DIE FRÜHREIFEN - Josef von Báky

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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DIE FRÜHREIFEN - Josef von Báky

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DIE FRÜHREIFEN


● DIE FRÜHREIFEN (D|1957)
mit Heidi Brühl, Christian Doermer, Jochen Brockmann, Peter Kraus, Paul Esser, Ilse Fürstenberg, Richard Häussler,
Sabine Sinjen, Jürgen Graf, Cathrin Heyer, Harald Dietl, Peter Nijinskij, Claus-Peter Lüttgen sowie Christian Wolff
eine Produktion der cCc Filmkunst | im Europa Filmverleih
ein Film von Josef von Báky

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»Wozu sind wir denn jung?«


Inge (Heidi Brühl) ist in der Abteilung für Damenmode eines Warenhauses angestellt. Sie träumt davon, das Elternhaus endlich verlassen zu können, da sie sich insbesondere durch ihren cholerischen Vater (Paul Esser) eingeengt fühlt. Ihr Traum wäre ein Haus im Grünen, in dem man Nachts auch einmal das Fenster auflassen könnte, ohne den Atem des Ruhrgebiets hineinzulassen. Mit ihrer Beziehung zu Wolfgang (Christian Doermer), der wie ihr Vater ebenfalls Bergmann ist, ist sie unzufrieden. Als sie von dem gut situierten Günther (Peter Kraus) zu einer Party eingeladen wird, lernt sie die Möglichkeiten dieser reichen Jugendlichen kennen, und lässt sich fortan zu unüberlegten Entscheidungen verleiten...

Im Jahr 1956 konnte Georg Tressler einen immensen Überraschungserfolg mit dem Jugend-Drama "Die Halbstarken" feiern, welches schnell zum Kultfilm avancierte und eine Reihe von thematisch ähnlich gelagerten Produktionen nach sich ziehen konnte. Zu dieser Welle gehört auch Josef von Bákys in Essen gedrehter Beitrag "Die Frühreifen", dessen Titel zwar lediglich wie ein Synonym klingt, aber im Kino ist schließlich alles recht, was Erfolg verspricht. Kommt es wie hier zu einer soliden Bearbeitung, lohnt sich dieser Blick auf eine vermeintlich verlorene Jugend durchaus, denn man bekommt Vieles zwischen den Zeilen mitgeteilt. Vielleicht wirken die damaligen Belange und Wünsche wie Probleme von gestern, aber jede Zeit hat ihre ganz eigenen Gesetze, Wunschvorstellungen und Ideale, die der halbstarken Jugend hier allerdings pauschal abgesprochen werden. Zum größten Kapital dieser Geschichte entwickeln sich Heidi Brühl und Christian Wolff, die nicht nur als Pendants aus zwei verschiedenen Gefühlswelten fungieren, sondern interessante Blicke in zwei unterschiedliche gesellschaftliche Schichten anbieten, die diesen Verlauf noch vor sich hertreiben werden. Inge stammt aus einer Arbeiterfamilie. Sie hat das ewige Sparen satt, das pünktliche Nachhausekommen sowieso, außerdem stehen die immer gleichen Parolen ihres Vaters prophezeiend dafür, dass ihr eigenes Leben genauso weiter gehen muss, wie gehabt. Die schlichte Angst davor, ebenso zu enden wie ihre eigene Mutter, setzt einen Abnabelungsprozess in Gang, der bis auf die Exzessivität auch vollkommen natürlich ist. Christian Wolff als Scheidungskind kokettiert und provoziert mit unsentimentalen Choreografien und beinahe dandyhaften Gebärden, die bei den Damen aufgrund ihrer Abgrenzung zum üblichen männlichen - oder im Sinne des Films halbstarken Angebot gut ankommen. Ausgestattet mit eigener Wohnung, ohne Eltern die sich für ihn interessieren, glaubt Inge, dass dieses Konzept Leben für sie erstrebenswert wäre, sodass sie sich bereitwillig aber unvorsichtig in die Jagdgründe der besser gestellten Jugend begibt, ohne sich ausmalen zu können, was sie dort erwartet.

Ihr Freund Wolfgang, der sie zu sehr an ihren eigenen Vater erinnert, der außerdem zu viel mit Tugenden und Sicherheiten hantiert hat, bleibt im Regen, beziehungsweise der Grube stehen. Josef von Báky zeichnet gesellschaftliche Kontraste, die alleine wegen der charakteristischen Bebilderung sehr gut funktionieren. Hin und wieder entsteht der Eindruck, dass sich zwei Parallelwelten hin und wieder touchieren, um am Ende zu bemerken, dass es nicht erstrebenswert ist, zu viele Gemeinsamkeiten kennenzulernen. Das Ensemble spielt dabei hervorragend: Heidi Brühl und Christian Wolff entwickeln zwei unterschiedliche Konzepte, das Leben, das sie führen, an den Nagel hängen zu wollen. Ob es möglich ist oder nicht, klärt der Verlauf, oder das Leben selbst. Die größte Gemeinsamkeit ist die Unzufriedenheit, die Christian Doermer nicht zu haben scheint, da er immer ein Ziel vor Augen zu haben scheint, das ihn weiter arbeiten lässt, und nur nicht an sich selbst. Mit Peter Kraus reiht sich ein weiterer Jungdarsteller in die Riege der überzeugenden Titelfiguren ein, der sogar noch einen Gesangsauftritt hinlegen wird. Auch Sabine Sinjen überzeugt im Rahmen greifbarer Emotionen. Am Ende bekommt man Jugendliche serviert, die sich wegen ihres gut situierten Status alle Annehmlichkeiten erlauben und die meisten Unzulänglichkeiten und Pflichten von sich wegschieben können. Die Langeweile bringt sie auf dumme Gedanken, die rote Linien des Gesetzes überschreiten, doch Josef von Báky lässt nie einen Zweifel entstehen, dass es am Ende eine vom Publikum geforderte Gerechtigkeit geben muss. Oder handelt es sich um eine Pauschalforderung der Gesellschaft, der älteren Generation, die diese Jugend erst hat entstehen lassen? Derartige Wertungen sind an allen Ecken und Enden wahrzunehmen, außerdem ein ausgeprägter Sinn für Melodramatik und Pathos, was dem Verlauf und vor allem dem Finale zugegebenermaßen nicht schlecht steht. "Die Frühreifen" klingt nach diesem Verlauf wie Sarkasmus, aber es handelt sich um einen einwandfrei und unterhaltsam konzipierten Film mit besonderen Interpreten, der einen hochinteressanten Blick durch ein mehrere Jahrzehnte altes Fenster gewährt.

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