LINDENSTRAẞE

Der Tummelplatz für alle Serienjunkies und Binge-Watcher!
Von DALLAS bis DENVER, vom TATORT in die LINDENSTRASSE über BREAKING BAD bis hin zu GAME OF THRONES.
Antworten
Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 3764
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

LINDENSTRAẞE

Beitrag von Prisma »




Bild


● LINDENSTRAẞE (D|1985-2019)
mit Marie-Luise Marjan, Andrea Spatzek, Moritz A. Sachs, Joachim Hermann Luger, Annemarie Wendl, Sybille Waury,
Irene Fischer, Ludwig Haas, Knut Hinz, Jo Bolling, Rebecca Siemoneit-Barum, Hermes Hodolides, Jacqueline Svilarov,
Sontje Peplow, Cosima Viola, Georg Uecker, Bill Mockridge, Amorn Surangkanjanajai, Ute Mora, Marianne Rogée, u.a.
Regie | Herwig Fischer | Dominikus Probst |George Moorse | Kerstin Krause | Claus Peter Witt | Wolfgang Frank | u.a.
eine Produktion der GFF | im Auftrag des WDR






Eine Ära deutscher TV-Geschichte geht nach beinahe 35 Jahren zu Ende, denn gestern, am 29. März 2020, ist die 1758 und gleichzeitig letzte Folge der Erfolgsserie "Lindenstraße" ausgestrahlt worden, wobei die letzte Klappe bereits im Dezember 2019 gefallen war. Die erste Episode der bekannten Weekly Soap wurde am 8. Dezember 1985 gesendet und lief seitdem wöchentlich im Abendprogramm der ARD. Von der Kritik verrissen, wurde dem Format keine lange Lebensdauer prophezeit, doch zu Spitzenzeiten schalteten bis zu 15 Millionen Zuschauer ein. Hans W. Geißendörfers "Lindenstraße" dürfte für die meisten ein Begriff sein, nicht zuletzt weil sie kontinuierlich über einen so langen Zeitraum lief, aber auch weil sie immer wieder für größere und kleinere Schlagzeilen sorgen konnte. Zunächst ist das langjährige Bestehen der Serie als beispiellos zu nennen, aber auch die Strategie des Formats war alles andere als alltäglich, da politische, gesellschaftskritische und zeitgenössische Belange und Geschehnisse immer wieder eine Rolle spielten, was die Serien-Konkurrenz deutlich in die Schranken verweisen konnte. Das Ende der "Lindenstraße" ging trotz ausgezeichneter Quote ohne den großen Knall und ohne laute Aufschreie vonstatten, denn man verabschiedete sich mit Würde und Stil, jedoch nicht ohne auf die Wurzeln zahlreicher Folgen zu verweisen. Als es amtlich war, dass Deutschlands wohl bekannteste TV-Straße aus dem laufenden Programm der ARD gestrichen werden würde, flammte lediglich die übliche kleine Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern und deren Programmpolitik auf, was jedoch schnell wieder im Sande verlief. Schaut man auf die Anfänge und den frühen Verlauf, so finden sich etliche Inhalte, die ihrer Zeit ein wenig bis deutlich voraus waren, sogar heute noch diskussionswürdig sind.

Auch ich habe die "Lindenstraße" schon als Kind verfolgt und es gab immer Zeiten in denen die Serie zum festen Wochenprogramm gehörte, nur sporadisch geschaut wurde, oder eben gar nicht. Zum Ende hin war Letzteres der Fall, da auch hier eine zu offensichtliche Abstimmung auf die Konkurrenz stattgefunden hatte. Es stand dabei allerdings immer außer Frage, dass die Serie irgendwie hoch geschätzt war, wenn auch möglicherweise vor allem im Vergleich, da hier dem Empfinden nach immer ein bisschen mehr Aufwand betrieben wurde, man immer ein Stück mehr anecken wollte und man sich für einen Hauch von Alltagstransfer entschieden hatte, was sich generell eher auf thematische Belange bezieht. Auch wenn es für mich keine vergleichbare Soap gibt, die sich in dieser Form tatsächlichen Problemen angenommen hat, kam auch Geißendörfers Langzeitprojekt nicht ohne gängige Klischees und teils biederes Kleinbürgertum aus. Jetzt ist der Vorhang endgültig gefallen und es fühlt sich so an, als ob man schon bald irgend etwas vermissen würde, was vermutlich daran liegt, dass die Serie so lange existiert hat, wie ich denken kann. Fakt ist, dass in der deutschen TV-Landschaft etwas Wichtiges fehlen wird. Nicht, weil die "Lindenstraße" überqualifiziert oder bedeutender gewesen ist, sondern weil sich nach und nach Eintönigkeit im Fernsehen etablierte, ohne Alternativen im Feuer zu haben. Die gestrige finale Folge hat dann doch ein bisschen nachdenklich stimmen können, aber die Welt wird sich auch ohne Mutter Beimer & Co. weiter drehen. Momentan schaue ich mir die alten Folgen mit großem Vergnügen an, und es ist erstaunlich, dass vor 30 Jahren schon vom Klimawandel und erneuerbaren Energien die Rede war, Rassismus oder degenerative Erkrankungen in aller Deutlichkeit thematisiert wurden, und, und, und. Unterm Strich bleibt also die Gewissheit, dass das einzig gültige Gesetz von Serien schlicht und einfach irgendwann »Ende« heißen muss.

Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 3764
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

Re: LINDENSTRAẞE

Beitrag von Prisma »



Lindenstraße1.1.jpg
Lindenstraße1.2.jpg
Lindenstraße1.3.jpg

● FOLGE 01 | HERZLICH WILLKOMMEN (D|1985)
mit Marie Luise Marjan, Joachim Luger, Annemarie Wendl, Wolfgang Grönebaum, Ludwig Haas, Silke Wülfing, Christian Kahrmann,
Ina Bleiweiß, Moritz A. Sachs, Claudia Pielmann, Franz Braunshausen, Johanna Bassermann, Herbert Steinmetz, Dietrich Siegl, u.a.
hergestellt von GFF und WDR | eine Fernsehserie der ARD | in Zusammenarbeit mit dem ORF
Regie: Hans W. Geißendörfer



Elfie Hoffmann und ihr Lebensgefährte Sigi Kronmayr ziehen in die Lindenstraße 3 ein und machen sofort Bekanntschaft mit der Frau des Hausmeisters, Else Kling, die sich vor beiden aufspielt und beide sofort mit Regeln und Geboten überhäuft. So schnell wird die neue Adresse allerdings noch nicht hinterfragt, denn immerhin lernen die Neulinge auch ganz normale und freundliche Leute wie etwa die Beimers kennen, die aktuell ein paar Probleme mit ihren drei Kindern haben. Klaus liegt krank im Bett, Benny rebelliert gegen seine Eltern und die 16jährige Marion hat eine heimliche Affäre, die sie wie ausgewechselt wirken lässt...

Die erste Folge der Erfolgsserie "Lindenstraße" beginnt unscheinbar wie ihr Titel. Ein Blick über München zieht die kultverdächtige Musik nach sich, die verheißungsvoll beginnt, um sich anschließend seelenschmeichlerisch selbst zu entschärfen. Die Vorstellung der Hauptpersonen beinhaltet auch eine Inspektion des Ambientes, und das neugierige Publikum bemerkt, dass man es mit ganz normalen Leuten, Verhaltensweisen und Problemen zu tun bekommen wird. Viele der Personen wirken wie der Nachbar von nebenan oder jemand, den man persönlich kennt. Ein neues Paar zieht in das Mehrfamilienhaus ein, und für Else Kling, die Gattin des Hausmeisters, ist es schon ein Dorn im Auge, dass es sich um kein Ehepaar handelt. Der langjährige Zuschauer weiß, dass er sich noch auf viele besondere Stunden mit Annemarie Wendl gefasst machen darf, die hier zunächst einmal völlig indiskret in den Unterlagen der neuen Mieter herumschnüffelt. Schaut man sich diese Episode heute an, traut man seinen Ohren nicht, als Egon Kling seine Frau auf den Datenschutz hinweist, eines der großen Themen, tja, welcher Zeit eigentlich? Die Serie ist bis heute bekannt für ihre Aktualität bei prekären Themen, doch zunächst geht es mit Vorschriften weiter, wie etwa jener, dass Elfie ihre Monatsbinden nicht ins Klo werfen soll, denn sonst werde ihr der Klempner berechnet. Annemarie Wendl zeichnet den Hausdrachen ab der ersten Sekunde mit einer erschreckenden aber auch amüsanten Präzision und es ist kein Geheimnis, dass sie zu einem der stärksten Zugpferde der Serie avancieren sollte, ebenso wie es bei Mutter Beimer der Fall ist, die durch die Rolle der Helga zur "Mutter der Nation" und gleichzeitig zum Herzstück der "Lindenstraße" wurde. Über sie werden die alltäglichen Herausforderungen einer Hausfrau projiziert, die eben nicht nur Federn in die Luft bläst, sondern alle Hände voll zu tun hat und dabei ihren Optimismus nicht verlieren darf.

Ihr Sohn Klaus hat Masern und liegt krank im Bett, verspürt aber den Drang nach Action, vor Langeweile sogar nach Schule. Doktor Dressler von nebenan schaut nach dem Jungen, und nach und nach stellt sich das ganze Haus selbst vor, beziehungsweise viele der relevanten Personen haben ihre anfänglichen Auftritte. Der Verlauf spricht Probleme und große sowie kleine Sorgen des Alltags an, die nicht utopisch oder völlig trivial wirken, sondern an die Realität angepasst, sodass sich viel Identifikationspotenzial für den Zuschauer finden lässt, außerdem zahlreiche Äquivalente bereithält. Anfeindungen, Zuneigungen, Freundschaften und alle möglichen Geschehnisse, die unter einem Dach passieren können, deuten sich in unaufdringlicher Art und Weise an, sodass es für Serien-Affine eigentlich außer Frage steht, im Wochentakt wieder einzuschalten zu wollen. Aus heutiger Sicht ist der Blick zurück durch ein Kaleidoskop in die Mitte der 80er Jahre sehr interessant, und neben diesen visuellen Eindrücken wird es im weiteren Verlauf noch zu zahlreichen gesellschaftspolitischen und tagesaktuellen Themenkomplexen kommen, die vor laufender Kamera diskutiert werden und den Zuschauer unmittelbar ansprechen. Man sieht viel Kleinbürgerliches, Spießiges und Hinterhältiges, genauso wie Herzliches, Optimistisches und Witziges, sodass es in naher Zukunft auf den Mix ankommen wird, der hier für breiten Zuspruch sorgt. Bei der Auswahl der designierten "Lindenstraße"-Stars bewies die Produktion ein überglückliches Händchen, was global gesehen aber vor allem für Annemarie Wendl, Marie Luise Marjan, Joachim Luger, Wolfgang Grönebaum, Ludwig Haas oder beispielsweise Ute Mora gilt. So werden die Schicksale der Beteiligten nach und nach geschildert und ausbuchstabiert, ohne dabei ausgewalzt zu werden. Am Ende sieht man den ersten der legendären Cliffhanger, untermalt mit der charakteristischen Musik, der die Neugierde auf die nächste Folge ungemein steigern kann.

Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 3764
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

Re: LINDENSTRAẞE

Beitrag von Prisma »



Lindenstraße2.1 .jpg
Lindenstraße2.2 .jpg
Lindenstraße2.3 .jpg

● FOLGE 02 | HAUSARREST (D|1985)
mit Marie Luise Marjan, Joachim Luger, Christian Kahrmann, Moritz A. Sachs, Ina Bleiweiß, Johanna Bassermann, Herbert Steinmetz,
Annemarie Wendl, Claudia Pielmann, Franz Braunshausen, Monika Woytowicz, Raimund Gensel, Selma Baldursson, Sibylle Waury, u.a.
hergestellt von GFF und WDR | eine Fernsehserie der ARD | in Zusammenarbeit mit dem ORF
Regie: Hans W. Geißendörfer



Marion schweigt zum nächtlichen Vorfall der letzten Woche und zeigt sich sogar unbeeindruckt, als sie von der Polizei verhört wird. Da Helga Beimers verhängter Hausarrest nicht die gewünschte Wirkung bei ihrer Tochter erzielt, braut sich immer mehr ein Gewitter zusammen, das von Enttäuschung geprägt ist. Eine späte Kehrtwendung reinigt die Luft bis auf Weiteres. Else Kling schnüffelt derweil in fremden Wohnungen herum. Als sie von der Mieterin ertappt wird, zieht die Kling ihren Kopf mithilfe von Gerüchten um ein angebliches Verhältnis von Elfies Partner aus der Schlinge, sodass die Inspektion der Wohnung in den Hintergrund rückt. Auch bei Schildknechts hängt der Haussegen schief, da Franz es satt hat, dass seine Frau ein Wunderkind heranzüchten will...

Nachdem die blutige Cliffhanger-Premiere der vorigen Folge für Aufsehen sorgen konnte, hat sich eine Woche später wieder alles relativiert und Marion wurde mit einer Art Hausarrest belegt, der unter Mutter Beimer lediglich als soft zu bezeichnen ist. Allerdings steht noch ein Besuch der Polizei bevor. Hier lügt Marion wie gedruckt und bleibt unbeeindruckt davon, dass eine Straftat in der Luft liegt. Der Beamte spricht unentwegt davon, dass Türken oder Griechen verletzt worden seien, aber vielleicht ziert er sich nur zu sehr, das Wort Ausländer in den Mund zu nehmen. In der Zwischenzeit verteilt Else Kling wieder ihre Duftmarken, als ihre Nachbarin von vis-a-vis ein kleines Regal im Treppenhaus aufstellt, da ihr Mann mit sogenannter Heimaterde handelt. »So oan türkischn Markt könna mia nämlich hier nicht brauchen. Mir sin nämlich in Bayern und nicht im Orient, und hier herrscht eine Ordnung und außeadem is 's verboten!« Annemarie Wendl poltert impulsiv und ungefiltert auf ihre Nachbarin los, allerdings nur halb urbayrisch, da sie die Informationen am Ende eines Satzes auf Hochdeutsch betont, vermutlich um die Wichtigkeit ihres Anliegens zu unterstreichen. Auch in der zweiten Folge gibt es deutliche Verweise auf die designierten Hauptrollen der Serie, und Regisseur Geißendörfer baut die familiären Geschichten behutsam und am Vorbild der Realität auf. Es dauert nicht lange, bis es laut wird, wofür ausnahmsweise nicht Frau Kling zuständig ist, die mit ihrem Generalschlüssel in einer der oberen Wohnungen herumschnüffelt, aber leider ertappt wird. Es handelt sich um Frau Beimer, die ihre Tochter mit erhobener Stimme und senkrechtem Zeigefinger zusammenfaltet, diese aber komplett dicht macht. Sie ist außer sich, als sie betonen muss, dass ihr Mann vor Aufregung einen Waldspaziergang machen musste. Humorige Untertöne gibt es darüber hinaus in Hülle und Fülle, die den Alltag im Mehrfamilienhaus auflockern. Man spricht miteinander, vor allem wenn die Strippen zueinander finden, von Anonymität keine Spur.

Nach der Hälfte der Episode trudeln auch noch weitere Bewohner des Hauses ein und es wird deutlicher Bezug zur ersten Episode genommen. Tanja Schildknecht soll als Tennis-Star aufgebaut werden - immerhin hatte Boris Becker im Jahr 1986 die Wimbledon Championships erstmals gewonnen. Ein Wunderkind, dass sie jedoch einfach nicht hergeben kann. Sie und ihr Vater kommen vom Joggen, die kleine Schwester Maike geht zu ihrem Versteck, um Schokolade zu naschen, da es zu Hause nur noch Gesundes wie Weizenschrot gibt. Durch das Aufgreifen von Gesellschaftsbildern und beispielsweise sogar Klischees kommt es zu einem glaubhaften Transfer in die damalige Realität, bis man glaubt, die meisten Personen bereits kennengelernt zu haben. Was passiert noch? Else Kling philosophiert über die 20jährige Verantwortung, das Haus in Ordnung zu halten, obwohl sie nur Hausmeistergattin ist. Schließlich denkt man sich, dass es mit der Anstrengung schon stimmen muss, denn immerhin muss die neugierige Klatschtante überall und nirgends sein, damit ihr keine Information durch die Lappen geht, sie auf der anderen Seite aber auch nicht ertappt werden darf. Marion vertraut sich ihren Eltern in Halbherzigkeit an, da sie das schlechte Gewissen nicht erträgt, aber Namen wegen des Vorfalls von letzter Woche will sie nicht nennen. Vermutlich blieb eine Amnesie durch den Schlag auf den Kopf zurück. Der Episoden-Cliffhanger endet übrigens bei einer aufgebrachten Monika Woytowicz, deren exzellentes Schauspiel die Oberflächlichkeit ihrer Gymnasiallehrerin perfekt auf den Punkt bringt und wie eine Drohung im Ohr bleibt: Von dieser Dame wird man sich noch auf so einiges gefasst machen müssen. Nach Folge 2 ist völlig klar, dass man angefixt wurde und unausweichlich in der Serie angekommen ist. Daher ist es nahezu ausgeschlossen, die nächsten 1756 Folgen nicht sehen zu wollen, um es einmal überspitzt zu formulieren. Mit anderen Worten heißt das, dass es viele greifbare, spannende und denkwürdige Themen innerhalb der Endlos-Serie geben wird.

Antworten