende enthielt. Was bleibt, ist noch die Filmmusik, die im vorliegenden Fall von Riz Ortolani und der italienischen Pop-Gruppe I Nomadi stammt.


Fazit: Eine kuriose Kriminalgeschichte mit paranoiden Zügen, die obendrein glänzend in Szene gesetzt wurde.


Aufgrund eines fehlenden BD-Laufwerks am PC war es mir leider nur möglich, die altgedienten Screenshots der TV-Ausstrahlung erneut zu verwenden.




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Die BD von CAMERA OBSCURA präsentiert die ursprüngliche Fassung des Films nicht nur in einer astreinen Bildqualität, sondern beinhaltet neben einem informativen Booklet von Christian Keßler einen nicht minder informativen Audiokommentar der Herren Stigglegger und Naumann sowie ein 40 minütiges Featurette mit Vittorio Salerno und Martine Brochard.



BD-Screenshots von CO:

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Trailer:





Score:
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(Überarbeiteter Beitrag aus dem alten Forum: 07.02.2015)
Zuletzt geändert von Richie Pistilli am Mo., 05.04.2021 11:14, insgesamt 3-mal geändert.

hockeymask86
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Registriert: Do., 17.12.2020 17:13

Re: BETRACHTEN WIR DIE DIE ANGELEGENHEIT ALS ABGESCHLOSSEN - Vittorio Salerno

Beitrag von hockeymask86 »

Da ich kein Mann der vielen Worte bin kurz und knapp: Hammer Film mit einem niederschmetternden Ende.
Das damals dran getackerte positive Ende ist allerdings selten dämlich.
Gott ist das dumm.

Fein geschriebene Review übrigens.

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