ANGELIQUE 2 - Bernard Borderie

Von Herkules bis zu den drei Musketieren: Italienische Geschichtsstunden der abenteuerlichen Art
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Sid Vicious
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ANGELIQUE 2 - Bernard Borderie

Beitrag von Sid Vicious »

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Originaltitel: Merveilleuse Angélique
Produktionsland: Frankreich, Italien, Deutschland
Erscheinungsjahr: 1965
Regie: Bernard Borderie
Darsteller: Michèle Mercier, Claude Giraud, Jean Rochefort, Jean-Louis Trintignant, Giuliano Gemma, Claire Maurier, Ernst Schröder, Charles Regnier, Jacques Toja, François Maistre, Robert Porte, Denise Provence, Noël Roquevert, Rosalba Neri, Elizabeth Ercy, Patrick Lemaître, Gino Marturano

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Nachdem ihr Mann von den Flammen des Scheiterhaufens gefressen wurde, kann Angélique dem eigenen Tod haarscharf entkommen. Eine Rückkehr ins adlige Lotterleben ist allerdings unmöglich. Stattdessen findet sie Zuflucht bei ihrem Jugendfreund Nicolas und seinen Gaunern. In dieser dubiosen Gesellschaft liegt der Ärger fortwährend auf der Lauer, um zum rechten Zeitpunkt kaltlächelnd zuzulangen. Kein Wunder, dass Angélique binnen kurzem verhaftet und ins Grand Châtelet deportiert wird. Mittels ihrer körperlichen Reize und dank der nicht vorhandenen Intelligenz des Hauptmanns kann sie der prekären Situation selbstverständlich behände entkommen. Die nächste Station in ihrem turbulenten Leben wird die Gaststätte „Die rote Maske“, wo sie als clevere Wirtin den Laden in Schwung bringt. Der gute Ruf des Lokals lockt schon bald den Bruder des Königs und zwölf seiner Miststreiter an, die die viel zitierte Axt im Walde auspacken, einstweilen das Wirtshaus demolieren und einen kleinen Jungen ermorden. Nach ihrem kurzzeitigen Aufstieg ist Angélique erneut am Boden angelangt. Doch Claude le Petit, ein blitzgescheiter Poet, hat die Notlage erkannt, will der einstigen Gräfin und jetzigen Gastronomin auf die Beine sowie der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen. Demgemäß gibt er jeden Tag via Pamphlet einen der Schandtäter bekannt. Doch bevor das letzte Pamphlet erscheint und den Namen des Kindermörders in die Welt posaunt, erhält Angélique im Auftrag des Königs 50.000 Pfund mit der damit verwobenen Aufforderung: Sie soll ihr Wissen für sich behalten und die Bekanntmachung des Mörders verhindern. Angélique willigt ein und soll schon bald ihr Comeback am Hofe des Königs feiern.

ANGÊLIQUE 1 endet mit der Texttafel „Ende des ersten Teils“, was postwendend meine Vorfreude auf die Fortsetzung auslöste. Die Vorfreude auf die Intrigen am königlichen Hof. Die Vorfreude auf Angéliques Rache. Die Vorfreude auf die vielen bekannten und lieb gewonnenen Vertreter respektive Gesichter des europäischen Genrekinos, die Angéliques Vergeltungspläne begleiten werden. So saß ich guter Dinge vor dem LED-Fernseher und genoss den Anblick des stilvollen Logos als auch die superbe Fanfare des Gloria Filmverleihs. Nach dem Intro und der musikalischen Einstimmung aus dem Fundus des Musikkomponisten Michel Magne setzt ANGÊLIQUE 2 dort an, wo sein Vorgänger ausklang.

Wir haben gemeinsam mit unserer Heroine die Welt der Reichen und Schönen verlassen und Zuflucht bei den Armen, den Dieben und den Bettlern gefunden. Auch hier laueren Neid und Intrigen. Und die scharfe Klinge des Sensemanns schwingt geduldig über die ungewaschenen Häupter, um im rechten Moment reiche Beute einzufahren. Es ist also größte Vorsicht geboten! Ergo drehen Sie sich nicht um, denn die Polin geht um. Eine charismatische wie feurige Schönheit, die sich mit dem Bohai, das Angélique umhüllt unter keinen Umständen anfreunden will. Eine Art Salome, die zwar nicht mit Tanz betört, aber trotzdem den Kopf der von ihr verachteten und so arg gebeutelten Gräfin fordert. Demgemäß schreitet die Polin ohne die tänzerische Grazie von Herodias´ Tochter als auch ohne das ungewandte Gehoppel des Bi-Ba-Butzemann von Herzen gern über Leichen und bringt die Produktion selbiger dito anstandslos in Fahrt. Gespielt wird dieses niederträchtige Weibsbild von Rosalba Neri, der man bedauerlicherweise zu wenig Spielzeit konzedierte. Währenddessen traut man der Rosi allerdings alle erdenklichen Gemeinheiten zu, ist darüber hinaus aber auch bereit, ihr all diese Schandtaten zu verzeihen.

Der Polin Einfluss auf das manipulierbare Straßengesindel, steht selbstredend hinter den Überzeugungsfähigkeiten einer Angélique an. Die hat den Wortführer der Gauner, ihre Jugendliebe Nicolas, voll im Griff, da er auch weiterhin der rothaarigen Gräfin a. D. mit Haut und Schopf verfallen ist und infolgedessen den Pöbel zu Schlachtrufen wie „Der Bruder des Königs soll sterben - wie alle Feinde Angéliques“ anspornt.

Neid, Manipulation und Hetze haben schon manch arme Seele in den Ruin oder gar in den Tod getrieben, doch sind die drei misslichen Eigenschaften immer noch verträglicher als die „Wilde 13“. Eine Zweckgemeinschaft aus dem Château de Versailles wie dessen Dunstkreis. Denn wenn der Bruder des Königs und seine 12 Mitstreiter (von der deutschen Tonbearbeitung als die Vornehmen Frankreichs vorgestellt) in das Gasthaus „Die rote Maske“ einfallen, um schonungslos klar zu machen, dass dem französischen Adel jede Schweinerei erlaubt ist, dann nimmt ihr „Humor“ untolerierbare Ausmaße an, dann wird es verflucht ungemütlich.

Das Alphatier (der Bruder des Königs) einer Horde grenzdebiler Adeliger, hat es während der Machtdemonstration auf einen kleinen Jungen abgesehen, den er kraft seines Schwertes Pfählen und anschließend über dem Ofenfeuer wie ein Hühnchen grillen will. Hier zieht der Film vermutlich Linien zu den Gräuelgeschichten des Gilles de Rais, der so manche Knaben in den Kellern seiner Domizile, auch unter Anwesenheit seiner adeligen Komplizenschaft, ausgiebig folterte und hernach tötete. Gerard Lenne schreibt in diesem Zusammenhang: Das größte Vergnügen eines sadistischen Libertins ist es ja ein unschuldiges Kind sittlich zu verderben, um es in aller Ruhe darauf vorzubereiten ihm (höchste Befriedigung!) das Leben zu nehmen.

Das sadistisch-perverse Gebaren des Königsbruders erweckt auf den ersten Blick den Anschein, dass es sich um ein Spiel handelt, welches nach der kollektiven Belustigung abgeschlossen und der gequälte Junge mit einem Schock zurückgelassen wird. Man erwartet nicht unbedingt, dass es zum Äußersten kommen wird, da wir doch nur einen Abenteuerfilm, einen bunten Mantel- und Degenfilm, schauen. Dass dieser dennoch den acte gratuit (eine willkürliche und motivlose Tat, die dem Täter größtmögliche Souveränität zugesteht) thematisiert, bekräftigt meine Vermutung, dass die Szene an den Gräueltaten des Gilles de Rais angelehnt ist. Auch wenn die Kamera dabei nicht ins Detail geht und sich das Spiel mit dem Schwert (ich erspare Ihnen jetzt die Reden vom Phallussymbol und einer latent vorhandenen Homosexualität) vornehmlich auf der Metaebene abspielt, bestätigen die präsente Abartigkeit und Menschenverachtung, dass der zweite ANGÊLIQUE-Film seinen Härtegrat (im Vergleich zu seinem Vorgänger) um einiges nach oben schraubt. Zu weiteren aktiven Schraubern gehören auch Auspeitschungen und die Sichtbarkeit entsprechender Striemen auf den entzückenden Rücken der zu strafenden femininen Schönheiten. Es bleibt somit spannend, ob die folgenden Angélique-Filme diese Marschroute ggf. noch verschärfen bzw. diese exploitativer zu gestalten.

Ungeachtet der Prognosen, Erkenntnisse und der erörterten Interpretationsansätze hat die Sequenz in der Gaststätte einen großen Einfluss auf den weiteren Filmverlauf. Da Angélique kraft dieses plot points einen bedeutenden Schritt in Richtung Comeback am Königshof (be)gehen kann. Dabei wird sie von dem Poeten Claude le Petit, der jeden Tag via Pamphlet einen der 13 Missetäter preisgibt, unterstützt. Die Bekanntgabe des Mörders ist freilich für den 13. Tag vorgesehen. Und eben diese Verlautbarung würde dem königlichen Ruf einen handfesten Schaden zufügen.

Im Kapitel 18 des Matthäusevangeliums steht geschrieben, dass Petrus einem Sünder siebzig Mal siebenmal vergeben muss. Diese 490 Sünden lassen sich mit den 12 Adligen assoziieren. Der Mörder reflektiert jedoch die 491., die unverzeihliche Sünde! Die Demaskierung hätte demnach katastrophale Folgen, die man unter allen Umständen unterbinden muss. Ergo profitiert (siehe Inhaltsangabe) Angélique aus einem abscheulichen Verbrechen. Womit sie als allegorisches Aschenbrödel (Philipp nennt Angélique die Königin aller Aschenbrödel) dem allegorischen (nur ihr passenden, „goldenen“) Schuh immer näher kommt.

Obwohl Angélique 2 mehr als seine adrette Hauptdarstellerin zu bieten hat und keinen Leelauf inkludiert, baut der Film im Vergleich zu seinem Vorgänger etwas ab. Doch halt, denn wenn ich über den zweiten Teil meines vorangegangenen Satzes noch mal nachdenke, ergo mit dem eben geschauten Film assoziiere, dann reflektiert die Aussage eigentlich das oft zitierte Jammern auf höchstem Niveau.


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Prisma
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Re: ANGELIQUE 2 - Bernard Borderie

Beitrag von Prisma »



Mein Eindruck ist auch, dass "Angélique, 2. Teil" im Vergleich zu ersten Teil etwas abbaut, aber er bietet nicht minder interessante Wege der Protagonistin, die Spannung um sie herum aufbauen. Erneut hochinteressant-europäisch besetzt, entfaltet sich das Flair, das auch de Vorgänger zum Hit gemacht hat. Ich denke, selbst wenn man persönlich Schwachstellen ausfindig machen kann, ist es am Ende Michèle Mercier, die wirklich alles rausreißt. Die Neugierde auf den Nachfolger ist wegen der vielen hier angebotenen Kapriolen dadurch ungebrochen.

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Sid Vicious
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Re: ANGELIQUE 2 - Bernard Borderie

Beitrag von Sid Vicious »

Prisma hat geschrieben:
Mo., 06.05.2024 09:00

Die Neugierde auf den Nachfolger ist wegen der vielen hier angebotenen Kapriolen dadurch ungebrochen.
Das funktioniert bei der Reihe fortwährend. Mir fälllt auch nichts Vergleichbaren ein, halt keine Kinofilm (!)-Reihe, die ihre Spannung kraft einer solchen Methode aufrecht hält. Natürlich kann man jetzt die SAW-Filme nennen, aber da wirken die Verknüpfungen zu den Vorgängern nur als finaler Clou. Diese wurden auch zusends absurder. Ich habe mich nach der Sichtung eines SAW-Film auch nie auf eine Fortsetzung gefreut.

Die Aufrechterhaltung der Spannung, die sich bei der ANGELIQUE-Reihe von einem auf den nächsten Film überträgt, lässt sich mit den TV-Mehrteilern bzw. mit den Advents-Vierteilern des ZDF vergleichen.
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Prisma
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Re: ANGELIQUE 2 - Bernard Borderie

Beitrag von Prisma »

Sid Vicious hat geschrieben:
Di., 07.05.2024 09:49
Die Aufrechterhaltung der Spannung, die sich bei der ANGELIQUE-Reihe von einem auf den nächsten Film überträgt, lässt sich mit den TV-Mehrteilern bzw. mit den Advents-Vierteilern des ZDF vergleichen.

Ja, das ist vom Prinzip her ein guter Vergleich. Was Filmreihen anbelangt, fällt mir aber auch nichts Vergleichbares ein, höchstens bei Zweiteilern, die über eine Art Cliffhanger verfügen, die den Zuschauer unbedingt in die Fortsetzung bringen sollten. Bei "Angélique" möchte man einfach wissen, wie es weitergeht, welche Gefahren auf sie zukommen und welche sie meistern wird, um zum wohlverdienten Happy End zu kommen, welches ja trotz allem wahrscheinlich ist.

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