RUHE UNSANFT - John Davies

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Percy Lister
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RUHE UNSANFT - John Davies

Beitrag von Percy Lister »

"Ruhe unsanft" (Sleeping Murder) (Großbritannien 1986)
mit: Geraldine Alexander, John Moulder-Brown, Joan Hickson, Frederick Treves, John Bennett, Jean Heywood, Terrence Hardiman, Geraldine Newman, Eryl Maynard, Kenneth Cope, Jack Watson, Amanda Brown, David McAllister, Esmond Knight, Joan Scott u.a. | Drehbuch: Ken Taylor nach dem Roman "Sleeping Murder" von Agatha Christie | Regie: John Davies

Kaum hat die jungverheiratete Gwenda Reed, die gerade mit ihrem Mann Giles aus Neuseeland gekommen ist, ihr Haus in Dillmouth an der südenglischen Küste bezogen, da häufen sich rätselhafte Ereignisse. Auf unheimliche Art und Weise fühlt sich Gwenda in der idyllischen Villa bedroht, bei der sie bald das Gefühl hat, schon einmal dort gelebt zu haben. Nach einem Gespräch mit der Tante des Schriftstellers Raymond West, einem Cousin ihres Mannes Giles, beginnt das junge Paar, nach Spuren in der Vergangenheit zu suchen, die Gwendas Vermutungen bestätigen sollen. Allerdings wecken sie damit einen Mörder, der sich zwanzig Jahre lang in Sicherheit wiegen konnte, aus der Illusion, dass sein Verbrechen für immer unentdeckt bleiben würde....

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Der Roman aus der Spätphase des Œuvres von Agatha Christie-Mallowan zeigt sich sehr akkurat in der Zeichnung seiner Charaktere und entwirft ein besonders liebeswertes Paar, das sich mit einem Kriminalfall aus der Vergangenheit befasst. Anfangs besteht keine unmittelbare Bedrohung für die Protagonisten und sie betreiben die Suche nach der Wahrheit größtenteils aus einem natürlichen Drang, ihrer Neugier nachzugeben. Bald jedoch eröffnen sich ihnen lange unter Verschluss gehaltene Fakten, die dem familiär unbelasteten Ehepaar Unbehagen bereiten, weil sie Irritation und Unruhe hervorrufen, da Vorstellungen revidiert und Traumbilder zerschlagen werden. Geraldine Alexander als Gwenda und John Moulder-Brown als Giles erfreuen das Auge des Zuschauers, der mit Wohlwollen die liebevolle Vertrautheit des Paares zur Kenntnis nimmt, die den Kontrast zwischen einer harmonischen Gegenwart und einem finsteren Geheimnis aus der Vergangenheit umso deutlicher zutage treten lässt. Der Respekt und die Zuneigung, die aus Gesten und Blicken spricht, vertiefen die Dringlichkeit, jede Unklarheit in Bezug auf ihr neues Zuhause und dessen Vorgeschichte aus dem Weg zu räumen. Mit jugendlichem Enthusiasmus taucht das Paar in die Vergangenheit ein, um das Rätsel zu lösen, das sich unvermittelt in ihr sorgenfreies Leben geschlichen hat. Umso lebendiger und einnehmender laufen die Nachforschungen ab, weil der Zuseher durch Indizien und Hinweise ebenso neugierig gemacht wird, wie das Ehepaar. Gwenda und Giles Reed verkörpern die Leser der Romane Agatha Christies, die sich voll und ganz auf ein Krimi-Abenteuer einlassen und jedem Hinweis nachgehen. Man kann "Ruhe unsanft" deshalb als Hommage der Schriftstellerin an ihre eigene Schöpfung - Miss Marple und ihre kleine Welt - betrachten. Geraldine Alexander und John Moulder-Brown sind ein selten schönes Paar. Ihre sympathische Ausstrahlung, die Eleganz ihrer Erscheinung und die liebenswürdige Art, in der sie Miss Marple und ihre neue Heimat betrachten, tragen den Film.

Mit "Sleeping Murder" ist der BBC ein Meisterstück gelungen. Die Romanvorlage verströmt einen besonderen Zauber, der in der Verfilmung vertieft und in wunderschöne Bilder verpackt wird. Im Gegensatz zu der Neuverfilmung mit Geraldine McEwan zwei Jahrzehnte später, gibt es hier keinen unnützen Füllstoff. Man bekommt Helen Spenlove Kennedy bis auf eine verblasste Sepia-Fotografie nie zu sehen, was sich als sehr weise herausstellt. So durchzieht die Vorstellung, was für ein Mensch sie wohl gewesen sein mag, den gesamten Film. Dies macht sich bezahlt, als gegen Ende ihre Gebeine unter den Stufen zum Garten gefunden werden. Man sieht nicht einmal einen Knochen, doch in der Phantasie des Zusehers reicht es, in die entsetzten Gesichter der Protagonisten zu blicken, als sie vom Inspektor hören, man habe gefunden, wonach man gesucht habe. Gerade hier zeigt sich der hohe Standard, der Ende der Achtziger Jahre der bei der Verfilmung solch klassischer Kriminalstoffe Anwendung fand. Das Buch lebt vor allem von der detailreichen Beschreibung des Hauses, den Schatten der Vergangenheit und den eigenmächtigen Nachforschungen des jungen Paares. Es hätte die Atmosphäre der Geschichte zerstört, wenn man Rückblenden aus dem Leben der Ermordeten gezeigt hätte. Nicht einmal die kleine Gwennie ist zu sehen, als sie durch das Treppengeländer nach unten blickt. Der Film kommt ohne Effekte aus und lässt den Fall deshalb umso realistischer wirken. Im Vordergrund steht der Wunsch, die Vergangenheit aufzudecken, um mehr über die eigene Herkunft zu erfahren, aber vor allem, ein Gesamtbild über Menschen zu erhalten, die nur bruchstückhaft in der Erinnerung existieren. Die Kamera leistet hier wertvolle Dienste, indem sie die Reaktionen der Personen ebenso stimmig einfängt, wie die Landschaften und die architektonischen Schauplätze. Die Bedrohung erwächst aus Momenten der Einsamkeit, in denen die Schatten der Vergangenheit lange unterdrückte Gefühle neu beleben.

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