MORD NACH MAẞ - Sidney Gilliat

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Prisma
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MORD NACH MAẞ - Sidney Gilliat

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Hayley Mills

MORD NACH MA


● ENDLESS NIGHT / MORD NACH MAẞ (GB|1972)
mit Hywel Bennett, George Sanders, Per Oscarsson, Lois Maxwell, Patience Collier, Walter Gotell, Madge Ryan und Britt Ekland
eine Produktion der British Lion Film Corporation | EMI Film | Individual Pictures | National Film Trustee Company
nach einer Erzählung von Agatha Christie
ein Film von Sidney Gilliat

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»Gehen Sie sofort, bevor das Unglück geschehen ist!«


Der Verleihwagenfahrer Michael Rogers (Hywel Bennett) beschäftigt sich am liebsten mit Tagträumen, in denen er sich ein nobles Leben vorstellt. So sieht er sich in seiner Fantasie bereits als stolzer Besitzer des herrlichen Stückes Land namens Gypsy's Acre, wo er in der Villa seiner Träume lebt. Durch Zufall lernt Michael genau dort die hübsche Ellie (Hayley Mills) kennen, die ihm allerdings verschweigt, dass es sich bei ihr um eine der reichsten jungen Frauen der Welt handelt. Wenig später heiraten die beiden und Ellie erwirbt das Land, um Michael seinen Traum zu erfüllen, doch auf diesem sagenumwobenen Ort soll der Prophezeiung nach ein alter Fluch lasten. In Ellies Familie wird der bürgerliche Michael unterdessen nicht gerade herzlich aufgenommen. Man tritt ihm mit Verachtung gegenüber und bietet ihm sogar eine hohe Abfindung an, wenn er seine junge Braut verlässt. Eines Tages erscheint Ellies Freundin Greta (Britt Ekland) in der neuen Traumvilla, und aus einem kurzen Besuch werden Wochen. Seit ihrem Auftauchen geschehen jedoch seltsame Dinge und die schöne Greta scheint Michaels Frau zu beeinflussen, bis schließlich ein rätselhafter Mord geschieht...

Diese Verfilmung nach Agatha Christies 58. Kriminalroman bietet in der Ausarbeitung nicht unbedingt das an, was man im Vorfeld erwartet, beziehungsweise mit der britischen Autorin assoziiert hätte. Regisseur Sidney Gaillait inszeniert ein Märchen oder vielmehr einen Traum, der aus vielen undurchsichtigen Fragmenten besteht und nicht zu durchbrechen scheint. So entsteht ein beachtliches Ereignis, das aus mehreren Gründen in Erinnerung bleiben dürfte. Agatha Christie, Verlässlichkeit, oder ein hoher Wiedererkennungswert gehören erfahrungsgemäß zusammen, und oftmals entsteht hierbei sogar eine gewisse Vorhersehbarkeit. Schlussendlich kommt es dann - wie auch in diesem Fall - auf eine geglückte Inszenierung an. "Mord Nach Maß" wirft über eine Stunde lang die Frage auf, ob es sich denn tatsächlich um eine Vorlage Christies respektive um einen Krimi handelt, oder ob man überhaupt in einen Mordfall verwickelt werden wird, was der deutsche Titel allerdings vollmundig ankündigt. Die Szenerie wirkt durchgehend rätselhaft und die Charaktere erscheinen überaus mysteriös, was eine kaum greifbare, aber durchgehend subtile Spannung verursacht, obwohl bei diesem deutlich verlangsamten Erzähl-Tempo lange Zeit nur wenig Signifikantes passiert. Erstaunlich dabei ist jedoch, dass die Zeit quälend lang erscheint, und man aufmerksam der langen Vorstellung der Charaktere folgt. Permanent begleitet einen das dumpfe Gefühl, dass sich inmitten dieser traumhaften Landschaft, dem opulenten Setting und der schmeichelnden Bild-Gestaltung etwas Gefährliches verbirgt, das plötzlich zuschlagen könnte. In dieser Geschichte sind reichlich tiefe, teils auch krude Charakterzeichnungen zu finden, die durch die optimalen darstellerischen Leistungen viel an Farbe gewinnen. Hywel Bennett sorgt mit allen Mitteln dafür, dass seine Rolle sich dem Konzept der Geschichte sehr gut anpasst und hervorragend funktioniert. Oftmals ist seine Stimme zu hören, die die Funktion eines Erzählers übernimmt.

Man nimmt Anteil an seinen Tagträumen und Gedanken, auf die man sich manchmal gerne einlässt, hin und wieder aber auch Unverständnis hervorrufen. Obwohl er seine sympathischen Seiten sichtbar werden lässt, mangelt es an grundlegendem Vertrauen, weil man ihn nicht als gefestigten Charakter einstufen kann. Angesichts seiner Abwesenheitszustände sieht man Rückblenden, in denen Kinder vorkommen und Bilder gezeigt werden, die man nicht direkt deuten kann. Hayley Mills als eine der angeblich reichsten jungen Frauen der Welt, die ihrem Bräutigam diese Bürde zunächst verschwieg, macht einen erfrischenden Eindruck als Ellie. Eine Mischung aus Zielstrebigkeit und scheinbarer Naivität wird von ihr sicher über die Ziellinie gebracht, außerdem werden sich noch zahlreiche Szenen offenbaren, die alles zwischen gruselig und intensiv abdecken. Britt Ekland als ihre mutmaßliche Freundin Greta beschreitet dem Empfinden nach ähnliche Wege wie in "Diabolisch", der im gleichen Jahr abgedreht wurde. Da Britt Ekland manchmal eher durch ihre klassische Schönheit als durch ausgefeilte Interpretationen glänzt, ist es hier umso erstaunlicher sie in absoluter Höchstform zu sehen. Im Geschehen taucht Greta erst nach rund vierzig Minuten auf, doch der Zuschauer ahnt seit Beginn, dass sie existiert. Diese Tatsache stellt sich nach Beendigung des Films als eine der großen Raffinessen der Vorlage und der Inszenierung heraus. Der Rest der Besetzung sorgt des Weiteren für Freude pur, als unerwähnten Gast bekommt man zum Ende hin sogar noch Leo Genn sozusagen als Besetzungsüberraschung zu sehen. Außerdem hört man zum Beispiel für George Sanders üblicherweise die Synchronstimme von Siegfried Schürenberg, und Alice Treff zeigt sich für Stimme der Dame in Schwarz, Patience Collier, verantwortlich. Beim Zuschauen ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, das regelrecht Parallelfilme ablaufen. So kommt es beispielsweise zu Querverbindungen oder Referenzen aus "Tod auf dem Nil" und sogar "Vertigo", oder etwa "Bis das Blut gefriert".

Dies soll keineswegs bedeuten, dass sich diese Produktionen in irgend einer Art und Weise ähneln, sondern derartige eindrücke entstehen schlicht und einfach der Charaktere oder mancher Veranschaulichungen wegen. "Mord nach Maß" (dessen deutscher Titel sich als ungünstige Wahl herausstellt, dessen Rhetorik aber spätestens nach dem Finale bitter aufstößt) ist immer wieder gespickt mit wahrhaftigen Gänsehaut-Momenten. Subtile Effekte lassen sogar einen angenehmen Grusel aufkommen, wobei dieser Film eigentlich nicht in diese Richtung abdriften möchte. Immer wieder taucht eine eigentümlich gekleidete alte Dame aus dem Nichts auf, die zwei Siamkatzen an der Leine führt und Prophezeiungen zum Besten gibt. Es scheint, dass die trügerische Idylle des Films, der übrigens ein exzellentes Finale mit mehreren Wendungen bereit hält, in einen Scherbenhaufen zerfällt. Bei der schwierigen Darstellung der Psyche, die unter Berücksichtigung sachlicher und nachvollziehbarer Komponenten stattfindet, stellt sich hier allerdings heraus, dass die komplexe und anspruchsvolle Geschichte von vorne herein dazu verurteilt war, ein Scherbenhaufen sein zu müssen. Die Regie schafft es sehr überzeugend ein undurchsichtiges Mosaik weitgehend verständlich zusammenzufügen und den Zuschauer trotz langsamen Tempos bei Laune und Aufmerksamkeit zu halten. Die extravagante Verfilmung, die sich dem Vernehmen nach eng an der Vorlage von Agatha Christie orientieren soll, hebt die Progressivität einer wenig charakteristischen Arbeit der Autorin deutlich hervor, und sorgt aus vielerlei Hinsicht für Überraschungsmomente en masse. Wer daher etwas ganz Klassisches erwartet, muss nicht unbedingt auf seine Kosten kommen. Wer sich jedoch gerne auf etwas Neues einlässt, wird hier möglicherweise genau richtig liegen. Im Endeffekt fasziniert die richtige Kombination aus Desorientierung und klarer Linie, verblüffend ist außerdem, dass der Film trotz einer gewissen Entschleunigung im Mittelteil keine einzige lange Minute aufkommen lässt. Empfehlenswert.

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