Eva Renzi
DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI
● DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI / LE GRAND DADAIS (D|F|1967)
mit Jacques Perrin, Danièle Gaubert, Yvonne Clech, Yves Rénier, André Falcon, Max Vialle, Heinz Spitzner und Harald Leipnitz
eine Produktion der Rialto Film Preben Philipsen | Les Films de la Licorne | CICC | im Constantin Filmverleih
nach dem gleichnamigen Roman von Bertrand Poirot-Delpech
Sacha Distel singt "Ces mots stupides"
ein Film von Pierre Granier-Deferre
»Du kannst nicht lieben, ohne unglücklich zu sein!«
Der 20-jährige Alain (Jacques Perrin) hat genug von seinem bisherigen Leben. Da er noch gemeinsam mit seiner Mutter (Yvonne Clech) lebt, die ihn bevormundet und stets weiß, was am besten für ihn ist, außerdem permanent von seiner Freundin Emmanuelle (Danièle Gaubert) abgewiesen wird, möchte er hinaus aus seinem bürgerlichen Käfig und alles scheint sich zu ändern, als er das deutsche Fotomodell Patricia (Eva Renzi) kennenlernt. Sie zeigt ihm ganz selbstverständlich, wie das Leben sein kann und offensichtlich ist es mit ihr genauso, wie er es sich vorgestellt hat. Alain verliebt sich in die schöne Frau, doch schnell beginnt das Dasein auf der Überholspur mehrere Hürden aufzuweisen. Um Patricia etwas bieten zu können, erpresst er einen ihrer temporär abgelegten Liebhaber, den reichen Makler Poloni (Harald Leipnitz). Noch ahnt Alain nicht, dass dies nur der Anfang einer Reihe von Fehlentscheidungen sein wird, die ihn geradezu in eine Katastrophe manövrieren...
Ja, es gibt sie. Filme, von denen man quasi wusste, dass man immer nur auf sie gewartet hat. Pierre Granier-Deferres "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" ist ein solches Exemplar, das alle erdenklichen Komponenten vereint, die nach persönlichem Ermessen essentiell für die größten Film-Momente sind. Seinerzeit wurde diese Produktion mit dem Prädikat »wertvoll« ausgezeichnet und entstanden ist eine der vielen einfachen Geschichten, die möglicherweise nur unter französischer Flagge fabriziert werden konnten. Interessant ist die Tatsache, dass die Berliner Rialto Film an dieser Gemeinschaftsproduktion beteiligt war, agierte sie doch auch zu dieser Zeit noch immer, beziehungsweise vor allem am Edgar-Wallace-Fließband. Für deutsche, oder zumindest deutsch-beteiligte Verhältnisse, des Weiteren für diejenigen der Produktionsfirma, ist definitiv ein Beitrag entstanden, der strukturell und inszenatorisch einen hoch qualifizierten Eindruck macht. Außerdem dokumentiert er, dass solche Ausreißer möglich waren, und dass man für den heimischen Markt möglicherweise zu eintönig inszenierte. Aus diesem Grund schwingt auch heute noch eine zeitlose Eleganz und anhaltende Gültigkeit mit, die das Anschauen zu einem puren Erlebnis werden lässt. Das Thema, das offensichtlich unvergänglich ist, stellt einmal mehr die Liebe dar. So fachmännisch seziert, dass das Warten auf die befürchtete Kettenreaktion oft kaum auszuhalten ist. So immer wiederkehrend, dass man es schon fast nicht mehr hören will, aber dennoch so berauschend, dass man einfach nicht anders kann, den beteiligten Personen mit einer besonderen Faszination zu begegnen. Granier-Deferre gestaltete nach Motiven von Bertrand Poirot Delpech, dessen Buch "Der große Tunichtgut" - das hier als Vorlage diente - bereits 1958 veröffentlicht wurde. Die Regie inszeniert in der damaligen Gegenwart, sozusagen mit einem gestochen scharfen Blick zurück nach vorn, und wie gesagt ist dieser Beitrag auch heute noch voller Vitalität und lebensnaher Dramatik.
Das alles geschieht, ohne zu sentimentale Anwandlungen zu transportieren. Höchstens kann man angesichts gewisser Schlüsselmomente sagen, dass es zu ehrlich, vielleicht sogar zu pragmatisch zugeht. Aber das Thema Liebe war in unzähligen Filmen alles, von Elixier bis Randerscheinung, und bildet hier den anfänglichen Treibstoff, später dann den Zündstoff für die komplette Angelegenheit. Doch bevor auch nur eine Ahnung davon vermittelt wird, wohin Pierre Granier-Deferre den Zuseher führen will, liefert er gleich von der ersten Sekunde an auffällige Kontraste. Die Kamera schwenkt über eine malerische Landschaft, untermalt mit der Titelmelodie des französischen Chansonniers Sacha Distel. Zu "Ces mots stupides" tastet die Kamera jede Einzelheit eines brennenden Sportwagens ab, sodass diese ungewöhnliche Kombination gleich einen wegweisenden Charakter annehmen wird. Vergänglichkeit und Zerstörungswut stehen als vage Skizzen im Raum, der schwarze Rauch erzählt das Ende einer vermutlich tragischen Geschichte, bis man sich unmittelbar danach in einem kühlen, sterilen Gerichtssaal wiederfindet, in dem sich der junge Protagonist dieses Szenarios auf der Anklagebank zu verantworten hat. Die Verhöre und die Anschuldigungen nehmen unbehagliche Formen an, vor allem die zynischen Untertöne der Staatsanwaltschaft irritieren nachhaltig. »Die heutige Jugend hat alles, was sie sich wünscht, und deshalb leidet sie«, ist nur eine der Spitzen, die in Richtung Alain abgefeuert werden, der merklich Probleme hat, sich mental zusammenzunehmen. Seine fahrigen Antworten dokumentieren, dass er die Lage, in der er sich nun befindet, noch gar nicht so recht begriffen zu haben scheint. Die Regie setzt auf Intervalle, die aus der gegenwärtigen Situation und ausgiebigen Rückblenden bestehen, die das Puzzle zusammenfügen werden. Dabei gelingt es vorbildlich, die Spannung und das fehlende Fragment bis zur letzten Sekunde vorzuenthalten, sodass man sich auf einen hoch interessanten Aufbau freuen darf.
Französisches Flair entfaltet sich, oder vielleicht ist der Kern der Sache besser getroffen, es als Lebensgefühl und dazu gehörige Einstellungen zu bezeichnen. Das Hauptaugenmerk wird auf die heutige (also damalige) Jugend gelegt, jedoch nicht ohne einen zusätzlich kritischen Blick auf die Vorgänger-Generation zu werfen. Weswegen alles so ist, wie es ist, wird nicht geklärt, beziehungsweise nicht tiefenpsychologisch aufgeschlüsselt. Der Zuschauer erhält daher genügend Raum, um sich mit seinen eigenen Gedanken zu beschäftigen und dem hier angebotenen Thema, der - wie man so schön sagt - eigentlich schönsten Sache der Welt. Ein Exkurs für die Liebe also? Ja, in diesem Fall darf es tatsächlich nicht anders sein. Zunächst kann einmal betont werden, wie unheimlich zielsicher Granier-Deferre einen Transfer für den Interessenten herstellt, der sich in vielen Situationen wiederfinden wird, ohne dabei die Präzision zur Hilfe nehmen zu müssen. Es geschieht en passant, gleicht quasi vergessenen Bildern, Bruchstücken, die plötzlich wieder lebhaft an einem vorbeirauschen. Wo also findet man sich selbst? Beispielsweise in Situationen des Glücks, der Impulsivität, des Zweifelns und der Suche. Man erinnert sich möglicherweise wie aus dem Nichts an Dinge, die man vielleicht besser nie gesagt oder getan hätte, oder solche, die man leider verschwiegen hat. Es ist eigentlich kaum, oder nur schwer zu beschreiben, was in "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" im filmübergreifenden Sinn geschieht. Gerade deswegen ist es beinahe nicht möglich, unberührt zurückzubleiben. Sicherlich bietet der Verlauf überdies einige andere Komponenten, die einen letztlich ansprechen werden, doch unterm Strich bleibt das große Drama rund um diese drei Worte, die vielleicht gerade im Film sinnbildlich für Überdruss und Verlogenheit stehen. Aufgrund der so simpel herausgearbeiteten Berührungspunkte, geschieht dies hier glücklicherweise nicht. »Wenn man lieben will, dann muss man dafür leiden können!« - die Protagonisten der Geschichte liefern in dieser Beziehung eine Expertise ab.
In diesem Zusammenhang ist natürlich die strahlende Schönheit und die unverwechselbare Ausstrahlung einer Eva Renzi zu nennen, die in jeder erdenklichen Hinsicht instrumentalisiert wird. Eine notwendige Grundvoraussetzung für das Funktionieren dieser intelligenten Konstruktion. Erneut sieht man die Berlinerin nicht nur in ihrem Element, sondern vor allem als personifizierten Prototypen der Frau. Sie vereint und stellt gleichzeitig alles dar, was das Thema Vereinnahmung herzugeben weiß. Im Grunde genommen wird man euphorischer Zeuge einer Neuauflage ihrer Rolle aus dem ein Jahr zuvor entstandenen Film "Playgirl", da es etliche Parallelen gibt. Erstaunlicherweise darf aber auch gesagt werden, dass sie ihre eigene Leistung aus diesem ultimativen Renzi-Film nicht nur aufsehenerregend verfeinert, sondern ihn darüber hinaus spektakulär in die Tasche steckt. Zum ersten Aufeinandertreffen mit dem Fotomodell Pat kommt es in einer gut besuchten Diskothek. Sie tanzt auf der Spitze des Vulkans, für dessen Eruption sie verantwortlich scheint, ist in tiefrotes Licht getaucht, was die ohnehin attraktive Frau nur noch mehr zum Epizentrum der Versuchung werden lässt. Die Augen des männlichen Protagonisten Alain verschmelzen in dieser Strecke von verführerischen Bildern mit denen eines jeden Zuschauers. Wie gebannt schaut man auf dieses makellose Geschöpf, für das man sofort gerne 100 neue Komplimente erfinden möchte. Um sie herum entsteht eine Weite, da sie alles andere zur Nebensächlichkeit abqualifiziert. Ganz resolut und natürlich. Pat ist sich ihrer Wirkung bewusst, denn sie ist die Blicke, die Anfragen und das kleine Rampenlicht gewöhnt. Ein immerwährendes Spiel verlangt seine hohen Einsätze, denn trotz empfundener Leichtfertigkeit und einer so auffallend unkomplizierten Attitüde, scheint der Gewinn prinzipiell in weiter Ferne zu sein. Zumindest für die meisten, da eine solche Frau das Selbstbewusstsein und Urteilsvermögen eines jeden Mannes naturgemäß erschüttern kann. Was bleibt ist eine Performance, die zu Superlativen animiert.
Die interessante Frage stellt sich unmittelbar im Anschluss dieser Show, nämlich wie es Alain überhaupt schaffen kann, in ihren Radius zu gelangen. Überraschenderweise funktioniert es - wer hätte das gedacht - ganz einfach. Germain, ein guter Freund von Alain, fragt ganz direkt bei ihr an, ob Interesse besteht. Ohne Zwänge und konventionelle Barrikaden lässt sich der mittlerweile vom Tanzen erschöpfte Star des Clubs von ihm nach Hause chauffieren, und im Wagen kommt es zu schnellen Charakterisierungen der beiden Hauptpersonen. Patricia entschärft die sprachlichen Klippen und unterschwelligen Zwänge mit ungenierter Direktheit, Alain hingegen imponiert aufgrund seiner Unsicherheit, die er zu übertünchen versucht, deswegen ziemlich redselig wird. Ist das Fundament für eine Kettenreaktion also hiermit bereits gelegt worden? Der frühe Verlauf schmückt sich mit trügerischer Diskretion und behält eine nun abweichende, reibungslose Strategie im Auge, zumindest bis die drei berüchtigtsten Worte der Welt endlich gefallen sind. Alain hat sich klassisch blenden, vielleicht sogar erlegen lassen, vergisst alles und jeden um sich herum, auch seine hübsche Freundin Emmanuelle. Für diese Rolle taucht ein weiteres der schönsten Gesichter des französischen Kinos auf, nämlich jenes der begehrenswert wirkenden Danièle Gaubert. Im Gegensatz zum neuen Objekt der Begierde, steht sie für verkappte Moralvorstellungen und fühlt sich in der Defensive wohl, möchte darüber hinaus die Einzige für ihn sein. In einer Szene vergleicht der junge Mann sie mit seiner eigenen Mutter, übrigens ausgezeichnet dargestellt von der bekannten französischen Interpretin Yvonne Clech, die ihn bevormundet, dabei immer noch gerne wie ein Kind behandelt, wahlweise sogar wie ihren längst verstorbenen Ehemann. In vielen solcher Einzelheiten begründet sich Alains Angriffslust, oppositionelles Verhalten, aber auch die Resignation, und er selbst bringt sein korsettartiges Dilemma vielleicht sehr treffend mit folgendem Satz auf den Punkt: »Gutherzigkeit macht einen verrückt!«
Man kann eben doch nicht heraus aus seiner Haut und ist viel mehr von Zwängen abhängig, als einem lieb ist. Und genau dies spiegelt sich auch in der Beziehung zwischen Patricia und Alain wider. Doch zuvor sorgt der Regisseur für viele herrliche Momente der Zweisamkeit, die häufig mit der Titelmelodie von Sacha Distel unterlegt sind, sodass nicht nur ein beneidenswertes Flair, sondern sogar Edel-Romantik der sowohl klassischen, aber auch progressiven Sorte aufkommen will. Allerdings ist diese nur dazu gemacht, um wenig später in Stücke zu zerfallen, denn die Konstellation scheitert am gegenseitigen Widerstand und vor allem an einem unterschiedlichen Weltbild. Die offensichtliche Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit kann keine sinnvolle Allianz mit der Ernsthaftigkeit eingehen, und das Konstrukt lebt nur von temporären Impulsen. Wie weit der männliche Protagonist getrieben wurde, wird von der Tatsache dokumentiert, dass er sich vor Gericht befindet, denn es steht ein nicht benannter Toter oder möglicherweise eine Tote im Raum. Die Regie hält diese Spannung bis zum letzten Moment des Verlaufs aufrecht und bedient sich eines sehr originellen Ausschlussverfahrens, denn die potentiellen Opfer treten hintereinander als Zeugen im Gerichtssaal auf. Wer bleibt also übrig, fragt man sich, oder gibt es eine komplett andere Wendung? Das Bemerkenswerte an "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" ist der geradlinige und vollkommen klare Aufbau. Ohne Hektik oder zeitgenössisches Spektakel steuern die Hauptpersonen auf eine Katastrophe zu, bei der jeder von ihnen selbst Regie geführt hat. Obwohl Hintergründe sehr gut durchleuchtet und viele Details dokumentiert werden, kommt man als Zuschauer nicht umhin, gegenzudenken und über die rhetorische Frage zu philosophieren, ob das alles hätte sein müssen, wenn das Glück doch in greifbarer Nähe gelegen hat. Aber ganz im Stil großer französischer Beiträge, sind es vor allem Emotionen und Temperament, die den Verlauf diktieren, daher auch unmissverständlich prägen.
Die Darsteller leisten hierbei eine hervorragende Arbeit und vor allem die Hauptrollen von Jacques Perrin und Eva Renzi steuern, wie bereits erwähnt, den Löwenanteil dazu bei, dass es zu einer so bemerkenswerten Atmosphäre kommt. Als Film mit deutscher Beteiligung sind außer Heinz Spitzner und Harald Leipnitz keine weiteren Landsmänner im Szenario zu finden. Auch der Stab hinter den Kulissen wird so gut wie ausschließlich von französischer Seite dominiert, lediglich Horst Wendlandts Rialto-Film steht als Partner zu Buche. Interessant ist die Fußnote, dass Harald Leipnitz - hier genau wie Eva Renzi auch - eine ähnliche Rolle wie in "Playgirl" zum Besten gibt. Auch Heinz Spitzner interpretiert einen beinahe identischen Auftritt wie in dem Edgar-Wallace-Film "Die blaue Hand", der kurz zuvor im gleichen Produktionsjahr entstanden ist. Insgesamt werden im Rahmen männlich-weiblicher Konstellationen noch weitgehend klassische Rollenverteilungen gezeichnet, lediglich Patricia weicht diese bestehenden Gesetze offensiv auf. Alain versucht diesen Zwängen verzweifelt zu entkommen, manövriert sich jedoch gegen seinen Willen immer mehr in diese für ihn unerträglichen Strukturen hinein, weil sie trotz aller Abscheu Sicherheit geben und im Grunde genommen auch seiner Einstellung entsprechen. Offensive - Defensive, Risiko - Verstand, Glück - Schicksal; ein breites Spektrum der Gegensätzlichkeiten wird in Pierre Granier-Deferres atemberaubenden Liebes-Drama unter Berücksichtigung aller Gesetzmäßigkeiten glaubhaft vor- und dargestellt. Wenn die Luft brennt, die Konstellationen in Stücke zerfallen, wenn alles so zum greifen nah erscheint dass tatsächlich Emotionen beim Zuschauer fabriziert werden können, dann kann man nur zu einem Ergebnis kommen, nämlich dass es sich um einen Beitrag handelt, der leider zu Unrecht nicht den Bekanntheitsgrad genießt und den Respekt bekommt, den er verdient. Als Fazit wird aufgezeigt, dass das höchste Gefühle einfach einmal wieder nicht genug gewesen ist und von der Regie als immer wiederkehrende Parabel auf den Punkt gebracht wird. Nach persönlichem Ermessen handelt es sich bei diesem Film um die beeindruckendste Entdeckung der letzten zehn Jahre. Mindestens!
Ja, es gibt sie. Filme, von denen man quasi wusste, dass man immer nur auf sie gewartet hat. Pierre Granier-Deferres "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" ist ein solches Exemplar, das alle erdenklichen Komponenten vereint, die nach persönlichem Ermessen essentiell für die größten Film-Momente sind. Seinerzeit wurde diese Produktion mit dem Prädikat »wertvoll« ausgezeichnet und entstanden ist eine der vielen einfachen Geschichten, die möglicherweise nur unter französischer Flagge fabriziert werden konnten. Interessant ist die Tatsache, dass die Berliner Rialto Film an dieser Gemeinschaftsproduktion beteiligt war, agierte sie doch auch zu dieser Zeit noch immer, beziehungsweise vor allem am Edgar-Wallace-Fließband. Für deutsche, oder zumindest deutsch-beteiligte Verhältnisse, des Weiteren für diejenigen der Produktionsfirma, ist definitiv ein Beitrag entstanden, der strukturell und inszenatorisch einen hoch qualifizierten Eindruck macht. Außerdem dokumentiert er, dass solche Ausreißer möglich waren, und dass man für den heimischen Markt möglicherweise zu eintönig inszenierte. Aus diesem Grund schwingt auch heute noch eine zeitlose Eleganz und anhaltende Gültigkeit mit, die das Anschauen zu einem puren Erlebnis werden lässt. Das Thema, das offensichtlich unvergänglich ist, stellt einmal mehr die Liebe dar. So fachmännisch seziert, dass das Warten auf die befürchtete Kettenreaktion oft kaum auszuhalten ist. So immer wiederkehrend, dass man es schon fast nicht mehr hören will, aber dennoch so berauschend, dass man einfach nicht anders kann, den beteiligten Personen mit einer besonderen Faszination zu begegnen. Granier-Deferre gestaltete nach Motiven von Bertrand Poirot Delpech, dessen Buch "Der große Tunichtgut" - das hier als Vorlage diente - bereits 1958 veröffentlicht wurde. Die Regie inszeniert in der damaligen Gegenwart, sozusagen mit einem gestochen scharfen Blick zurück nach vorn, und wie gesagt ist dieser Beitrag auch heute noch voller Vitalität und lebensnaher Dramatik.
Das alles geschieht, ohne zu sentimentale Anwandlungen zu transportieren. Höchstens kann man angesichts gewisser Schlüsselmomente sagen, dass es zu ehrlich, vielleicht sogar zu pragmatisch zugeht. Aber das Thema Liebe war in unzähligen Filmen alles, von Elixier bis Randerscheinung, und bildet hier den anfänglichen Treibstoff, später dann den Zündstoff für die komplette Angelegenheit. Doch bevor auch nur eine Ahnung davon vermittelt wird, wohin Pierre Granier-Deferre den Zuseher führen will, liefert er gleich von der ersten Sekunde an auffällige Kontraste. Die Kamera schwenkt über eine malerische Landschaft, untermalt mit der Titelmelodie des französischen Chansonniers Sacha Distel. Zu "Ces mots stupides" tastet die Kamera jede Einzelheit eines brennenden Sportwagens ab, sodass diese ungewöhnliche Kombination gleich einen wegweisenden Charakter annehmen wird. Vergänglichkeit und Zerstörungswut stehen als vage Skizzen im Raum, der schwarze Rauch erzählt das Ende einer vermutlich tragischen Geschichte, bis man sich unmittelbar danach in einem kühlen, sterilen Gerichtssaal wiederfindet, in dem sich der junge Protagonist dieses Szenarios auf der Anklagebank zu verantworten hat. Die Verhöre und die Anschuldigungen nehmen unbehagliche Formen an, vor allem die zynischen Untertöne der Staatsanwaltschaft irritieren nachhaltig. »Die heutige Jugend hat alles, was sie sich wünscht, und deshalb leidet sie«, ist nur eine der Spitzen, die in Richtung Alain abgefeuert werden, der merklich Probleme hat, sich mental zusammenzunehmen. Seine fahrigen Antworten dokumentieren, dass er die Lage, in der er sich nun befindet, noch gar nicht so recht begriffen zu haben scheint. Die Regie setzt auf Intervalle, die aus der gegenwärtigen Situation und ausgiebigen Rückblenden bestehen, die das Puzzle zusammenfügen werden. Dabei gelingt es vorbildlich, die Spannung und das fehlende Fragment bis zur letzten Sekunde vorzuenthalten, sodass man sich auf einen hoch interessanten Aufbau freuen darf.
Französisches Flair entfaltet sich, oder vielleicht ist der Kern der Sache besser getroffen, es als Lebensgefühl und dazu gehörige Einstellungen zu bezeichnen. Das Hauptaugenmerk wird auf die heutige (also damalige) Jugend gelegt, jedoch nicht ohne einen zusätzlich kritischen Blick auf die Vorgänger-Generation zu werfen. Weswegen alles so ist, wie es ist, wird nicht geklärt, beziehungsweise nicht tiefenpsychologisch aufgeschlüsselt. Der Zuschauer erhält daher genügend Raum, um sich mit seinen eigenen Gedanken zu beschäftigen und dem hier angebotenen Thema, der - wie man so schön sagt - eigentlich schönsten Sache der Welt. Ein Exkurs für die Liebe also? Ja, in diesem Fall darf es tatsächlich nicht anders sein. Zunächst kann einmal betont werden, wie unheimlich zielsicher Granier-Deferre einen Transfer für den Interessenten herstellt, der sich in vielen Situationen wiederfinden wird, ohne dabei die Präzision zur Hilfe nehmen zu müssen. Es geschieht en passant, gleicht quasi vergessenen Bildern, Bruchstücken, die plötzlich wieder lebhaft an einem vorbeirauschen. Wo also findet man sich selbst? Beispielsweise in Situationen des Glücks, der Impulsivität, des Zweifelns und der Suche. Man erinnert sich möglicherweise wie aus dem Nichts an Dinge, die man vielleicht besser nie gesagt oder getan hätte, oder solche, die man leider verschwiegen hat. Es ist eigentlich kaum, oder nur schwer zu beschreiben, was in "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" im filmübergreifenden Sinn geschieht. Gerade deswegen ist es beinahe nicht möglich, unberührt zurückzubleiben. Sicherlich bietet der Verlauf überdies einige andere Komponenten, die einen letztlich ansprechen werden, doch unterm Strich bleibt das große Drama rund um diese drei Worte, die vielleicht gerade im Film sinnbildlich für Überdruss und Verlogenheit stehen. Aufgrund der so simpel herausgearbeiteten Berührungspunkte, geschieht dies hier glücklicherweise nicht. »Wenn man lieben will, dann muss man dafür leiden können!« - die Protagonisten der Geschichte liefern in dieser Beziehung eine Expertise ab.
In diesem Zusammenhang ist natürlich die strahlende Schönheit und die unverwechselbare Ausstrahlung einer Eva Renzi zu nennen, die in jeder erdenklichen Hinsicht instrumentalisiert wird. Eine notwendige Grundvoraussetzung für das Funktionieren dieser intelligenten Konstruktion. Erneut sieht man die Berlinerin nicht nur in ihrem Element, sondern vor allem als personifizierten Prototypen der Frau. Sie vereint und stellt gleichzeitig alles dar, was das Thema Vereinnahmung herzugeben weiß. Im Grunde genommen wird man euphorischer Zeuge einer Neuauflage ihrer Rolle aus dem ein Jahr zuvor entstandenen Film "Playgirl", da es etliche Parallelen gibt. Erstaunlicherweise darf aber auch gesagt werden, dass sie ihre eigene Leistung aus diesem ultimativen Renzi-Film nicht nur aufsehenerregend verfeinert, sondern ihn darüber hinaus spektakulär in die Tasche steckt. Zum ersten Aufeinandertreffen mit dem Fotomodell Pat kommt es in einer gut besuchten Diskothek. Sie tanzt auf der Spitze des Vulkans, für dessen Eruption sie verantwortlich scheint, ist in tiefrotes Licht getaucht, was die ohnehin attraktive Frau nur noch mehr zum Epizentrum der Versuchung werden lässt. Die Augen des männlichen Protagonisten Alain verschmelzen in dieser Strecke von verführerischen Bildern mit denen eines jeden Zuschauers. Wie gebannt schaut man auf dieses makellose Geschöpf, für das man sofort gerne 100 neue Komplimente erfinden möchte. Um sie herum entsteht eine Weite, da sie alles andere zur Nebensächlichkeit abqualifiziert. Ganz resolut und natürlich. Pat ist sich ihrer Wirkung bewusst, denn sie ist die Blicke, die Anfragen und das kleine Rampenlicht gewöhnt. Ein immerwährendes Spiel verlangt seine hohen Einsätze, denn trotz empfundener Leichtfertigkeit und einer so auffallend unkomplizierten Attitüde, scheint der Gewinn prinzipiell in weiter Ferne zu sein. Zumindest für die meisten, da eine solche Frau das Selbstbewusstsein und Urteilsvermögen eines jeden Mannes naturgemäß erschüttern kann. Was bleibt ist eine Performance, die zu Superlativen animiert.
Die interessante Frage stellt sich unmittelbar im Anschluss dieser Show, nämlich wie es Alain überhaupt schaffen kann, in ihren Radius zu gelangen. Überraschenderweise funktioniert es - wer hätte das gedacht - ganz einfach. Germain, ein guter Freund von Alain, fragt ganz direkt bei ihr an, ob Interesse besteht. Ohne Zwänge und konventionelle Barrikaden lässt sich der mittlerweile vom Tanzen erschöpfte Star des Clubs von ihm nach Hause chauffieren, und im Wagen kommt es zu schnellen Charakterisierungen der beiden Hauptpersonen. Patricia entschärft die sprachlichen Klippen und unterschwelligen Zwänge mit ungenierter Direktheit, Alain hingegen imponiert aufgrund seiner Unsicherheit, die er zu übertünchen versucht, deswegen ziemlich redselig wird. Ist das Fundament für eine Kettenreaktion also hiermit bereits gelegt worden? Der frühe Verlauf schmückt sich mit trügerischer Diskretion und behält eine nun abweichende, reibungslose Strategie im Auge, zumindest bis die drei berüchtigtsten Worte der Welt endlich gefallen sind. Alain hat sich klassisch blenden, vielleicht sogar erlegen lassen, vergisst alles und jeden um sich herum, auch seine hübsche Freundin Emmanuelle. Für diese Rolle taucht ein weiteres der schönsten Gesichter des französischen Kinos auf, nämlich jenes der begehrenswert wirkenden Danièle Gaubert. Im Gegensatz zum neuen Objekt der Begierde, steht sie für verkappte Moralvorstellungen und fühlt sich in der Defensive wohl, möchte darüber hinaus die Einzige für ihn sein. In einer Szene vergleicht der junge Mann sie mit seiner eigenen Mutter, übrigens ausgezeichnet dargestellt von der bekannten französischen Interpretin Yvonne Clech, die ihn bevormundet, dabei immer noch gerne wie ein Kind behandelt, wahlweise sogar wie ihren längst verstorbenen Ehemann. In vielen solcher Einzelheiten begründet sich Alains Angriffslust, oppositionelles Verhalten, aber auch die Resignation, und er selbst bringt sein korsettartiges Dilemma vielleicht sehr treffend mit folgendem Satz auf den Punkt: »Gutherzigkeit macht einen verrückt!«
Man kann eben doch nicht heraus aus seiner Haut und ist viel mehr von Zwängen abhängig, als einem lieb ist. Und genau dies spiegelt sich auch in der Beziehung zwischen Patricia und Alain wider. Doch zuvor sorgt der Regisseur für viele herrliche Momente der Zweisamkeit, die häufig mit der Titelmelodie von Sacha Distel unterlegt sind, sodass nicht nur ein beneidenswertes Flair, sondern sogar Edel-Romantik der sowohl klassischen, aber auch progressiven Sorte aufkommen will. Allerdings ist diese nur dazu gemacht, um wenig später in Stücke zu zerfallen, denn die Konstellation scheitert am gegenseitigen Widerstand und vor allem an einem unterschiedlichen Weltbild. Die offensichtliche Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit kann keine sinnvolle Allianz mit der Ernsthaftigkeit eingehen, und das Konstrukt lebt nur von temporären Impulsen. Wie weit der männliche Protagonist getrieben wurde, wird von der Tatsache dokumentiert, dass er sich vor Gericht befindet, denn es steht ein nicht benannter Toter oder möglicherweise eine Tote im Raum. Die Regie hält diese Spannung bis zum letzten Moment des Verlaufs aufrecht und bedient sich eines sehr originellen Ausschlussverfahrens, denn die potentiellen Opfer treten hintereinander als Zeugen im Gerichtssaal auf. Wer bleibt also übrig, fragt man sich, oder gibt es eine komplett andere Wendung? Das Bemerkenswerte an "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" ist der geradlinige und vollkommen klare Aufbau. Ohne Hektik oder zeitgenössisches Spektakel steuern die Hauptpersonen auf eine Katastrophe zu, bei der jeder von ihnen selbst Regie geführt hat. Obwohl Hintergründe sehr gut durchleuchtet und viele Details dokumentiert werden, kommt man als Zuschauer nicht umhin, gegenzudenken und über die rhetorische Frage zu philosophieren, ob das alles hätte sein müssen, wenn das Glück doch in greifbarer Nähe gelegen hat. Aber ganz im Stil großer französischer Beiträge, sind es vor allem Emotionen und Temperament, die den Verlauf diktieren, daher auch unmissverständlich prägen.
Die Darsteller leisten hierbei eine hervorragende Arbeit und vor allem die Hauptrollen von Jacques Perrin und Eva Renzi steuern, wie bereits erwähnt, den Löwenanteil dazu bei, dass es zu einer so bemerkenswerten Atmosphäre kommt. Als Film mit deutscher Beteiligung sind außer Heinz Spitzner und Harald Leipnitz keine weiteren Landsmänner im Szenario zu finden. Auch der Stab hinter den Kulissen wird so gut wie ausschließlich von französischer Seite dominiert, lediglich Horst Wendlandts Rialto-Film steht als Partner zu Buche. Interessant ist die Fußnote, dass Harald Leipnitz - hier genau wie Eva Renzi auch - eine ähnliche Rolle wie in "Playgirl" zum Besten gibt. Auch Heinz Spitzner interpretiert einen beinahe identischen Auftritt wie in dem Edgar-Wallace-Film "Die blaue Hand", der kurz zuvor im gleichen Produktionsjahr entstanden ist. Insgesamt werden im Rahmen männlich-weiblicher Konstellationen noch weitgehend klassische Rollenverteilungen gezeichnet, lediglich Patricia weicht diese bestehenden Gesetze offensiv auf. Alain versucht diesen Zwängen verzweifelt zu entkommen, manövriert sich jedoch gegen seinen Willen immer mehr in diese für ihn unerträglichen Strukturen hinein, weil sie trotz aller Abscheu Sicherheit geben und im Grunde genommen auch seiner Einstellung entsprechen. Offensive - Defensive, Risiko - Verstand, Glück - Schicksal; ein breites Spektrum der Gegensätzlichkeiten wird in Pierre Granier-Deferres atemberaubenden Liebes-Drama unter Berücksichtigung aller Gesetzmäßigkeiten glaubhaft vor- und dargestellt. Wenn die Luft brennt, die Konstellationen in Stücke zerfallen, wenn alles so zum greifen nah erscheint dass tatsächlich Emotionen beim Zuschauer fabriziert werden können, dann kann man nur zu einem Ergebnis kommen, nämlich dass es sich um einen Beitrag handelt, der leider zu Unrecht nicht den Bekanntheitsgrad genießt und den Respekt bekommt, den er verdient. Als Fazit wird aufgezeigt, dass das höchste Gefühle einfach einmal wieder nicht genug gewesen ist und von der Regie als immer wiederkehrende Parabel auf den Punkt gebracht wird. Nach persönlichem Ermessen handelt es sich bei diesem Film um die beeindruckendste Entdeckung der letzten zehn Jahre. Mindestens!