CREEP - Christopher Smith

Gruselschocker aus Großbritannien, Spanien, Frankreich usw.
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Maulwurf
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CREEP - Christopher Smith

Beitrag von Maulwurf »

Creep
Creep
Deutschland / Grßbritannien 2004
Regie: Christopher Smith
Franka Potente, Vas Blackwood, Ken Campbell, Jeremy Sheffield, Paul Rattray, Kelly Scott, Sean Harris, Kathryn Gilfeather, Grant Ibbs, Joe Anderson, Sean De Vrind, Ian Duncan


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OFDB

Die Londoner U-Bahn ist die älteste U-Bahn der Welt, gebaut ab 1863 und bis heute immer wieder Erweiterungen und Umbauten unterworfen. Im Jahr 2020 hat das Netz der „Tube“ eine Streckenlänge von 402 Kilometern, wovon nicht ganz die Hälfte der Schienen unterirdisch liegt. Es ist klar, dass bei dieser Historie eine Menge Tunnel, Schächte, Gänge und unsagbare Dinge existieren, die nie an das Tageslicht kommen. Obdachlose, die mal mehr und mal weniger geduldet in kleinen Räumen leben, Ratten, Drogenabhängige, Kriminelle, und Kreaturen, die man vielleicht gar nicht näher kennenlernen möchte. Das Außergewöhnliche an der Tube ist aber, dass sie nicht, wie in vielen anderen Städten, rund um die Uhr im Einsatz ist. Ich habe selber in den 80er-Jahren im damaligen In-Viertel Camden oft genug das Problem gehabt, dass die letzte Bahn in Richtung Innenstadt um 22:30 Uhr fuhr, man die letzten Zugaben der Konzerte in den Clubs also oft auslassen musste, um sicher und zügig nach Hause zu kommen. Wer die letzte Bahn verpasste musste dann entweder den nervigen Nachtbus oder ein teures Taxi nehmen. Oder laufen.

Kate, die sich eigentlich auf ein Blind Date mit George Clooney freut, schafft es zwar, rechtzeitig auf dem Bahnsteig zu sein, aber dann verschläft sie den letzten Zug und wird in der Station eingesperrt. Ganz allein in der nächtlichen U-Bahn-Station? Keine schöne Vorstellung, doch gottseidank kommt noch ein allerletzter Zug. Und hält auch tatsächlich. Doch in diesem Zug sitzt Guy, das Arschloch, das sie auf der letzten Party schon dauernd so blöde angemacht hat. Und Guy hat nur eines im Sinn: Sex, bevorzugt eingefordert mit Gewalt. Die Sache mit der Gewalt trifft es auch tatsächlich ziemlich gut, denn während des Vergewaltigungsversuchs wird Guy plötzlich unter die stehende U-Bahn gezogen, und das blutige Etwas, was dann mühsam in Richtung Bahnsteig kriecht, hat mit dem eleganten Guy nur noch entfernte Ähnlichkeit. In den Gängen und Tunneln lebt etwas. Eine Kreatur, dessen Existenz darin besteht, alles, was sich in diese unterirdische Welt verirrt, in SEINE Welt eindringt, grausam zu zerstückeln. Einen Wachmann. Einen Obdachlosen. Und ganz besonders natürlich Kate …

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Die Welt UNTER der Londoner Unterwelt, also das, was neben und in den Tunneln der Underground lebt, das wurde in Neil Gaimans außerordentlichem Roman Niemalsland so anschaulich und intensiv beschrieben, dass man beim nächsten Kurztrip nach London U-Bahn-Stationen wie Shepherds Bush oder Blackfriars tatsächlich tunlichst vermeiden wird. Die Klasse dieses Romans erreicht CREEP nicht, was aber ganz klar an der erzählerischen Qualität Neil Gaimans liegt.
Der ungarische Film KONTROLL, ein Jahr vor CREEP entstanden, hat ebenfalls dieses Sujet als Grundlage: Etwas lebt in der Dunkelheit der U-Bahnschächte und möchte mit allen Mitteln vermeiden, dass es dort gestört wird. KONTROLL ist sehr sehr abgefahren und freakig, dabei aber düster und böse wie die Hölle. Und noch ein Vergleich muss an der Stelle erlaubt sein, nämlich Clive Barkers 2008 gedrehter MIDNIGHT MEAT TRAIN, der zwar ausgesprochen blutig und verstörend ist, meines Erachtens aber einen gewaltigen Nacheil hat: Er ist zu sauber. Bei MIDNIGHT MEAT TRAIN hatte ich trotz den reichlich vorhandenen Blutfontänen immer das Gefühl, als Beobachter einem Film zuzusehen. MIDNIGHT MEAT TRAIN hat mich nicht in die Handlung hineingezogen – Ein merkwürdiges Gefühl, das bei KONTROLL nicht vorhanden war, und was vielleicht mit der verlassenen U-Bahn-Station in Phillip Noyces DER KNOCHENJÄGER am Besten verglichen werden kann – dort nämlich wurde der Zuschauer gewaltig in die Handlung gezogen. Mindestens so unnachgiebig wie der erwähnte Guy unter die U-Bahn.
Und CREEP, um nun endlich mal zum Thema zu kommen? CREEP ist schmutzig. CREEP ist düster und teilweise recht blutig, ohne aber angenehmerweise die Goreschiene komplett zu bedienen – es bleibt genug für die Bilder im Kopf übrig. CREEP ist oft klaustrophobisch und stellenweise ausgesprochen unangenehm (was ich immer dann merke, wenn ich auf dem Sofa hin- und herrutsche und nicht mehr weiß wohin). CREEP ist ein feiner und böser Horrorfilm, der vieles richtig macht und von so Dingen wie einem guten Cast, einem fiesen Score und sehr starken Settings lebt.

Aber trotzdem mag der Funke irgendwie nicht so ganz überspringen. Woran mag das liegen? Sind vielleicht ein paar kleinere Fragen zur Logik unter Umständen entscheidend? Etwa warum der Wachmann dran glauben muss, der ja schließlich jede Nacht dort Dienst tut? Nein, Logik sollte in so einem Film eigentlich kein Problem sein. Wer sich an solchen Dingen aufhängt, sollte schnell feststellen, dass er im falschen Genre ist.
Ist Franka Potente, die ich grundsätzlich schon recht gerne sehe, möglicherweise doch ein wenig zu reserviert und lässt ihre Panik nicht genügend raus? Ich denke da im Vergleich an den britischen Thriller SALVAGE – DIE EPIDEMIE, in dem Neve McIntosh extrem nachdrücklich zeigt, wie weit Mutterliebe gehen kann. Der Begriff „Die Sau rauslassen“ läuft in diesem Zusammenhang schon fast als Euphemismus, und wenn ich mir überlege, dass ich zusammen mit einem blutgeilen Monster in der Londoner U-Bahn eingesperrt bin, dann vermute ich, dass mir außer Weglaufen und in-dunkle-Gänge-eindringen vor allem eines einfallen würde: Angst! Nackte, panische Angst, und Franka Potente wirkt in dieser Situation immer eine ganze Ecke abgeklärter und überlegter, als man es eigentlich erwarten würde. German Angst geht anders …

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Vielleicht ist aber auch Craig das Problem. Craig ist das Ding das dort unten lebt, und was CREEP definitiv positiv aus dem US-amerikanischen Einheitsbrei heraushebt ist, dass keine Fragen beantwortet werden. Zwar werden Andeutungen gemacht wie Craig dorthin gekommen sein könnte, und wie er zu dem geworden sein könnte was er nun ist, aber es wird nichts erklärt. Craig ist einfach, und seine bloße Existenz ist schon Schrecken genug. Ein Mythos, der keine Logik benötigt um zu funktionieren. Richtiger: DAMIT er funktioniert!
Aber es kam mir so vor, als ob die Regie bei der Maske von Craig einen Trick angewendet hat, den William Dieterle 1939 bereits bei DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME einsetzte, nämlich das Monster bei seinem ersten Auftritt sehr furchterregend darzustellen, dann aber ganz allmählich, und kaum spürbar, die Maske zu verändern, weicher zu gestalten, damit der Zuschauer Mitleid mit der geschundenen Kreatur bekommt. Und genau das passiert hier nämlich: Die Vorbereitungen für die Operation Mandys zum Beispiel werden so voller Zärtlichkeit und Sorgfalt ausgeführt, dass das anschließende Blutbad zwar einerseits umso grauenhafter ausfällt, gleichzeitig aber die Figur Craig sehr ambivalent da steht. Nicht als das ultimative Böse, als das Grauen im Licht der letzten U-Bahn, sondern als bedauernswertes Opfer von Umständen, die wir höchstens erahnen können.

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Ein interessanter Ansatz, in einem blutigen Horrorfilm das Metzelmonster zur Projektionsfläche unseres Mitgefühls zu machen. Aber ich befürchte, dass dies genau der Grund ist, warum der Funke eben nicht so ganz überspringt, und CREEP zwar ein guter Horrorfilm ist, aber keiner aus der Spitzenklasse. Sehenswert, keine Frage, aber nicht die Liga von INSIDE und Konsorten.

7/10

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