ZUCKERBROT UND PEITSCHE - Marran Gosov

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Richie Pistilli
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ZUCKERBROT UND PEITSCHE - Marran Gosov

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Zuckerbrot und Peitsche (D)
Gangster Love (IT)
Máscara de seda (ES)
Diastrofes tou ypokosmou (GR)
Sugar Bread and Whip


D 1968

R: Marran Gosov
D: Helga Anders, Roger Fritz, Harald Leipnitz, Dieter Augustin, Günther Becker, Jürgen Draeger, Werner Enke, Walter Gnilka, Helmut Hanke, Jürgen Jung, Monika Lundi, Nico Vogler u.a.



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deutsche Kinopremiere: 21.08.1968

Score: Hans Posegga

Fiolmportal.de

OFDb



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"Französich lieben, englisch rauchen!"


Dieser wundervolle Film erzählt die Geschichte der unglücklich wirkenden Ehefrau Helga Arnold (Helga Anders), die sich von ihrem vermögenden Ehemann Robert Arnold (Harald Leipnitz) aufgrund seiner ständigen Geschäftsbegehren vernachlässigt fühlt. Als die reizende Helga eines schönen Tages während einer ausgedehnten Shopping Tour beim Juwelier ihres Vertrauens zufällig Zeugin eines tödlichen Raubüberfalls wird, landet sie im Anschluss zum Zeugenverhör auf der nächstgelegenen Polizeidienststelle, wo ihr Mann sie nun abholen soll. Doch da ihr werter Göttergatte mal wieder keine Zeit für sie hat, schlägt er ihr vor, doch einfach mit dem Taxi nach Hause zu kommen.


Neuer Tag, neues Glück, neue Shoppingtour. Dabei trifft Helga in einer noblen Boutique unverhofft auf den aus Rundfunk und Werbung bekannten Dressman Roger Claus (Roger Fritz), der sich auch sogleich in sie verliebt. Doch Roger ist kein Unbekannter, denn er war es schließlich, der sich für den tags zuvor verübten Raubüberfall verantwortlich zeigte und daher auch die hinreißende Helga sofort wieder erkannte. Nach einer kurzen Kennenlernphase lüftet Roger schließlich nicht nur sein kriminelles Geheimnis, sondern legt auch noch kurz darauf einen betrügerischen Hehler in dessen Wohnräume um. Dabei wird er ständig auf Schritt und Tritt von einem rachelüsternen Bruderpaar verfolgt, da Roger den ehemals dritten Bruder während einer bleihaltigen Auseinandersetzung ins Jenseits jubelte. Der Grund für die Schießerei war ein misslungener Haschischdeal, bei dem Roger von den drei Brüdern übers Ohr gehauen wurde.


Nach und nach fühlt sich auch die entzückende Helga nicht nur immer stärker zu dem mordenden Ganoven hingezogen, sondern genießt dabei auch immer mehr den Nervenkitzel, den sie während seiner Überfälle verspürt. Aber auch ihr besitzergreifender und zudem hochgradig eifersüchtiger Ehemann Harald ist nicht ganz auf den Kopf gefallen, da er dem vermeintlichen Techtelmechtel zwischen seiner Frau Helga und dem haschzigarettenrauchenden Werbemodell Roger so langsam auf die Schliche zu kommen scheint...


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Marran Gosov ist mit ZUCKERBROT UND PEITSCHE ein ganz hervorragender Film gelungen, den man am ehesten mit dem Begriff einer 'modernen Gangster-Romanze' beschreiben kann - Anteile von Bonny & Clyde sind zumindest vorhanden. Je näher sich der beeindruckende Handlungsverlauf seinem Ende zuneigt, desto stärker wird das Gefühl einer immer näher rückenden Eskalation, wobei diese letztlich auch eintritt, nur eben völlig anders als erwartet. Das leibhaftige Ende kommt dann wie ein ohrenbetäubender Knall daher, den man in dieser Form bestimmt nicht erwartet hätte. Ein Moment, der mir kurzzeitig durch Mark und Bein ging. Dabei verläuft der Film größtenteils nicht nur in recht ruhigen Bahnen, sondern wartet auch einer äußerst innovativen Kameraführung auf, für die sich letzen Endes Werner Kurz verantwortlich zeigte. Dabei bringt er eine derartige Unmenge an wunderschön abfotografierten Bildern zum Vorschein, dass ich beim Erstellen der Bilder fast den ganzen Film abfotografiert hätte. Hinzu gesellt sich eine leicht groteske Atmosphäre, die mit einer sehr feinen Humornote angereichert ist. Vollendet wird diese filmische Kostbarkeit durch die nicht weniger wundersame Filmmusik von Hans Posegga, der obendrein ein humorauslösender Effekt nicht abzusprechen ist.


Helga Anders glänzt in der Rolle ihrer Namensvetterin, die sich wiederum als ein völlig undurchschaubarer Charakter entpuppt, bei dem man eigentlich nie genau weiß, was er eigentlich konkret denkt oder möchte. Frisurentechnisch präsentiert sich Helga Anders dem Zuschauer mit einer frisch gestutzten Haarfrisur, mit der sie übrigens blendend aussieht. Warum sie sich dann aber immer noch eine drollige Pudelperücke drüberstülpen muss, wird wohl für alle Zeiten ein ungelöstes Rätsel bleiben. Neben ihrem Talent für kriminelles Puppentheater besitzt sie auch noch eine recht farbenprächtige Schildkröte, die auf den Namen Markus hört.


Roger Fritz verkörpert einen räuberisch veranlagten Dressmann, der nicht nur in teure Autos vernarrt ist, sondern sein Gesicht auch der frei erfundenen Zigarettenmarke “Top Ten” im Rahmen einer breit angelegten Werbekampagne zur Verfügung stellt. Nach Feierabend verpasst er seinem Kopf zumeist in eine Maskerade, packt die Maschinenpistole ein und begeht seine berühmt-berüchtigten Raubüberfälle. Dabei ist es ihm auch völlig egal, ob es sich dabei um einen Juwelier, eine Bank oder um einen schutzlosen Geldboten auf offener Strasse handelt. Und Gefangene werden dabei erst recht nicht gemacht... Ein wahrhafter Maultrommelheld!


Harald Leipnitz spielt Helgas kunstvernarrten Ehemann, dem seine Kunstausstellungen viel wichtiger sind, als seine sich vernachlässigt fühlende Ehefrau, die er zu alledem auch noch ständig mit 'Kindchen' betitelt. Nach einiger Zeit wird dem besitzergreifenden Harald dann aber ganz mulmig ums Herz, denn sein angetrauter Besitz scheint zu einem größeren Seitensprung ausgeholt zu haben, den er ihr aber letztendlich nicht nachweisen kann. Dabei quillt in ihm eine bis dato ungeahnte, aber auch zugleich sehr sonderbare Leidenschaft auf, woraufhin die völlig verwirrte Helga ihren Harald überhaupt nicht mehr erkennt. Abschließend sollte auch noch Jürgen 'Feuerhotte' Dreaeger seine Erwähnung finden, der im Rahmen eines Gastauftritts in der Rolle eines Werbespotregiesseurs kurzzeitig in Erscheinung treten darf.


Diese Inszenierung ist einfach nur cool, lässig und unbeschwert!


Fazit: "Auch Tote rauchen Top Ten!"


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Richie Pistilli
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Re: ZUCKERBROT UND PEITSCHE - Marran Gosov

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Dschallogucker
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Re: ZUCKERBROT UND PEITSCHE - Marran Gosov

Beitrag von Dschallogucker »

Den hatte ich auch schon gefunden. Sehnlichst von mir erwarteter Film, leider habe ich die TV Ausstrahlung nicht

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Richie Pistilli
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Re: ZUCKERBROT UND PEITSCHE - Marran Gosov

Beitrag von Richie Pistilli »

Dschallogucker hat geschrieben:
Sa., 12.12.2020 23:04
Den hatte ich auch schon gefunden. Sehnlichst von mir erwarteter Film, leider habe ich die TV Ausstrahlung nicht

Ein ganz toller Film, der hoffentlich im nächsten Jahr endlich erscheinen wird.
Angesichts der anstehenden Veröffentlichung kann ich vom suboptimalen TV-Mitschnitt nur abraten, denn diesen Film sollte man am besten in seiner vollen Pracht genießen. Habe mir selbst seit einem Jahr verkniffen, mir diesen nochmals anzuschauen, obwohl es mir unter den Nägeln brennt, den Film baldmöglichst wieder zu sehen.

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Prisma
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Re: ZUCKERBROT UND PEITSCHE - Marran Gosov

Beitrag von Prisma »



ZUCKERBROT UND PEITSCHE


● ZUCKERBROT UND PEITSCHE (D|1968)
mit Helga Anders, Roger Fritz, Jürgen Jung, Helmut Hanke, Dieter Augustin, Monika Lundi und Harald Leipnitz
als Gäste Werner Enke und Jürgen Draeger
eine Rob Houwer Film Produktion | im Constantin Filmverleih
ein Film von Marran Gosov

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»Geht das in dein Hühnergehirn rein?«


Aus purer Frustration überfällt Roger (Roger Fritz), der eigentlich als Model arbeitet, Bankhäuser und Juweliere. Seine Beutezüge können sich zwar sehen lassen, doch kosten schon bald mehrere Unbeteiligte das Leben. Helga (Helga Anders), die wesentlich jüngere und vollkommen vernachlässigte Frau des bekannten Galeriebesitzers Robert Arnold (Harald Leipnitz), schließt sich dem jungen Mann als Zeugin eines Raubüberfalls an, da sie sich nach Abwechslung, Anerkennung und Spannung in ihrem Leben sehnt, und ist ihm fortan behilflich. Allerdings zeigt das Gangsterleben schon bald seine unzumutbaren Kehrseiten...

Ein bizarres Werbe-Szenario, gleich zu Beginn dieses mit großer Spannung zu erwartenden End-60ers des aus Bulgarien gebürtigen Regisseurs Marran Gosov, weist auf eine bestimmte Richtung hin, die hier unausweichlich auf das Publikum zusteuern wird, welches bereit war für derartige Filme, die sich den Tugenden des deutschen Films zwar in vielerlei Hinsicht bedienen, sich ihren Hemmschuhen allerdings elegant entledigen konnten. Style over substance wird unter Gosovs Regie oft in style within style umgewandelt, und es scheint tatsächlich völlig unerheblich zu sein, ob man die nahezu immer geforderte Substanz innerhalb der Dramaturgie findet. Diese mehr als erstaunliche Vakanz verhilft "Zuckerbrot und Peitsche" zu einer kaum zu beschreibenden Schwerelosigkeit, die mit einer Bildsprache unterlegt und in ihr begründet ist, die für Furore sorgen wird. Die Dialoge bahnen sich ihren Weg frei Schnauze heraus, also ohne umständliche Umwege und vermeiden sprachliche Klippen, die andernorts allzu oft einen gehobenen Esprit zu verbreiten versuchten, welcher sich jedoch vornehmlich aus der technischen Finesse oder beispielsweise der Brauchbarkeit der angebotenen Charaktere ergeben sollte. Das wechselseitige Touchieren zweier unterschiedlicher Welten bringt die Geschichte mit simplen Kniffen in Gang, die thematisch bemüht ist, im Hier und Jetzt zu bleiben, sich allerdings gleichzeitig sträubt, sich als Äquivalent der Realität herzugeben. Für bare Münze ist die simple Tatsache zu nehmen, dass der Mythos der richtigen Zeit und des richtigen Orts seine volle Richtigkeit, aber ebenso Brisanz besitzt. Charmante Versatzstücke aus dem unmittelbar zuvor entstandenen Hit "Bonny & Clyde" werden als eigenständige Ideen, beinahe Erfindungen wahrgenommen, sodass aus dem beiden Protagonisten kurzerhand "Helga & Roger" werden kann, die separat schon über eine bestechende Aura verfügen, im Doppelpack jedoch ihresgleichen suchen dürfen.

Diese besondere und mitreißende Chemie der beiden Hauptdarsteller bringt den Verlauf zum Funktionieren und stattet ihn fernab der Gangster-Thematik mit einer satten Stringenz aus, die sich aus der Dreieckskonstellation mit Harald Leipnitz ergibt. Bizarre Allüren der Hautevolee finden Anwendung, damit sie nicht als das entlarvt wird, was sie in Wirklichkeit ist: bürgerlich. So kommt es zu entsprechenden Anstrichen, die überaus bourgeois und extravagant wirken, aber quälende Lieder der Langeweile singen. Helga ist in dieser mit viel Bling-Bling, Pelzen und glänzenden Schuhen ausstaffierten aber völlig farblosen Welt gefangen und tut schließlich das, was alle Damen tun: sich schmücken und bis zur Unkenntlichkeit bemalen, ver- und entstellen, was im gehobenen Volksmund schließlich salonfähig genannt wird. Ein Tag wie jeder andere entwickelt sich in einem Juwelier-Geschäft zur einmaligen Chance, sich mit einem Mal aus dieser Blase zu befreien. Helga wird Zeugin eines Überfalls mit Todesfolge, doch wer denkt, sie sei entsetzt und abgeschreckt, hat sich getäuscht. Begeistert und bewundernd blickt sie dem Kriminellen und Mörder nach, bis sie sich schließlich an Roger heranhängt, um ihm bei seinen blutigen Coups zu unterstützen. Adrenalin und Nervenkitzel wiegen in diesem Fall offensichtlich Gold und Juwelen auf, sodass sich eine klassische Partners-in-crime-Geschichte entwickeln kann, die das Publikum ungläubig in Atem hält. Szenen aus dem Hause Arnold dokumentieren, warum sich die junge Frau überhaupt in Resignation und gähnender Langeweile verlieren konnte, deren Ursache ein der Anforderung der Rolle entsprechend gut aufgelegter Harald Leipnitz ist. Es ist kein Wunder, dass sich Helga zu dem jungen, agilen, attraktiven, unkonventionellen und vor allem wesentlich maskuliner wirkenden Roger hingezogen fühlt, wenngleich in dieser Liaison dangereuse nicht Sex sondern originellerweise Crime im Vordergrund steht.

Marran Gosov zeigt sich sehr begabt beim Kreieren dieser Psychogramme, denn er bedient sich eines erfrischenden Pragmatismus. Gewürzt und forciert wird das Ganze durch Übertreibungen, der Zugabe landläufig kursierender Klischees und einer Prise Märchenstoff, sodass es zu der simplen Reaktion kommt, das Publikum mit einfachen Mitteln zu fesseln; Mittel, die seinerzeit in dieser Fasson noch nicht allzu häufig auf Zelluloid gebracht wurden, wohlgemerkt im bundesdeutschen Film. Gesellschaftskritische Ansätze erzielen ihre volle Wirkung, indem dieser angeprangerten Gruppe, die den meisten unbekannt sein dürfte, ein brüchiger Spiegel vorgehalten wird, dessen Sprünge die verzerrtesten und hässlichsten Fratzen zeigen. Der Zuschauer kann sich allerdings auch auf einen Unterhaltungsfilm stützen, der seine Stärken innerhalb des angebotenen Spektakels und der soliden Action findet. Es ist davon auszugehen, dass dieses Konstrukt ohne die Leistungen von Roger Fritz, Harald Leipnitz und insbesondere Helga Anders nur halb so effizient funktioniert hätte, da die Vertreter dieses Trios separat und charakteristisch für die erforderlichen Besonderheiten im Spektrum der Emotionen stehen, den Zuschauer aber ebenso spielend auf ihre Seite ziehen können, da jede dieser Personen Charakteristika, materielle Vorzüge oder beides besitzt, was letztlich eine merkwürdige Anziehungskraft aufzubauen vermag. Ist der Film zu Ende, bleiben es weitgehend Fantasiefiguren und Schicksale sowie Situationen, die vornehmlich in das Reich der Mythen verwiesen werden dürfen. Oder doch nicht? Genau hier liegt die Krux dieses bemerkenswert aufgebauten und leichtfüßigen Films, der trotz bleischwerer Inhalte kaum in gerne bemühte (da einfach auszuschlachtende) Bereiche vordringt, die im Film fließbandartig Verwendung fanden. Unterlegt mit Musik aus träumerischen Sphären, kann Marran Gosov für ein mit frischem Blut angereichertes Erlebnis sorgen, auf das der deutsche Film immer wieder heimlich gewartet hat.

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