BRANDUNG - Joseph Losey

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Prisma
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BRANDUNG - Joseph Losey

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Elizabeth Taylor   Richard Burton

BRANDUNG


● BOOM / BOOM! / BRANDUNG (GB|1968)
mit Joanna Shimkus, Michael Dunn, Romolo Valli, Howard Taylor, Fernando Piazza, Veronica Wells und Noël Coward
eine Produktion der John Heyman Productions | Moon Lake | World Film Services | Universal Pictures | im Universal Verleih
nach der Vorlage von Tennessee Williams
ein Film von Joseph Losey

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»Injektion! Injektion!«


Die steinreiche Schriftstellerin Flora Goforth (Elizabeth Taylor) war sechsmal verheiratet und ist genau so oft verwitwet. Im Sommer zieht sie sich mit ihrem privaten Hofstaat auf ihre eigene Insel im Mittelmeer zurück, um dort ihren exaltierten Launen freien Lauf zu lassen. Ihre Angestellten behandelt sie wie Fußabtreter, ihre Wutausbrüche und Angstzustände sind unberechenbar, gehören allerdings zum Tagesgeschäft. Ihrer Sekretärin Miss Black (Joanna Shimkus) diktiert sie unter widrigsten Umständen, wie Alkohol- und Tabletten-Einfluss, ihre Memoiren, da sie sicher ist, bald sterben zu müssen. Eines Tages taucht der berüchtigte Dichter Chris Flanders (Richard Burton) in ihrer Festung auf. Er hat die eigentümliche Angewohnheit, alternden reichen Frauen einen Besuch vor ihrem Tod abzustatten, etwa wie ein Todesengel. Flora wehrt sich zunächst vehement gegen den ungebetenen Gast, allerdings fühlt sie sich genau so von ihm angezogen. Die Tage verstreichen und ihre Gesundheit verschlechtert sich merklich. Wird Flora diesen Besuch überleben..?

Die Kamera fährt ausgiebig über eine idyllisch wirkende Insel, auf der sich eine luxuriöse Villa befindet, oder besser gesagt ein Palast. Die malerische Kulisse wird allerdings schnell durch die Herrin der Festung gestört. Stöhnend und mit schmerzverzerrtem Gesicht wälzt sie sich in ihrem Schlafgemach hin und her und bettelt nach Injektionen, die offensichtlich obligatorisch zu sein scheinen, genau wie ihr majestätisches Gehabe. Doch die selbsternannte Königin besteht nur aus einer Fassade, denn im inneren ist sie vulgär, impulsiv und manisch. Ihre Wutausbrüche werden mit wildem Fluchen begleitet, de jeweilige Wortwahl ist proletarisch. So lautet der erste Satz, den sie dem Zuschauer um die Ohren pfeffert, folgendermaßen: »Schon wieder so eine verdammte Delegation aus dem Dorf!« Sie redet sich und anderen ein, dass sie alleine sein möchte, und daher wie eine Einsiedlerin lebt. Doch in Wirklichkeit gibt es niemanden mehr, außer einem letzten verbliebenen, recht seltsamen Freund, der es freiwillig oder ohne Bezahlung mit ihr aushalten kann. Im Rahmen der Dialoge wird ein spektakuläres Kontrastprogramm erfunden, ordinäre Redewendungen geben sich mit geheimnisvoll, mystisch oder beinahe kryptisch wirkenden Dialogen die Klinke in die Hand. Plötzlich rastet Elizabeth Taylor wieder aus - wie üblich aus heiterem Himmel - und brüllt vor dem pittoresken Set: »Und hauen Sie ab mit ihrem fetten Arsch und ihrem hinterhältigen Grinsen!« Joseph Losey inszenierte mit "Brandung" einen 10 Millionen Dollar teuren Kunstfilm, der zumindest stilistisch herausragende Akzente setzen kann. Allerdings wirkt das Drehbuch mit all seiner Metaphorik stark überfrachtet und Vieles bleibt in einer Art Überflutung der Sinne unbegreiflich und beinahe unverständlich, dabei allerdings beständig. Handelt es sich um ein gewolltes Stilmittel, ganz im Sinne der literarischen Vorlage? Die Kritik sah es seinerzeit anders und der Film wurde verrissen und floppte an den Kinokassen. Bei diesem Verlauf kommt es tatsächlich darauf an, was man sehen möchte. Spektakel und niveauvolle Langeweile können hier nah beieinander liegen und es kommt doch sehr auf die Herangehensweise des Zuschauers an, ob der Film einen begeistert, oder eine zu hohe Distanz aufbaut.

Betrachtet man das Zusammenspiel von Elizabeth Taylor und Richard Burton, so fragt man sich, ob es bei beiden nicht auch häufig privat so heiß hergegangen sein wird. Das Tauziehen zwischen Agonist und Antagonist, Aggressionsherd und Ruhepol, wirkt auf eine gewisse aufdringliche Art und Weise spannend, hat allerdings auch das Potential, zu strapazieren. Die Wortgefechte sind eindeutiger und gleichzeitig einseitiger Art. Als Flora Goforth wirkt Elizabeth Taylor - die eigentlich nur die dritte Wahl für diese Rolle war - unbändig, impulsiv, unberechenbar; es hat den Anschein, als könne sie jederzeit aus heiterem Himmel ausrasten, und das wegen kleinsten Kleinigkeiten, denn sie könnte beispielsweise Wiederworte bekommen, oder das Personal spurt nicht minutiös. Geformt wird eine Diva in feinsten Roben, die augenscheinlich wie eine Dame von Welt erscheint, aber im tiefsten Inneren direkt aus der Gosse kommen könnte. Star-Allüren, Impulsivität, Angstzustände, Stimmungslabilität und mentaler sowie moralischer Verfall bilden ein interessantes, sich in Hochgeschwindigkeit drehendes Karussell der kaum nachvollziehbaren Emotionen und Verhaltensmuster. Wo liegt der Schlüssel? Sind es die Einsamkeit und das sexuelle Defizit einer hysterischen Furie, oder doch eine verheißungsvolle Vorahnung einer Todgeweihten? Richard Burton wirkt wie Balsam für die Seele in dieser unruhigen Umgebung, allerdings könnte seine Darbietung auch Gift sein. Je lauter seine Gastgeberin wird, umso ruhiger gestaltet er seine Konfrontation. Wenn er Flora mit der Wahrheit konfrontiert, wird es nur noch lauter. Das alles spielt sich in einem nahezu verschwenderisch aufgebahrten 500.000-Dollar-Set ab, das den Film atemberaubend prägt. Beinahe futuristisch wirkende Räumlichkeiten und Details bleiben auch lange nach dem Film noch in Erinnerung. Dennoch wirkt dieser Ausstattungsfilm phasenweise ungelenk, da die Geschichte absurd wirkt und wie eine einzige Irritation wirkt. Unterdurchschnittliches und Überdimensionales gehen allerdings eine interessante, wenn nicht sogar intelligente Allianz ein, sodass der Unterhaltungswert aus erfindlichen und unerfindlichen Gründen sehr hoch ausfällt. Wirtschaftlich gesehen war "Brandung" ein Desaster, rückblickend reizt diese ausladende Produktion allerdings, sich darauf einzulassen um den Mut der Verzweiflung live mitzuerleben. Auch wenn man hier wenig abgewinnen kann, es bleibt ein grandioser Schauspielerfilm, der im visuellen Bereich nach seinesgleichen suchen darf. Kongenial!

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