DIE MÖRDER SIND UNTER UNS - Wolfgang Staudte

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Percy Lister
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DIE MÖRDER SIND UNTER UNS - Wolfgang Staudte

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"Die Mörder sind unter uns" (Sowjetische Besatzungszone 1946)
mit: Hildegard Knef, Ernst Wilhelm Borchert, Arno Paulsen, Erna Sellmer, Christian Schwarzwald, Marlise Ludwig, Elly Burgmer, Ursula Krieg, Robert Forsch, Wolfgang Dohnberg, Albert Johannes, Ernst Stahl-Nachbaur u.a. | Drehbuch und Regie: Wolfgang Staudte

Nach der deutschen Kapitulation und ihrer Entlassung aus dem Konzentrationslager kehrt Susanne Wallner in ihre frühere Wohnung zurück. Dort lebt in der Zwischenzeit der Chirurg Dr. Hans Mertens, der im Krieg seelische Traumata erlitten hat und deshalb nicht arbeitet, obwohl Ärzte sehr gefragt sind. Die beiden beschließen, sich die Wohnung zu teilen, bis die Zeiten besser werden. Durch einen vergessenen Brief, den Susanne der angeblichen Witwe des Hauptmanns Brückner überbringt, erfährt Hans, dass dieser noch lebt. Er hatte am Heiligabend des Jahres 1942 die Erschießung von Zivilisten befohlen, wofür ihn Hans nachträglich zur Rechenschaft ziehen will. Wird er den Mann töten und damit Selbstjustiz begehen?

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Die widrigen Umstände, unter denen der Film an Originalschauplätzen und in den Ateliers in Babelsberg und Berlin-Johannisthal gedreht wurde, werden in den langen Kamerafahrten über bröckelnde Häuserruinen und ausgebombte Wohnungen deutlich. Die Rückkehr in die zerstörte Stadt, deren Name wie kein zweiter für den Überlebenswillen der Menschen steht, bedeutet die Wiederaufnahme eines Lebens, das neben den zahlreichen Entbehrungen auch Ratlosigkeit bedeutet. Es ist, als hingen die Bewohner der Stadt in der Luft: mitgenommen von den Ereignissen der letzten Jahre und dem Schock des Endes mit Schrecken, suchen sie verloren nach einem Platz, an dem sie endlich zur Ruhe und Normalität zurückkehren können. Eine Normalität, die es in Deutschland genau genommen seit über zwölf Jahren nicht mehr gab. Der Blick zurück in die menschlichen Abgründe, die das im Menschen schlummernde Böse explosionsartig zum Vorschein brachte, schmerzt und wurde deshalb gern verdrängt. Die Scham vor den eigenen Schandtaten, der Gefühllosigkeit und Billigung von Verbrechen, setzte einen unbändigen Willen frei, nach vorn zu schauen und an einer neuen Weltordnung zu bauen. Hildegard Knef und Ernst Wilhelm Borchert verkörpern zwei unterschiedliche Anschauungen. Während die Frau einen Schlussstrich unter ihre Zeit in Gefangenschaft gezogen hat und nun die banale Arbeit der Wiederherstellung ihres Zuhauses anpackt, sieht der Mann in diesen alltäglichen Handgriffen keinen Sinn. Er äußert seinen Unmut, betäubt sich mit Alkohol und findet erst nach einem Schlüsselerlebnis - eine Frau bittet ihn, ihre kranke Tochter zu retten - wieder in ruhigere Gewässer zurück. Der ehemalige Hauptmann Brückner hat sich freilich schon lange mit den neuen Machtverhältnissen arrangiert.

Aus Stahlhelmen lässt er Kochtöpfe fertigen und nimmt damit das Wirtschaftswunder der Fünfziger Jahre vorweg. Das bevorstehende Weihnachtsfest sorgt dann für die Prüfung: Wird der Täter sein Verbrechen von vor drei Jahren reflektieren? Kann es Sühne geben für die lapidare Tagesberichtseintragung: "Wir haben 347 Schuss Munition verbraucht." Regisseur Wolfgang Staudte war seinen Zeitgenossen um einiges voraus, als er den Finger in die Wunde legte: "Vielleicht hätte Weihnachten 1945 ein Anlass sein können zum Innehalten, zum Nachdenken über Fragen nach Schuld und persönlicher Verantwortung, wie es einzelne mutige Stimmen forderten. Doch die öffentliche Auseinandersetzung hierüber blieb weitgehend aus. Die Gedanken der Menschen kreisten um die Sicherung der einfachsten existenziellen Bedürfnisse." Hildegard Knef schaffte mit diesem Film ihren Durchbruch. Ihr konzentriertes Spiel strahlt eine Leichtigkeit aus, als bewege sie sich ungezwungen in ihren privaten Räumen, statt zum ersten Mal vor einer Filmkamera. Die kaum vernehmbare Stimme, die Selbstbeherrschung und der Blick aus ihren großen Augen, die wie Scheinwerfer ins graue Dunkel ihrer Umgebung leuchten, machen ihre Erscheinung sehr angenehm. Ernst Wilhelm Borchert tritt als genaues Gegenteil auf: man braucht seine Zeit, um sich an den Mann mit den wirren Haaren und den unberechenbaren Temperamentsausbrüchen zu gewöhnen. Er lässt sich nicht domestizieren - vielleicht sah Wolfgang Staudte in ihm einen Teil von sich selbst, denn alle seine Arbeiten haben diesen Unterton, diesen Hinweis auf Unbehagen und Missstände, die man während des Krieges auf der Leinwand gern mit Fröhlichkeit übertünchte, um die Zuschauer von der Realität auf den Straßen und in ihren Köpfen abzulenken.

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