ORSON WELLES ERZÄHLT

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Prisma
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ORSON WELLES ERZÄHLT

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ORSON WELLES ERZÄHLT





● ORSON WELLES' GREAT MYSTERIES / ORSON WELLES ERZÄHLT / DIE GROẞEN GEHEIMNISSE DES ORSON WELLES (GB|1973)
mit Orson Welles als Gastgeber
eine Serie von | Alan Gibson | Peter Sasdy | Peter Sykes | Mark Cullingham | u.a.
eine Anglia Television Produktion für ITV



Orson Welles präsentiert eine Reihe mysteriöser, skurriler, denkwürdiger und geheimnisvoller Geschichten, bei denen er jeweils die Erzählfunktion übernimmt. Nicht nur, dass der Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler seinen guten Namen für diese Anthologie hergibt, er bereichert die sehr unterschiedlich gefärbten, durchaus gut besetzten und mit etwa halbstündiger Laufzeit versehenen Geschichten mit seiner weltbekannten, vereinnahmenden Präsenz. Dabei versucht er geschickt Zweifel zu schüren, um den interessierten Zuschauer an der Nase herumzuführen, falls es die dramaturgische Stärke der Episoden zulässt. Aufgrund der sehr unterschiedlichen und darüber hinaus kurzweiligen Geschichten entsteht eine überaus angenehme Atmosphäre, deren Inhalte ganz im Stil der 70er Jahre überzeugen und mit einigen Twists für Überraschungen sorgen können. Gedreht wurden 26 Episoden, in denen Gastgeber Orson Welles jeweils zu Beginn und am Ende auftritt. In der deutschen Synchronisation wird der gebürtige US-Amerikaner von Routinier Martin Hirthe gesprochen. Hervorzuheben ist die bemerkenswerte Musik von John Barry, die ebenfalls zu einem der besonderen Aushängeschilder dieser TV-Produktionen geworden ist und definitiv im Ohr bleibt. Fans der gepflegten, außerdem starbesetzten Krimi-Unterhaltung können hier sicherlich auf ihre Kosten kommen.

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Prisma
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Re: ORSON WELLES ERZÄHLT

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● ORSON WELLES ERZÄHLT | FOLGE 05 | DINNER BEI McGILL (GB|1973)
mit Orson Welles als Erzähler
Joan Collins, Anton Rodgers, Maxine Audley, Ruth Dunning, Jean Harvey, Peter Cellier, Geoffrey Chater, Anthony Sharp
eine Anglia Television Produktion für ITV
Regie: John Robins



»Verheiratet sein... Es ist nicht einmal so furchtbar lange her, da waren nicht nur die Eheleute miteinander verheiratet, sondern zur Ehe gehörten die beiderseitigen Großfamilien, mit denen man quasi auch verheiratet war. Aber die Zeiten haben sich gewandelt. Heute sind die Eheleute mehr mit der Firma verheiratet, bei der sie angestellt sind, die ihnen Arbeit und Brot gibt. Ja, und damit sind auf die Ehefrauen neue Ängste zugekommen, denn sie wird gesellschaftlich eingestuft von der Firmenleitung, die sich die Frage stellt, ob sie ebenso wie ihr angestellter Gatte akzeptabel ist...«

Mit seinen einleitenden Worten kann Gastgeber Orson Welles gleich zu Beginn neugierig auf diese Geschichte machen, die entgegen der allgemeinen Erwartung, dass es sich im Rahmen des nebulös klingenden Serientitels um möglicherweise übernatürliche Inhalte handeln könnte, recht weltlicher, beziehungsweise kriminalistischer Natur sein wird. Seinen Monolog hält der beliebte Schauspieler und Regisseur in einer beeindruckenden Aufmachung und Manier. Eine versnobte Gesellschaft erwartet den Mann zu einem Dinner, den sie sich in einer bekannten Firma für eine Beförderung auserkoren haben. Er muss sich samt seiner Ehefrau in die Manege wagen und einem Kreuzverhör stellen, von dem die berufliche Zukunft abhängen wird. Die Jury besteht aus Hyänen der kultivierteren Sorte, unter denen es insbesondere die Damen sein werden, die über Sein oder Nichtsein entscheiden dürften. Die Szenerie ist geebnet mit zahlreichen Patzern und ein Fauxpas stellt sich nach dem nächsten ein. Eine peinlich berührende Atmosphäre überkommt den Raum und der Zuschauer schlägt sich schnell auf die Seite der armen Joan Collins, der dabei zuzusehen ist, wie sie in der Rolle einer maskierten Dame scheitert. Hin und wieder wirkt die Ehefrau der designierten Beförderung so ordinär, dass es den anwesenden Damen gehobeneren Alters die Verlegenheit in die Gesichter treibt, aber auch eine Angriffslust weckt, die mehrere diskrete Harpunenschüsse nach sich zieht. Fragen über die Herkunft werden mit schmerzlicher Offenheit quittiert und bieten die Veranlassung für sechsfaches Kopfschütteln. Nur die Angeklagte scheint keinen blassen Schimmer zu haben, dass sie ihrem Mann den anvisierten und wesentlich besseren Posten unumgänglich verbaut, wenn sie den Gastgebern und den befreundeten Gleichgesinnten des Abends fließbandartig vor den Kopf stößt und sie brüskiert.

Kleinere Verstöße gegen die Etikette bei Tisch und auch sonst, wie beispielsweise das Herumfischen im Drink nach der eigenen Kontaktlinse, der gesteigerte Alkoholkonsum im Allgemeinen, oder die schrecklich direkten Antworten unverblümter Natur, besiegeln den Eindruck des Zuschauers, dass dieser Farce doch schnell ein Ende gesetzt werden sollte. Es kam und kommt selten genug vor, dass man mit Episoden-Hauptrolle Joan Collins Mitleid empfinden konnte, weil sie dem Anschein nach so gnadenlos ins offene Messer läuft und dabei vorgeführt wird. Ihre Naivität kennt hier dem Empfinden nach keine Grenzen und wenn der Vorhang endlich gefallen ist, wird sie von den Mitgliedern der besseren britischen Gesellschaft in der Luft zerrissen. Dabei diskutiert man ganz offen, was jeder einzelne Zuschauer selbst bereits wissen will: die Beförderung ist beendet, bevor sie überhaupt angefangen hat. Interessant bei Collins' Darbietung ist die Tatsache, dass sie in einer Rolle zu sehen ist, die entsprechend ihres Images beinahe kurios aussehen will, aber dennoch die typischen Charakteristika wie Angriffslust oder Schlagfertigkeit offeriert. In der Runde entsteht eine herrliche und vor allem unberechenbare Eigendynamik, die geprägt sein wird von Wortwitz und derben Fettnäpfchen; die vollmundige Indiskretion wird dabei mit überspitzter Höflichkeit überspielt, und umgekehrt. Doch wo, fragt man sich, ist mit dieser Geschichte der Kern der Serie eigentlich getroffen worden? Ein überraschender, wenn auch nur kleiner Twist gegen Ende wird Aufschluss darüber geben, dass im Endeffekt nichts so zu sein scheint, wie im Vorfeld vermutet. Insgesamt gesehen handelt es sich bei "Dinner bei McGill" um eine sehr amüsante und gut choreografierte Folge dieser Serie, die durch Leistungen bekannter Stars zu einem mit Ironie und Situationskomik angereichertem Tanz auf dem Vulkan ausartet, der sich sehen lassen kann.

Percy Lister
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Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

Re: ORSON WELLES ERZÄHLT

Beitrag von Percy Lister »

"Dinner bei McGill" (Dinner Party) (Großbritannien 1973)
mit: Joan Collins, Anton Rodgers, Maxine Audley, Ruth Dunning, Jean Harvey, Peter Cellier, Geoffrey Chater, Anthony Sharp | Buch: James Michael Ullmann | Regie: John Robins

Der Firmenmogul J.J. McGill lädt seinen Angestellten Edmund Blake und dessen Frau Jane zu sich zum Abendessen ein, um den ehrgeizigen Mann einer Prüfung zu unterziehen: Seine Beförderung steht so gut wie fest, allerdings möchte sich McGill davon überzeugen, dass Blake auch auf dem gesellschaftlichen Parkett glänzen kann und eine Gattin an seiner Seite hat, die den Status ihres Mannes zur Zufriedenheit und im Sinne des Unternehmens betont. Wird Jane Blake diese Feuertaufe bestehen?

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Orson Welles half seine Tätigkeit beim Fernsehen, jenen filmkünstlerischen Leerlauf zu überbrücken, der entstand, weil der Geldhahn für seine eigenen Projekte abgewürgt wurde. Das Multitalent erschloss sich neue Wege, um das zu finanzieren, was ihm am Herzen lag. Wie sein Kollege Alfred Hitchcock wurde er zum wertvollen Markenzeichen für Fernsehspiele mit rabenschwarzem Humor, der das Publikum zwischen zwei Werbeblöcken zum Innehalten zwingen sollte. Mit eleganter Leichtigkeit leiht er den Geschichten aus der Feder bekannter Autoren sein Gesicht, das dem Zuschauer vertrauenswürdig direkt in die Augen sieht. Im ersten Fall, den er präsentiert, sympathisiert er mit jenem gesellschaftlichen Opfer, das sich plötzlich eng in ein Korsett der Konventionen geschnürt findet, weil Aufstieg und Geld winken, die jedoch mit Mäßigung und Anstand verknüpft werden. Ob die Protagonistin dazu fähig ist? Bereits bevor das Publikum einen ersten Blick auf die Gattin des potenziellen Karrieremachers werfen kann, wurde das Urteil über sie von der versammelten Gerichtsbarkeit der oberen Zehntausend gefällt. Weltgewandt muss sie sein, aber dennoch bescheiden, maßvoll und adrett, stilsicher und nicht kokett - vor allem aber soll sie ihren Gatten dekorativ ergänzen und seinen Status spiegeln.

Die Spannung kriecht in das Vestibül des auserwählten Mannes und verlangt nach der Präsentation dieser mit Neugier erwarteten Dame, die sich einer schweren Prüfung unterziehen muss. Die schlimmsten Befürchtungen werden wahr, als Joan Collins mit ihren bunten Plastikarmreifen und den falschen Wimpern klimpert und dabei ein Selbstbewusstsein ausstrahlt, das im Hause der gedämpften Stimmen kaum gut ankommen wird. Genüsslich wartet der Zuseher auf den Augenblick der Wahrheit, der wie ein Gewitter aufzieht und schnell kombiniert er mit Recht, dass dieser Gast die steife Atmosphäre des gehobenen Kreises bald in Verlegenheit bringen wird. Während sich Anton Rodgers vor Scham windet und bald nicht einmal mehr versucht, die Schnitzer seiner Frau glattzubügeln, redet sich Joan Collins in Fahrt und scheint es zu genießen, die feine Gesellschaft einmal richtig vor den Kopf zu stoßen. Die Spielfreude der Schauspielerin entzündet sich an den tausend gesellschaftlichen Regeln, deren Einhaltung wichtiger ist als jene der Straßenverkehrsordnung, denn ein falscher Schritt diskreditiert nicht nur den Betroffenen, sondern zieht weite Kreise und macht sein unmittelbares Umfeld unmöglich. Das unausgesprochene Einvernehmen zwischen den Gastgebern wird mit Härte auf diesen Fauxpas reagieren.

Die Gesellschaft meidet die Konfrontation mit dem unkonventionellen Gast und beschränkt sich auf ein paar Spitzen, die von einigen Damen geäußert werden, wobei es zu keinerlei Hilfestellung oder Ermutigung kommt, weil es die Anwesenden insgeheim mit einer perversen Freude zu genießen scheinen, dass die jüngere Rivalin sich wie ein Flittchen benimmt. Wäre sie eine formvollendete Dame gewesen, hätte dies glühenden Neid und Konkurrenzdenken wachgerufen, im vorliegenden Fall genügt es den Veteraninnen über die Fettnäpfchen der Neuen zu triumphieren. Wie man es dreht und wendet, die Ausgangsposition einer Aspirantin auf den inneren Zirkel der sekundären Macht ist heikel, da zu viel Talent für Gesellschaftsformen ebenso nachteilig sein kann wie das Gegenteil. Der Einfluss der Damen auf ihre Ehemänner scheint nicht unbeträchtlich, da die Firma Tradition und Etikette verpflichtet ist und Aushängeschilder wichtige Aspekte der Öffentlichkeitsarbeit solcher Unternehmen sind. Die Katastrophe scheint unausweichlich zu sein, wenn die Dame mit den schlechten Manieren nicht noch eine Trumpfkarte in der Hinterhand haben würde - wird sie ausgespielt? Und was will uns das über das eben Erlebte sagen? Orson Welles wird sich sein süffisantes Lächeln nicht verkneifen können....

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Prisma
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Re: ORSON WELLES ERZÄHLT

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Für mich war "Dinner bei McGill" bislang die Stärkste Folge, vor allem wegen des originellen Twists, den man in unbestimmter Art und Weise zwar erwartet hat, der aber so nicht unbedingt vorauszusehen war. Joan Collins' doppeltes Schauspiel berührt dabei nicht nur die gehobene Gesellschaft sehr peinlich, sondern hin und wieder auch das Publikum, da sie zielstrebig in jedes Fettnäpfchen tritt. Obwohl die Episode rundum gelungen ist, hätte ich mir noch ein paar kurze Sequenzen der überheblichen Damenrunde gegen Ende gewünscht, in der sie Janes Verhalten und vor allem die Art und Weise ihrer Präsentation diskutieren, und das selbstverständlich keineswegs so höflich-beherrscht und kultiviert, denn schließlich wäre man ja wieder unter sich gewesen, sondern in einem Ton, der noch ordinärer als Janes hätte sein dürfen. Hätte sicherlich gut gepasst, wenngleich es bestimmt nicht für das Ebnen der Pointe nötig war.

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