FAMILIENGRAB - Alfred Hitchcock

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Prisma
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FAMILIENGRAB - Alfred Hitchcock

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FAMILIENGRAB


● FAMILY PLOT / FAMILIENGRAB (US|1976)
mit Karen Black, Bruce Dern, Barbara Harris, William Devane, Ed Lauter, Katherine Helmond und Cathleen Nesbitt
eine Produktion der Universal Pictures | Alfred J. Hitchcock Productions | im Verleih der CIC
ein Film von Alfred Hitchcock

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»Ich habe nur noch Zeit für Resultate!«


Die Hellseherin Blanche (Barbara Harris) und ihr Freund George Lumley (Bruce Dern), ein Gelegenheitsschauspieler und Taxifahrer, wittern eine große Chance, um endlich auf einen Schlag an das große Geld zu kommen, da Blanches Klientin Julia Rainbird (Cathleen Nesbitt) auf der Suche nach ihrem verschollenen Neffen - ihrem einzigen Erben - ist. Schon bald sind die Erhebungen von Erfolg gekrönt, doch alles kommt anders als gedacht, da der gesuchte Verwandte ein gewöhnlicher Berufskrimineller namens Adamson (William Devane) ist, der sich mit seiner Komplizin Fran (Karen Black) raffinierte Entführungen durchführt. Da er unter falschem Namen lebt und um keinen Preis auffliegen will, fasst er den Entschluss, zu drastischen Mitteln zu greifen...

Alfred Hitchcock war für seine inszenatorische Pedanterie nahezu berüchtigt, was in "Familiengrab" beinahe aufgeweicht wirkt. Dieser Eindruck wird nach einiger Spielzeit und vor allem vergleichsweise zur Tatsache, sodass diese Thriller-Komödie nahezu experimentelle Tendenzen und im Rahmen des morbiden Charmes noch einmal frische Tendenzen annehmen darf, wenngleich manche Angebote dieser Geschichte stellenweise auch eigenartig rückwärtsgewandt wirken. Es stellt sich die Frage, ob dieser Mix gewollt etabliert wurde, um möglicherweise die Waage zu halten, oder ob es dem Vernehmen nach offenen Konzept der Produktion zu verdanken ist. Misst man den Film an den Gesetzmäßigkeiten des Thrillers, muss er weit hinter seinen Erwartungen zurück bleiben, da es zu einem Erzähltempo kommt, das weitgehend durch ein Spektrum des Humors dominiert wird, welcher alles zwischen subtil, raffiniert, laut oder aufdringlich sein kann, somit teilweise eine neue Dimension der Entscheunigung erfährt. Diese Kritik kann sich "Familiengrab" letztlich leicht gefallen lassen, da es auf der anderen Seite zu einer Aura kommt, die einen über die komplette Spielzeit vereinnahmt und nicht wieder loslassen wird. Zwei anfangs lose Handlungsstränge werden in raffinierter Art und Weise zu einer Einheit, da sie originellerweise auf der Straße gekreuzt werden. Dabei wird mit spiritueller Scharlatanerie kokettiert und eigentlich noch mehr provoziert, die dem Verlauf und dessen Charakteren etwas Artifizielles und Zurückweisendes verleiht, obwohl sich die Fraktionen auf sehr weit voneinander entfernten Seiten befinden. Über allem steht ein selbsternanntes Medium und eine alte Geschichte, deren Initiator hoffte, dass sie für alle Zeiten erledigt sein würde. Geschickt lässt Hitchcock seine Plot-Fragmente ineinander übergehen, sodass man die beiden Fraktionen und unterschiedliche Modelle männlich-weiblicher Beziehungen kennenlernen darf, die sich vor allem in ihrer Wechselseitigkeit voneinander unterscheiden und sich jeweils über den anderen definieren. Man hat es letztlich jeweils mit Gaunern zu tun. Die Guten und die Schlechten.

Blanche als Wahrsagerin nimmt ihre verzweifelte Kundschaft aus, indem sie sie übertölpelt und über ihre eigene Ungeduld einkassiert. Als Gegenentwurf ist Fran wahrzunehmen, die ebenso mit ihren Aufgaben vertraut ist und diese stets zuverlässig und fehlerlos erledigt. Ihre Fischzüge im Rahmen von Entführung und Erpressung scheinen bis ins kleinste Detail geplant zu sein, doch anders als bei Blanche scheint sie in ihrer isoliert wirkenden Konstellation nicht der Kopf zu sein, sondern genau wie Lumley der ausführende Arm. Also deutet alles auf einen Clash zwischen den beiden Gehirnen hin, deren kognitive Strategien unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein Großteil der Zeit jagt das medial ausgerichtete Detektiv- und Taxiunternehmen Schimären nach. Entweder man ahnt nichts von der Existenz des anderen, oder sie ist nicht zu belegen. Lediglich die alte Julia Rainbird stellt das entscheidende Bindeglied zwischen den mit Nebel behangenen Welten dar, ohne zu wissen, dass sie einen Stein ins Rollen bringt, der ihren ursprünglichen Auftrag, ihren Neffen zu finden, vollkommen aushebelt und in unbequemer Art und Weise umkehrt. Um für Glaubwürdigkeit und eine extravagante Art der Unterhaltung zu sorgen, steht ein hochinteressantes Schauspieler-Quartett zur Verfügung, dessen Qualität und Intensität sich über die offenkundigen Unterschiede ergibt. In der nominellen Hauptrolle ist Karen Black zu sehen, deren Part eine Allianz mit der Unterordnung eingehen muss, da sie zur Komplizin degradiert wird. Betrachtet man ihre Fähigkeiten bei den Entführungs-Coups, zeigt sich eine unerhörte Abgebrühtheit und Nervenstärke, die zur Erfolgsgarantie wird. Die Hellseherin Blanche hingegen wirkt auf ihre Weise ebenfalls abgebrüht, da sie ihr vornehmlich weibliches Klientel bei deren eigener Geschwätzigkeit packt und keine Skrupel beim Ausnehmen dieser Weihnachtsgänse kennt. Fairerweise muss man allerdings sagen, dass die Verdienste der beiden deutlich variieren, weil sich das von Julia Rainbird avisiertes Honorar deutlich von den Kleckerbeträgen unterscheidet, mit denen sich Blanche sonst über Wasser hält.

Mit erpressten Diamanten lässt es sich da natürlich wesentlich unbeschwerter leben, wenngleich Arthur Adamson und seine Komplizin Fran ständig Sorge zu tragen haben, dass ihre Aktionen auch unbehelligt bleiben. Bei diesem Gangster-Pärchen ist deutlich zu erkennen, dass sie auch größtenteils von purem Adrenalin angetrieben werden, was besonders für Fran eine Art Elixier darstellt, die sich bei jedem neuen Coup auch einen neuen Kick verschaffen kann. Die Protagonisten zeichnen ein Spiel, das am Ende von Hitchcock selbst delegiert wird. Dieser letzte Spielfilm des Regisseurs mag für seine eigenen Verhältnisse vielleicht nicht der große Wurf geworden sein, da es streckenweise doch zu behäbig und unkonturiert zugeht, aber es ist nicht zu leugnen, genauso wie es kaum zu beschreiben ist, dass die Inszenierung von einer so seltsamen Atmosphäre zehrt und profitiert, die nicht alle Tage zu finden ist. Dementsprechend bleibt man auch interessiert und gespannt bei der Sache, die ihre Höhepunkte nicht leichtfertig preisgibt und die eher von den Kollisionskursen der Personen herausgekitzelt werden müssen. Das Α und Ω ist und bleibt eine in mysteriösem Nebel schimmernde Atmosphäre der Verwirrung und Täuschung, die nur langsam durchbrochen wird. Dabei sorgt die Geschichte nicht immer für lückenlose Aufklärung, erlaubt sich somit den Luxus, ein paar ihrer Geheimnisse zu wahren. "Familiengrab" sagt im deutschen Titel leider nicht viel über die ausgeklügelte Veranstaltung aus, kann aber über diese recht unscheinbare Voraussetzung punkten, da es zu gute Pointen und gelungenen Überraschungen kommt. Alles in allem ist vor allem ein breit angelegtes Augenzwinkern wahrzunehmen und das sogar buchstäblich. So legt dieser Beitrag offen, dass der am Ende seiner beispiellosen Karriere angekommene Altmeister vielleicht milde geworden war, um mit seinem eigenen Stil in Revision zu gehen. Als Thriller empfiehlt sich schlussendlich ein ruhiger Vertreter, der wesentlich mehr Wert auf Nuancen zwischen den Zeilen und den Erzählebenen legt. Mit gelungenen und überaus ansprechenden Charakterzeichnungen bleibt schließlich ein Beitrag zurück, dessen Freude sich aus der Provokation ergibt.

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