DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI - Pierre Granier-Deferre

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI - Pierre Granier-Deferre

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Eva Renzi

DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI

● DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI / LE GRAND DADAIS (D|F|1967)
mit Jacques Perrin, Danièle Gaubert, Yvonne Clech, Yves Rénier, André Falcon, Max Vialle, Heinz Spitzner und Harald Leipnitz
eine Produktion der Rialto Film Preben Philipsen | Les Films de la Licorne | CICC | im Constantin Filmverleih
nach dem gleichnamigen Roman von Bertrand Poirot-Delpech
Sacha Distel singt "Ces mots stupides"
ein Film von Pierre Granier-Deferre


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»Du kannst nicht lieben, ohne unglücklich zu sein!«

Der 20-jährige Alain (Jacques Perrin) hat genug von seinem bisherigen Leben. Da er noch gemeinsam mit seiner Mutter (Yvonne Clech) lebt, die ihn bevormundet und stets weiß, was am besten für ihn ist, außerdem permanent von seiner Freundin Emmanuelle (Danièle Gaubert) abgewiesen wird, möchte er hinaus aus seinem bürgerlichen Käfig und alles scheint sich zu ändern, als er das deutsche Fotomodell Patricia (Eva Renzi) kennenlernt. Sie zeigt ihm ganz selbstverständlich, wie das Leben sein kann und offensichtlich ist es mit ihr genauso, wie er es sich vorgestellt hat. Alain verliebt sich in die schöne Frau, doch schnell beginnt das Dasein auf der Überholspur mehrere Hürden aufzuweisen. Um Patricia etwas bieten zu können, erpresst er einen ihrer temporär abgelegten Liebhaber, den reichen Makler Poloni (Harald Leipnitz). Noch ahnt Alain nicht, dass dies nur der Anfang einer Reihe von Fehlentscheidungen sein wird, die ihn geradezu in eine Katastrophe manövrieren...

Ja, es gibt sie. Filme, von denen man quasi wusste, dass man immer nur auf sie gewartet hat. Pierre Granier-Deferres "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" ist ein solches Exemplar, das alle erdenklichen Komponenten vereint, die nach persönlichem Ermessen essentiell für die größten Film-Momente sind. Seinerzeit wurde diese Produktion mit dem Prädikat »wertvoll« ausgezeichnet und entstanden ist eine der vielen einfachen Geschichten, die möglicherweise nur unter französischer Flagge fabriziert werden konnten. Interessant ist die Tatsache, dass die Berliner Rialto Film an dieser Gemeinschaftsproduktion beteiligt war, agierte sie doch auch zu dieser Zeit noch immer, beziehungsweise vor allem am Edgar-Wallace-Fließband. Für deutsche, oder zumindest deutsch-beteiligte Verhältnisse, des Weiteren für diejenigen der Produktionsfirma, ist definitiv ein Beitrag entstanden, der strukturell und inszenatorisch einen hoch qualifizierten Eindruck macht. Außerdem dokumentiert er, dass solche Ausreißer möglich waren, und dass man für den heimischen Markt möglicherweise zu eintönig inszenierte. Aus diesem Grund schwingt auch heute noch eine zeitlose Eleganz und anhaltende Gültigkeit mit, die das Anschauen zu einem puren Erlebnis werden lässt. Das Thema, das offensichtlich unvergänglich ist, stellt einmal mehr die Liebe dar. So fachmännisch seziert, dass das Warten auf die befürchtete Kettenreaktion oft kaum auszuhalten ist. So immer wiederkehrend, dass man es schon fast nicht mehr hören will, aber dennoch so berauschend, dass man einfach nicht anders kann, den beteiligten Personen mit einer besonderen Faszination zu begegnen. Granier-Deferre gestaltete nach Motiven von Bertrand Poirot Delpech, dessen Buch "Der große Tunichtgut" - das hier als Vorlage diente - bereits 1958 veröffentlicht wurde. Die Regie inszeniert in der damaligen Gegenwart, sozusagen mit einem gestochen scharfen Blick zurück nach vorn, und wie gesagt ist dieser Beitrag auch heute noch voller Vitalität und lebensnaher Dramatik.

Das alles geschieht, ohne zu sentimentale Anwandlungen zu transportieren. Höchstens kann man angesichts gewisser Schlüsselmomente sagen, dass es zu ehrlich, vielleicht sogar zu pragmatisch zugeht. Aber das Thema Liebe war in unzähligen Filmen alles, von Elixier bis Randerscheinung, und bildet hier den anfänglichen Treibstoff, später dann den Zündstoff für die komplette Angelegenheit. Doch bevor auch nur eine Ahnung davon vermittelt wird, wohin Pierre Granier-Deferre den Zuseher führen will, liefert er gleich von der ersten Sekunde an auffällige Kontraste. Die Kamera schwenkt über eine malerische Landschaft, untermalt mit der Titelmelodie des französischen Chansonniers Sacha Distel. Zu "Ces mots stupides" tastet die Kamera jede Einzelheit eines brennenden Sportwagens ab, sodass diese ungewöhnliche Kombination gleich einen wegweisenden Charakter annehmen wird. Vergänglichkeit und Zerstörungswut stehen als vage Skizzen im Raum, der schwarze Rauch erzählt das Ende einer vermutlich tragischen Geschichte, bis man sich unmittelbar danach in einem kühlen, sterilen Gerichtssaal wiederfindet, in dem sich der junge Protagonist dieses Szenarios auf der Anklagebank zu verantworten hat. Die Verhöre und die Anschuldigungen nehmen unbehagliche Formen an, vor allem die zynischen Untertöne der Staatsanwaltschaft irritieren nachhaltig. »Die heutige Jugend hat alles, was sie sich wünscht, und deshalb leidet sie«, ist nur eine der Spitzen, die in Richtung Alain abgefeuert werden, der merklich Probleme hat, sich mental zusammenzunehmen. Seine fahrigen Antworten dokumentieren, dass er die Lage, in der er sich nun befindet, noch gar nicht so recht begriffen zu haben scheint. Die Regie setzt auf Intervalle, die aus der gegenwärtigen Situation und ausgiebigen Rückblenden bestehen, die das Puzzle zusammenfügen werden. Dabei gelingt es vorbildlich, die Spannung und das fehlende Fragment bis zur letzten Sekunde vorzuenthalten, sodass man sich auf einen hoch interessanten Aufbau freuen darf.

Französisches Flair entfaltet sich, oder vielleicht ist der Kern der Sache besser getroffen, es als Lebensgefühl und dazu gehörige Einstellungen zu bezeichnen. Das Hauptaugenmerk wird auf die heutige (also damalige) Jugend gelegt, jedoch nicht ohne einen zusätzlich kritischen Blick auf die Vorgänger-Generation zu werfen. Weswegen alles so ist, wie es ist, wird nicht geklärt, beziehungsweise nicht tiefenpsychologisch aufgeschlüsselt. Der Zuschauer erhält daher genügend Raum, um sich mit seinen eigenen Gedanken zu beschäftigen und dem hier angebotenen Thema, der - wie man so schön sagt - eigentlich schönsten Sache der Welt. Ein Exkurs für die Liebe also? Ja, in diesem Fall darf es tatsächlich nicht anders sein. Zunächst kann einmal betont werden, wie unheimlich zielsicher Granier-Deferre einen Transfer für den Interessenten herstellt, der sich in vielen Situationen wiederfinden wird, ohne dabei die Präzision zur Hilfe nehmen zu müssen. Es geschieht en passant, gleicht quasi vergessenen Bildern, Bruchstücken, die plötzlich wieder lebhaft an einem vorbeirauschen. Wo also findet man sich selbst? Beispielsweise in Situationen des Glücks, der Impulsivität, des Zweifelns und der Suche. Man erinnert sich möglicherweise wie aus dem Nichts an Dinge, die man vielleicht besser nie gesagt oder getan hätte, oder solche, die man leider verschwiegen hat. Es ist eigentlich kaum, oder nur schwer zu beschreiben, was in "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" im filmübergreifenden Sinn geschieht. Gerade deswegen ist es beinahe nicht möglich, unberührt zurückzubleiben. Sicherlich bietet der Verlauf überdies einige andere Komponenten, die einen letztlich ansprechen werden, doch unterm Strich bleibt das große Drama rund um diese drei Worte, die vielleicht gerade im Film sinnbildlich für Überdruss und Verlogenheit stehen. Aufgrund der so simpel herausgearbeiteten Berührungspunkte, geschieht dies hier glücklicherweise nicht. »Wenn man lieben will, dann muss man dafür leiden können!« - die Protagonisten der Geschichte liefern in dieser Beziehung eine Expertise ab.

In diesem Zusammenhang ist natürlich die strahlende Schönheit und die unverwechselbare Ausstrahlung einer Eva Renzi zu nennen, die in jeder erdenklichen Hinsicht instrumentalisiert wird. Eine notwendige Grundvoraussetzung für das Funktionieren dieser intelligenten Konstruktion. Erneut sieht man die Berlinerin nicht nur in ihrem Element, sondern vor allem als personifizierten Prototypen der Frau. Sie vereint und stellt gleichzeitig alles dar, was das Thema Vereinnahmung herzugeben weiß. Im Grunde genommen wird man euphorischer Zeuge einer Neuauflage ihrer Rolle aus dem ein Jahr zuvor entstandenen Film "Playgirl", da es etliche Parallelen gibt. Erstaunlicherweise darf aber auch gesagt werden, dass sie ihre eigene Leistung aus diesem ultimativen Renzi-Film nicht nur aufsehenerregend verfeinert, sondern ihn darüber hinaus spektakulär in die Tasche steckt. Zum ersten Aufeinandertreffen mit dem Fotomodell Pat kommt es in einer gut besuchten Diskothek. Sie tanzt auf der Spitze des Vulkans, für dessen Eruption sie verantwortlich scheint, ist in tiefrotes Licht getaucht, was die ohnehin attraktive Frau nur noch mehr zum Epizentrum der Versuchung werden lässt. Die Augen des männlichen Protagonisten Alain verschmelzen in dieser Strecke von verführerischen Bildern mit denen eines jeden Zuschauers. Wie gebannt schaut man auf dieses makellose Geschöpf, für das man sofort gerne 100 neue Komplimente erfinden möchte. Um sie herum entsteht eine Weite, da sie alles andere zur Nebensächlichkeit abqualifiziert. Ganz resolut und natürlich. Pat ist sich ihrer Wirkung bewusst, denn sie ist die Blicke, die Anfragen und das kleine Rampenlicht gewöhnt. Ein immerwährendes Spiel verlangt seine hohen Einsätze, denn trotz empfundener Leichtfertigkeit und einer so auffallend unkomplizierten Attitüde, scheint der Gewinn prinzipiell in weiter Ferne zu sein. Zumindest für die meisten, da eine solche Frau das Selbstbewusstsein und Urteilsvermögen eines jeden Mannes naturgemäß erschüttern kann. Was bleibt ist eine Performance, die zu Superlativen animiert.

Die interessante Frage stellt sich unmittelbar im Anschluss dieser Show, nämlich wie es Alain überhaupt schaffen kann, in ihren Radius zu gelangen. Überraschenderweise funktioniert es - wer hätte das gedacht - ganz einfach. Germain, ein guter Freund von Alain, fragt ganz direkt bei ihr an, ob Interesse besteht. Ohne Zwänge und konventionelle Barrikaden lässt sich der mittlerweile vom Tanzen erschöpfte Star des Clubs von ihm nach Hause chauffieren, und im Wagen kommt es zu schnellen Charakterisierungen der beiden Hauptpersonen. Patricia entschärft die sprachlichen Klippen und unterschwelligen Zwänge mit ungenierter Direktheit, Alain hingegen imponiert aufgrund seiner Unsicherheit, die er zu übertünchen versucht, deswegen ziemlich redselig wird. Ist das Fundament für eine Kettenreaktion also hiermit bereits gelegt worden? Der frühe Verlauf schmückt sich mit trügerischer Diskretion und behält eine nun abweichende, reibungslose Strategie im Auge, zumindest bis die drei berüchtigtsten Worte der Welt endlich gefallen sind. Alain hat sich klassisch blenden, vielleicht sogar erlegen lassen, vergisst alles und jeden um sich herum, auch seine hübsche Freundin Emmanuelle. Für diese Rolle taucht ein weiteres der schönsten Gesichter des französischen Kinos auf, nämlich jenes der begehrenswert wirkenden Danièle Gaubert. Im Gegensatz zum neuen Objekt der Begierde, steht sie für verkappte Moralvorstellungen und fühlt sich in der Defensive wohl, möchte darüber hinaus die Einzige für ihn sein. In einer Szene vergleicht der junge Mann sie mit seiner eigenen Mutter, übrigens ausgezeichnet dargestellt von der bekannten französischen Interpretin Yvonne Clech, die ihn bevormundet, dabei immer noch gerne wie ein Kind behandelt, wahlweise sogar wie ihren längst verstorbenen Ehemann. In vielen solcher Einzelheiten begründet sich Alains Angriffslust, oppositionelles Verhalten, aber auch die Resignation, und er selbst bringt sein korsettartiges Dilemma vielleicht sehr treffend mit folgendem Satz auf den Punkt: »Gutherzigkeit macht einen verrückt!«

Man kann eben doch nicht heraus aus seiner Haut und ist viel mehr von Zwängen abhängig, als einem lieb ist. Und genau dies spiegelt sich auch in der Beziehung zwischen Patricia und Alain wider. Doch zuvor sorgt der Regisseur für viele herrliche Momente der Zweisamkeit, die häufig mit der Titelmelodie von Sacha Distel unterlegt sind, sodass nicht nur ein beneidenswertes Flair, sondern sogar Edel-Romantik der sowohl klassischen, aber auch progressiven Sorte aufkommen will. Allerdings ist diese nur dazu gemacht, um wenig später in Stücke zu zerfallen, denn die Konstellation scheitert am gegenseitigen Widerstand und vor allem an einem unterschiedlichen Weltbild. Die offensichtliche Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit kann keine sinnvolle Allianz mit der Ernsthaftigkeit eingehen, und das Konstrukt lebt nur von temporären Impulsen. Wie weit der männliche Protagonist getrieben wurde, wird von der Tatsache dokumentiert, dass er sich vor Gericht befindet, denn es steht ein nicht benannter Toter oder möglicherweise eine Tote im Raum. Die Regie hält diese Spannung bis zum letzten Moment des Verlaufs aufrecht und bedient sich eines sehr originellen Ausschlussverfahrens, denn die potentiellen Opfer treten hintereinander als Zeugen im Gerichtssaal auf. Wer bleibt also übrig, fragt man sich, oder gibt es eine komplett andere Wendung? Das Bemerkenswerte an "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" ist der geradlinige und vollkommen klare Aufbau. Ohne Hektik oder zeitgenössisches Spektakel steuern die Hauptpersonen auf eine Katastrophe zu, bei der jeder von ihnen selbst Regie geführt hat. Obwohl Hintergründe sehr gut durchleuchtet und viele Details dokumentiert werden, kommt man als Zuschauer nicht umhin, gegenzudenken und über die rhetorische Frage zu philosophieren, ob das alles hätte sein müssen, wenn das Glück doch in greifbarer Nähe gelegen hat. Aber ganz im Stil großer französischer Beiträge, sind es vor allem Emotionen und Temperament, die den Verlauf diktieren, daher auch unmissverständlich prägen.

Die Darsteller leisten hierbei eine hervorragende Arbeit und vor allem die Hauptrollen von Jacques Perrin und Eva Renzi steuern, wie bereits erwähnt, den Löwenanteil dazu bei, dass es zu einer so bemerkenswerten Atmosphäre kommt. Als Film mit deutscher Beteiligung sind außer Heinz Spitzner und Harald Leipnitz keine weiteren Landsmänner im Szenario zu finden. Auch der Stab hinter den Kulissen wird so gut wie ausschließlich von französischer Seite dominiert, lediglich Horst Wendlandts Rialto-Film steht als Partner zu Buche. Interessant ist die Fußnote, dass Harald Leipnitz - hier genau wie Eva Renzi auch - eine ähnliche Rolle wie in "Playgirl" zum Besten gibt. Auch Heinz Spitzner interpretiert einen beinahe identischen Auftritt wie in dem Edgar-Wallace-Film "Die blaue Hand", der kurz zuvor im gleichen Produktionsjahr entstanden ist. Insgesamt werden im Rahmen männlich-weiblicher Konstellationen noch weitgehend klassische Rollenverteilungen gezeichnet, lediglich Patricia weicht diese bestehenden Gesetze offensiv auf. Alain versucht diesen Zwängen verzweifelt zu entkommen, manövriert sich jedoch gegen seinen Willen immer mehr in diese für ihn unerträglichen Strukturen hinein, weil sie trotz aller Abscheu Sicherheit geben und im Grunde genommen auch seiner Einstellung entsprechen. Offensive - Defensive, Risiko - Verstand, Glück - Schicksal; ein breites Spektrum der Gegensätzlichkeiten wird in Pierre Granier-Deferres atemberaubenden Liebes-Drama unter Berücksichtigung aller Gesetzmäßigkeiten glaubhaft vor- und dargestellt. Wenn die Luft brennt, die Konstellationen in Stücke zerfallen, wenn alles so zum greifen nah erscheint dass tatsächlich Emotionen beim Zuschauer fabriziert werden können, dann kann man nur zu einem Ergebnis kommen, nämlich dass es sich um einen Beitrag handelt, der leider zu Unrecht nicht den Bekanntheitsgrad genießt und den Respekt bekommt, den er verdient. Als Fazit wird aufgezeigt, dass das höchste Gefühle einfach einmal wieder nicht genug gewesen ist und von der Regie als immer wiederkehrende Parabel auf den Punkt gebracht wird. Nach persönlichem Ermessen handelt es sich bei diesem Film um die beeindruckendste Entdeckung der letzten zehn Jahre. Mindestens!

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Richie Pistilli
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Re: DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI - Pierre Granier-Deferre

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"Es lebe der Körper in Ermangelung der Seele"




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Sid Vicious
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Re: DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI - Pierre Granier-Deferre

Beitrag von Sid Vicious »

Habe ich schon mal gesagt, dass ich DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI toll finde? Dann sage ich es jetzt. Der Film ist toll! Er bietet großartige Bildkompositionen und besitzt eine sehr gute Erzählweise. Das habe ich auch mal beim Fratzenbuch mitgeteilt, aber da hört eh keiner auf mich.
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Prisma
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Re: DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI - Pierre Granier-Deferre

Beitrag von Prisma »

Sid Vicious hat geschrieben:
Fr., 06.11.2020 20:16
Habe ich schon mal gesagt, dass ich DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI toll finde? [...] Das habe ich auch mal beim Fratzenbuch mitgeteilt, aber da hört eh keiner auf mich.

Hier ist das anders, und wenn ich den Film noch nicht kennen würde, dann würde ich bestimmt auf Dich hören! :D

An "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" bin ich seinerzeit mit einer großen Erwartungshaltung heran gegangen und wurde nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil, denn es handelte sich um eine große Überraschung, ja Offenbarung, sowohl thematisch als auch inszenatorisch. Natürlich war Eva Renzi der große Lockvogel, an der man sich sich hier einfach nicht satt sehen kann. Doch das brauche ich eigentlich nicht extra zu erwähnen, denn der Film liefert viel mehr. Auch auch die Tatsache, dass es sich um eine Rialto-Co-Produktion handelt, macht die Angelegenheit für einen ollen Wallace-Crack wie mich noch interessanter. Die Filmografie der Rialto Film war ja ab 1959 über zehn Jahre lang von Wallace beherrscht, aber die Produktionsfirma hat auch in anderen Bereichen sehr gute bis extravagante Beiträge abliefern können, die oft leider ein stiefmütterliches Dasein fristen. Granier-Deferres Beitrag wünsche ich einfach nur, dass ihm eines Tages die Veröffentlichung zuteil wird, die er verdient.

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Prisma
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Re: DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI - Pierre Granier-Deferre

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● EVA RENZI als PATRICIA in
● DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI (D|F|1967)



In "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" kann Eva Renzi in ihrem erst dritten Kinofilm bestaunt werden, und erneut ist ihre auffällig strahlende Schönheit und unverwechselbare Ausstrahlung zu nennen, die in jeder erdenklichen Hinsicht instrumentalisiert wird. Eine notwendige Grundvoraussetzung für das Funktionieren dieser intelligenten Konstruktion. Wieder sieht man die Berlinerin nicht nur in ihrem Element, sondern vor allem als personifizierten Prototypen der Frau. Sie stellt alles en detail dar, was das Thema Vereinnahmung herzugeben weiß. Im Grunde genommen wird man euphorischer Zeuge einer Neuauflage ihrer Rolle aus dem ein Jahr zuvor entstandenen Film "Playgirl", da sich etliche Parallelen zeigen. Erstaunlicherweise darf aber auch gesagt werden, dass sie ihre eigene Leistung aus diesem ultimativen Renzi-Film nicht nur Aufsehen erregend verfeinert, sondern ihn darüber hinaus spektakulär in die Tasche steckt. Zum ersten Aufeinandertreffen mit dem Fotomodell Pat kommt es in einer gut besuchten Diskothek. Sie tanzt auf der Spitze eines Vulkans, ist in tiefrotes Licht getaucht, was die ohnehin attraktive Frau nur noch mehr zum Epizentrum der Versuchung werden lässt. Die Augen des männlichen Protagonisten Alain verschmelzen in dieser Strecke verführerischer Bilder mit denen eines jeden Zuschauers. Wie gebannt schaut man auf dieses makellose Geschöpf, für das man sofort gerne 100 neue Komplimente erfinden möchte. Um sie herum entsteht eine Weite, da sie alles andere zur Nebensächlichkeit abqualifiziert, ganz resolut und selbstverständlich. Pat ist sich ihrer Wirkung bewusst, denn sie ist die Blicke, die Anfragen und das Rampenlicht gewöhnt. Ein immerwährendes Spiel verlangt seine hohen Einsätze, denn trotz empfundener Leichtfertigkeit und einer so auffallend unkomplizierten Attitüde, scheint der Gewinn prinzipiell in weiter Ferne zu sein. Zumindest für die meisten, da eine solche Frau das Selbstbewusstsein und Urteilsvermögen eines jeden Mannes naturgemäß erschüttern kann. Was bleibt, ist eine Performance, die Superlativen gleich kommt.

Oft konnte insbesondere bei Schauspielerinnen gesagt werden, das sie ihren Zenit mit einer ganz bestimmten Rolle überschritten hatten. Das gleiche kann im Fall Eva Renzi sicherlich auch gesagt werden, doch es ist der Zeitpunkt, der dabei eine ungewöhnliche, aber entscheidende Rolle spielt. Meistens lokalisiert an späteren Karriere-Zeitpunkten, lässt sich bei Eva Renzi sagen, dass es sich bereits zu Beginn ihres Schaffens abspielte, wofür Rollen wie die aus "Playgirl" und "Die Zeit der Kirschen ist vorbei" verantwortlich sind. Nach Pierre Granier-Deferres Film schaut man daher beinahe ungläubig auf eine Performance, die ohne jeden Zweifel als Ausnahme-Erscheinung klassifiziert werden darf. Recht herkömmliche Voraussetzungen umgeben diesen Auftritt, denn dem Empfinden nach hat man Frauen jener Einstellung und gleichen Agierens schon dutzendfach gesehen. Was macht diese Rolle aber im Endeffekt so außergewöhnlich? Es ist die alles durchdringende Aura, die kein Drehbuch erfinden kann. Zusätzlich ist es die betörende Ausstrahlung, die kein Regisseur kreieren kann, und in diesem Zusammenhang ist es selbstverständlich auch die auffällige Schönheit, die es zwar so oft gegeben hat, aber hier dennoch unter dem Nimbus eines Sonderfalls strahlt. Die ersten Szenen mit Eva Renzi sind einfach nur als atemberaubend zu bezeichnen und man nimmt sie mit vollem Genuss wahr. Eigenartigerweise ist gleichzeitig nicht um den immer wiederkehrenden Gedanken herumzukommen, was eigentlich passiert sein muss, dass diese Schauspielerin bei derartigen Voraussetzungen nicht zu einem der größten internationalen Stars aufgestiegen ist - natürlich auf mehrere Jahrzehnte gerechnet, was ihre eigene Aussage - entstanden während der Dreharbeiten zu diesem Film - untermauert: »Ich glaube an mich und daran, dass ich es schaffe. Ich will ein Star werden, der so berühmt ist, dass er sich seine Rollen aussuchen kann.« Eva Renzi wirkt nicht nur generell, sondern vor allem in dieser herrlichen Produktion wie ein Phänomen.

»Sie ist schon äußerlich ein ganz moderner, völlig internationaler Typ. Und da sie obendrein noch begabt ist, wird sie sehr gut ankommen!« So lautet die Einschätzung von Michel Cousin, des französischen Produzenten von "Die Zeit der Kirschen ist vorbei", die beinahe schon zu nüchtern klingt, um das zu beschreiben, was sich hier von Anfang bis Ende abspielt. Vielleicht könnte man von einer hypnotisierenden Performance sprechen, wenn man Pat auf der Tanzfläche sieht und sie alles um sich herum zu vergessen scheint. Die Vorstellung dieser Figur geschieht also nicht nur ganz klassisch, sondern in erster Linie schnell und präzise durch sie selbst, wenn sie dabei zu beobachten ist, wie sie sich mit Aktivitäten beschäftigt, die offensichtlich ihr Elixier darstellen. Vor einem Spiegel, der nebenbei erwähnt ihr ständiger Begleiter zu sein scheint, mustert sie sich kritisch aber auch vollkommen zufrieden, bearbeitet sich beispielsweise mit einer Wimpernzange, zupft permanent hier und da an sich herum, stellt rhetorische Fragen über ihr makelloses Aussehen, und trägt ihre ausgeprägte Eitelkeit ganz offen zur Schau; lässt es sich auch nicht nehmen ganz ungeniert mit ihrer Oberflächlichkeit zu kokettieren. So gesehen spielt die junge, lebenshungrige Frau mit vollkommen offenen Karten und wird sich ihre Hände, die - wie sie hier selbst erwähnt - doch immer so kalt seien, in Unschuld waschen. Pat steckt voller Impulsivität und Temperament. An ihrer Seite ist es schwer, diesem vorgelegten Tempo nachzukommen. Die ohnehin so aufmerksame Kamera kümmert sich dem Empfinden nach ganz exklusiv um Eva Renzi. Kein Detail darf verloren gehen, jede Einzelheit muss dokumentiert werden. Einfach nur wunderbar! Diese Rolle bringt zwei absolute Gewissheiten in Form eines zweischneidigen Schwertes zusammen: Einerseits ist klar, dass man global gesehen Zeuge ihrer vielleicht überragendsten Rollen überhaupt werden durfte, aber andererseits etabliert sich auf Eva Renzi bezogen vor allem die Gewissheit, dass danach ganz einfach nichts Besseres mehr kommen kann. Vielleicht sollte nach dieser traumhaften Vorstellung daher nur noch Rhett Butler zitiert werden: »Was für eine Frau!«



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Prisma
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Re: DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI - Pierre Granier-Deferre

Beitrag von Prisma »



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EvaRenziKirschen.jpg (113.32 KiB) 2044 mal betrachtet

● PORTRAIT VON EVA RENZI AUS DER PRESSE-MAPPE DER CONSTANTIN-FILM
"EIN UNGEWÖHNLICHES MÄDCHEN" - DIE ZEIT DER KIRSCHEN IST VORBEI (D|F|1967)

»Mein Erfolg beruht darauf, dass ich nichts mache!«


Eva Renzi spielt jetzt in "Die Zeit der Kirschen ist vorbei". Sie ist ein ungewöhnliches Mädchen mit einer ungewöhnlichen Karriere: Als Eva Renzi, deren Namen vorher kein Mensch gehört hatte, von Will Tremper entdeckt wurde, erklärte sie mit verblüffendem Selbstbewusstsein: »Ich glaube an mich und daran, dass ich es schaffe. Ich will ein Star werden, der so berühmt ist, dass er sich seine Rollen aussuchen kann.« Im ersten Jahr schaffte sie davon bereits eine ganze Menge: "Playgirl" genügte ihr, um sich ins internationale Filmgeschäft zu katapultieren. Nachdem ihr James-Bond-Produzent Harry Saltzman (»Sie hat die moderne Originalität einer Julie Christie, dazu die klassische Schönheit und den inneren Glanz einer Ingrid Bergman«) eine Hauptrolle in "Finale in Berlin" sowie einen Fünfjahres-Vertrag geboten hatte, dreht sie jetzt ihren ersten Film in Frankreich, der in Coproduktion mit Horst Wendlandts Berliner Rialto-Film entstand: "Die Zeit der Kirschen ist vorbei". Pierre Granier-Deferre ("Paris im Monat August") inszenierte den Film nach dem französischen Bestseller "Le grand Dadais" von Bertrand Poirot-Delpech, der in Deutschland unter dem Titel des Films erscheint. Die Hauptrollen spielen Jacques Perrin ("Mord im Fahrpreis inbegriffen"), Eva Renzi, Harald Leipnitz, Danièle Gaubert und Yves Rénier. Es ist die bittersüße Geschichte des 20-jährigen Alain, der nicht fähig ist, mit den Entwicklungsproblemen fertig zu werden, die auf ihn zukommen. An der Seite des Fotomodells Patricia (Eva Renzi) genießt er zum ersten Mal das Glück körperlicher Liebe und verliert dafür den Kopf, seine Verlobte und am Ende sogar die Freiheit. »Ich glaube, dass mein Erfolg nur darauf beruht, dass ich nichts mache«, sagt Eva Renzi. »Wenn mein Typ und meine Art im Leben ankommen, müsste es auf der Leinwand genau so sein. Wenn man von mir verlangen würde, mich zu ändern, würde ich wohl meine ganze Ausstrahlung verlieren. Außerdem hätte ich überhaupt keinen Spaß mehr an der Arbeit.«

Michel Cousin, der französische Produzent des Films, sieht Eva so: »Sie ist schon äußerlich ein ganz moderner, völlig internationaler Typ. Und da sie obendrein noch begabt ist, wird sie sehr gut ankommen!« Obwohl man Eva in Frankreich noch gar nicht kennt, hatte sie ständig einen Schwarm Fotografen um sich. Sie weiß um den Wert solcher Publicity und macht bereitwillig mit. »Jeder hat schon mal irgendwo, irgendwie etwas von mir gehört. Und das macht sich überall bemerkbar.« Sie spürt es nicht zuletzt an den Angeboten. Man ist aufmerksam geworden auf die blonde Deutsche, in Amerika genauso wie in Europa. Aber sie sagt: »Schmarren, egal wo sie gedreht werden sollen, kommen für mich nicht in Frage. Ich filme nicht wegen des Geldes. Bei einem Mann ist das vielleicht etwas anderes. Ich tue es, weil es mir Spaß macht, um glücklich zu sein. Die meisten denken doch: Hauptsache, man ist drin im Geschäft. Natürlich – ich möchte auch drin bleiben. Aber ich mache keinen Mist dafür!« Eva Renzi betreibt diesen Beruf, für den sie sich entschieden hat, mit allen Idealen und Konsequenzen. Um dieser Ideale willen leistet sie es sich zum Beispiel auch, abzulehnen, wer und was ihr nicht passt. Weil sie keine »Bond-Mieze« sein wollte, sagte sie 'no', als sie mit Sean Connery "Man lebt nur zweimal" drehen sollte. Als Eva zwei neue Angebote aus Paris bekam, lehnte sie ab, weil ihr die Geschichten »zu simpel und zu blöd« erschienen. »Eigentlich war es schon eine Beleidigung, mir so etwas anzubieten«, meint sie und fügt lächelnd hinzu: »Ich bin halt im allgemeinen von mir, von meiner Wirkung sehr überzeugt.« Verkaufen will sich die 22-jährige Eva für diesen Job jedenfalls nicht. »Meine Unterhaltskosten für mich, meine kleine Tochter und das Kindermädchen kann ich jederzeit anders leicht verdienen. Als Hostess oder als Fotomodell - ich habe das ja lange genug getan. Deshalb werde ich die Dinge nie forcieren oder ihnen nachlaufen. Wenn ich morgen nicht mehr dieses viele schöne Geld verdienen würde, würde ich mein Leben trotzdem irgendwie glücklich hinzaubern. Dann würde ich mein Geltungsbedürfnis eben auf etwas anderes übertragen.«



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